Irren ist göttlich. Daniel Sand

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Irren ist göttlich - Daniel Sand

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wie Bergdrachenhirschen, Querstrichhyänen oder Rosawölfen machten hier vor allem Zyklopenelefanten den Menschen das Leben schwer.

      Als Thariel Lydia nun bat, den Leuten am Brunnen die Marathonbaumrinde zu zeigen, hatte sie diese schon verloren.

      »Tut mir leid, die war so glitschig, wahrscheinlich ist sie mir aus der Hand gerutscht!«

      »Soll ich sie suchen gehen?«

      Schon zog er in die eine Richtung und sie in die andere.

      »Nein, lass gut sein«, setzte sie sich mit einem heftigen Ziehen durch.

      Am Dorfbrunnen schöpften zwei Frauen Wasser und kicherten über diese Unstimmigkeit. Andere Bewohner trockneten Wäsche vor dem Haus oder schnitten Tomaten. Von irgendwo zog der Duft eines Distelkuchens herüber, kleine Kinder tobten um die Häuserecken und in der Ferne sang ein Berguhu sein Lied.

      »Wie geht’s, Thariel«, rief eine junge Frau mit schwarzen Haaren und grünen Augen, als sie den beiden entgegenkam. In den Armen trug sie Brennholz.

      Er nickte freundlich zurück. »Danke, gut, und dir Sulala?«

      Thariel mochte sie ganz gerne. Auch sie wanderte oft durch die Sümpfe und schlief mehr unter freiem Himmel als in weichen Betten.

      »Sulalas Haus hat kein Dach«, zischte Lydia.

      »Es ist nur ein kleiner Dachschaden, wegen des Kugelblitzes, der darüber rollte«, meinte Thariel.

      »Warum widersprichst du mir eigentlich dauernd, wenn es um sie geht?«, giftete sie, »immer nimmst du sie in Schutz, ich frage mich, warum du nicht mit ihr zusammen bist!«

      »Das war doch nicht so gemeint«, entschuldigte er sich.

      »Sulalas Haus hat kein Dach, wie peinlich ist das denn!«

      Er nickte und sie atmete durch.

      »Ich liebe dich«, flüsterte sie ihm zufrieden ins Ohr und tätschelte seine Wange, als ob er ein Dressurpegasus war, der ein Kunststück vollführt hat.

      »Thariel«, rief jetzt Sulala aus einiger Entfernung, »ich habe was gefunden, was euch gehört!«

      »Die gibt auch keine Ruhe«, zischte Lydia und Thariel traute sich nicht, Sulala zu antworten. Lydias Hand bohrte sich so fest in seine, dass ihre Fingernägel ihm wehtaten. Erst als Sulala nicht mehr rief, entspannte sie sich wieder. Nachdem sie schließlich an ihrer Türe angekommen waren, hauchte sie: »Schlaf gut und danke für das Ding, das du mir aus dem Sumpf mitgebracht hast.«

      »Marathonbaumrinde.«

      »Genau.«

      »Und wie wirst du dich entscheiden?«

      »Genau«, wiederholte sie und lächelte ihn an.

      Er schaute ihr in die dunkelgrünen Augen und träumte davon, sie zu heiraten. Ausgerechnet er, der Kerl mit dem halben Haus und dem unscheinbaren Aussehen. Er war ein schlaksiger Kerl mit braunen Augen und einer etwas breiten Nase über zu dünnen Lippen. Nun wagte er etwas und beugte sich leicht vor, um Lydia zu küssen. Doch statt ihrer weichen Haut spürte er sprödes Holz. Lydia war längst ins Haus gegangen und hatte die Türe geschlossen. Trotzdem ging er danach zufrieden seiner Wege.

      Wie seine Vorfahren arbeitete er als Reparaturist im eigenen Laden Reparaturen aller Art. Wenn etwas im Dorf nicht mehr funktionierte, wurde es zu ihm gebracht, auch wenn er im Reparieren nie die Kunstfertigkeit seines Vaters und schon gar nicht die seines Großvaters erreicht hatte, von dem das ganze Dorf noch voller Ehrfurcht sprach. Wenn Thariel mal wieder das wacklige Bein eines Tisches endgültig abbrach oder aus einer beschädigten Uhr eine kaputte machte, hieß es deswegen immer nachsichtig: »Er ist eben nicht sein Großvater.« Genau genommen kam es nie vor, dass er etwas so reparierte, dass es danach nicht einfach auf eine andere Art defekt war. Dennoch mochten ihn die Dorfbewohner. Er gab sich Mühe und außerdem hatten sie Mitleid mit ihm, weil sein Haus vom Sumpf verschluckt wurde.

      Thariel fühlte sich rundum wohl in seinem Heimatdorf. Noch nie hatte er etwas Anderes gesehen als die Sümpfe und noch nie hatte er den Wunsch verspürt, dass sich das eines Tages ändern möge. Wie sein Leben verlaufen würde, schien klar vorgezeichnet zu sein. Er würde heiraten – hoffentlich Lydia – und Kinder haben, die eines Tages den Laden übernehmen würden. Er war immer froh gewesen, dass alles so einfach war. Er träumte von der Zeit, da er am Abend mit seiner Frau auf der Terrasse sitzen würde und sie gemeinsam dem Mond zusehen, wie er hinter dem Sumpf aufgeht. Sie würden den Wasserfall bewundern, der vom Mond hinab auf den Planeten stürzt und im Licht der Sterne silbern glänzt. Und sie würden über die komplexen Flugformationen der Algebrakrähen staunen, wenn sie als Zahlenkombination oder geometrische Form über das Dorf hinwegflogen.

      Thariel ging in sein halbes Haus und schaute noch hinüber zu Lydias Zimmer, bis dort die Kerze erlosch und das Haus plötzlich von der Dunkelheit verschluckt wurde. Auch er legte sich ins Bett und dachte noch, dass alles gut war, wie es war. Und genau darin bestand das Problem: Als er am nächsten Morgen aufwachte, war es nicht mehr gut, so wie es war.

      Als er verschlafen vor dem Spiegel stand, entfuhr ihm ein Schrei. Über seinem Kopf hing eine Regenwolke. Er schlug nach ihr, als wäre sie eine lästige Fliege, aber seine Hände gingen wie durch Nebel. Er rannte hin und her und machte Liegestützen. Er stellte sich auf den Kopf und kippte sich Wasser in den Nacken. Nichts davon beeindruckte die Regenwolke, die weiter über ihm schwebte. Er wusste nicht, was er noch tun sollte und öffnete darum das Fenster.

      »Lydia!«, schrie er über das Dorf hinweg, »Lydia!«

      Als sie kurz darauf bei ihm ankam, stand Thariel hinter einem Schrank im Flur, so dass sie ihn nicht sofort sehen konnte.

      »Versprichst du mir, nicht zu schreien, wenn ich dir jetzt etwas zeige?«, wollte er wissen.

      »Was ist los?« Sie klang verärgert, weil er noch nie zuvor über das ganze Dorf hinweg nach ihr gerufen hatte.

      »Es ist alles in Ordnung, keine Sorge, es ist nur so, dass ...«

      »Komm hinter dem Schrank hervor!«, unterbrach sie ihn.

      »Es ist nur so«, setzte er wieder an, konnte seinen Satz aber nicht beenden, weil dieser in Lydias Schrei unterging. Sie hatte nicht mehr warten wollen und war zu ihm gelaufen. Nun torkelte sie mehrere Schritte zurück und Thariel trat in den Flur hinaus.

      Über ihm regnete es.

      »Nicht so laut, die Nachbarn!« Er presste dabei den Finger vor den Mund und Lydia ging dazu über, nur noch aufgeregt zu atmen, bis ihr schwindelig wurde und sie sich setzen musste.

      Eine Weile saß sie nur da und trank das Wasser, das Thariel ihr gebracht hatte. Dann meinte sie mit ruhigerer Stimme: »Was ist das?«

      »Keine Ahnung.« Thariel schüttelte den Kopf.

      Als sich Schritte näherten, versteckte er sich erneut hinter dem Schrank und setzte sich erst wieder zu Lydia, als diese sich entfernt hatten.

      »Lass mich mal sehen.«

      Sie betrachtete die Wolke aus allen Richtungen. Nichts unterschied sie von gewöhnlichen Regenwolken, außer, dass sie viel kleiner war. Lydia blies dagegen, ohne dass es eine Wirkung

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