Irren ist göttlich. Daniel Sand
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6 Es gab nur zwei Fluchologen, und die waren auch noch bis aufs Blut verfeindet, aber beide kamen sie zum Ergebnis, dass Flüche nur individuell vergeben werden und sich eben nicht ausbreiteten. Sicher waren sie sich aber nicht.
3
Thariel wusste, was das heißt. Er musste nach Mammama reisen, dort wohnte der Glasmeister und wachte über die Scherbe der einen Glaskugel, in der das Schicksal aller Menschen stand. Nur von ihm konnte er erfahren, was es mit dieser Regenwolke auf sich hatte. Mammama war eine Stadt, deren Gründerväter den Fehler gemacht hatten, den Stadtnamen im Rahmen eines Kinderschreibwettbewerbs festlegen zu lassen, den schließlich die kleine Irstin (3 Jahre) gewonnen hatte.
Natürlich kam niemand, um Thariel zu verabschieden. Nur zwei Personen warteten vor der Kutsche. Die eine war Günter der Golem, der ihm aufmunternd auf die Schulter klopfte und die andere Sulala, die ihn kurz umarmte und den Tränen nahe schien. Lydia fehlte, was Thariel ihr aber nicht übelnehmen wollte. Es war ein sonniger Tag und die Regenwolke regnete auf sein Gesicht. Mehrere Kinder beobachteten den Aufbruch schüchtern hinter einem Baum versteckt. Thariel umarmte noch einmal seinen erdigen Freund und roch diesen angenehmen Duft, der ihn immer in vergangene Zeiten entführte. Dann stieg er über die zwei Stufen in die Kutsche ein.
Er hatte kaum Gepäck dabei. In einem Beutel befand sich eine kleine Kohlezeichnung von Lydia für seinen Nachttisch. Als die Kutsche gerade losfahren wollte, hörten sie eine Frauenstimme. Thariel blickte hinaus und sah seine Lydia zur Kutsche rennen. Mit Rucksack und zwei vollen Taschen aus Fledermausfell.
»Halt!«, rief sie immer wieder.
Thariel sprang aus der Kutsche und breitete die Arme aus.
»Du kommst mit?« Natürlich hatte er heimlich davon geträumt, aber es doch nicht zu hoffen gewagt. Als sie ihn erreicht hatte, fiel sie ihm nicht in die Arme, sondern stützte sich auf dem Oberschenkel ab und atmete schwer durch. Nachdem sie sich etwas erholt hatte, schüttelte sie den Kopf.
»Nein, ich komme nicht mit, aber ich wollte dir noch etwas mitgeben.«
Sie reichte ihm einen versiegelten Brief im gelben Umschlag.
»Öffne ihn erst, wenn du vor einer schweren Entscheidung stehst. Er wird dir helfen, dich richtig zu entscheiden!«
»Ja«, er war verwirrt, »aber warum hast du all das Gepäck dabei?«
»Das«, sie deutete auf den Rucksack und die Taschen, »ach, das sind nur ein paar Sachen, die ich zum Picknick mitnehme.«
»Du gehst zum Picknick?«
Sie nickte und lächelte dabei.
»Mit wem?«
»Leider nicht mit dir, Thariel«, hauchte sie traurig, aber auch etwas aufgesetzt, und streichelte ihm über die Wange, »mach es gut, und verlier den Brief nicht!«
»Mach du es gut!«, flüsterte er.
»Nein, mach du es gut!«, kam es gespielt trotzig zurück.
»Nein, mach du es gut!«, ging Thariel darauf ein und stupste ihr gegen die Nase.
»Nein, mach du es gut!«, Lydia stupste nun seine Nase.
»Nein, mach du es gut!«
»Mach es immer so ein Stück besser gut!« Lydia breitete die Arme zur vollen Breite aus
»Und du sollst es immer so ein Stück besser gut machen!« Thariel kam auf noch mehr Armlänge.
»Du sollst …«, wollte sie gerade mit der Neckerei weitermachen, da schob sich der Kopf des Bürgermeisters aus der Kutsche, »Schluss jetzt, steig endlich ein!«
Lydia gab ihm einen letzten Kuss und winkte ihm noch nach, bevor sie schwer bepackt mit jemandem zum Picknick ging, der nicht Thariel war.
Scheppernd und klappernd setzte sich die Kutsche in Bewegung. Thariel verstaute den Brief sorgfältig in seiner Hose, um ihn ja nicht zu verlieren. Nur ein schmaler Weg führte aus dem Dorf heraus. Bevor die Kutsche um die Kurve bog, versank Thariels Haus wieder ein Stück mehr im Sumpf. Neben ihm in der Kutsche saßen Zimon der Dorfzauberer (in Ausbildung) und der Bürgermeister, an dessen Händen Thariel mehrere Kleckse blauer Farbe auffielen.
»In der Welt da draußen lauern Gefahren und Unsicherheiten. Ich rate dir eines: Sieh dich vor«, erklärte er Thariel, der sich bedankte, obwohl er fand, dass dieser Ratschlag recht allgemein ausgefallen war. Trotzdem zwinkerte der Bürgermeister ihm zufrieden zu. Der Zauberer (in Ausbildung) hatte seine langen Beine umständlich in die Kutsche gezwängt und musste sich ducken, um mit dem Kopf nicht gegen die Decke zu stoßen. Was dennoch bei jeder Wurzel und jedem Stein geschah, die sie überfuhren. Der Kutscher sprach kein Wort und konzentrierte sich darauf, seine beiden gezähmten Einhorngiraffen anzutreiben.
»Thariel«, begann der Zauberer (in Ausbildung), »lange überlegte ich, was ich dir mit auf den Weg geben kann.«
Wieder machte er eine der langen Pausen, wegen denen er bei den Dorfbewohnern so unbeliebt war.
»Was denn?«, fuhr ihn der Bürgermeister an und schob nach, »tote Frösche?«
Zimon überhörte die Spitze und fuhr fort. »Nimm diese zwei Goldstücke mit, alle großen Zauberer besitzen solche Goldstücke.«
Thariel griff nach den beiden Münzen. Sie glänzten geheimnisvoll.
»Danke, was haben sie für Fähigkeiten?«
»Diese Münzen ermöglichen es dir«, der Zauberer (in Ausbildung) schob seine Mütze zurecht und donnerte wegen einer Bodenwelle wieder gegen die Decke, »in jeder Gaststätte oder Herberge Speis und Trank und Übernachtungen zu erhalten.«
»Für immer?«
»Ja!«
»Danke, das hilft mir sehr«, freute sich Thariel.
»Also«, schränkte der Zauberer (in Ausbildung) dann doch noch ein, »natürlich nur so lange, bis das Geld eben aufgebraucht ist.«
»Wann ist magisches Geld denn aufgebraucht?«
»Ähm, das ist kein magisches Geld«, murmelte der Zauberer (in Ausbildung).
»Es sind also nur zwei Goldmünzen?«
»Zwei Goldmünzen«, wiederholte der Zauberer (in Ausbildung).
»Keine Magie.«
»Nein.«
Thariel schaute kurz aus dem Fenster und murmelte dann, »trotzdem danke.«
Er packte die beiden Goldstücke ein. Der Bürgermeister murmelte etwas in Richtung des Zauberers (in Ausbildung), was sich wie ein Schimpfwort anhörte.
Die Kutsche hatte mittlerweile den engen Pfad hinter sich gelassen und eine Stelle erreicht, an der eine Hauptstraße kreuzte. Hier stieg Thariel aus.
Der