Störtebekers Erben. Susanne Ziegert
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Als im letzten Jahr mitten in der Sommersaison mehrere Brieftaschen gestohlen wurden, war das eine Sensation, über die alle Insulaner nebst Gästen wochenlang redeten. Ansonsten brauchte die Insel nicht mal einen eigenen Polizisten, nur die Wasserschutzpolizei beäugte die Bewohner argwöhnisch, wenn mal wieder ein Schiff oder eine Jacht auf den umliegenden Sandbänken strandete. So manche Rumflasche oder Zigarettenstange von liegen gebliebenen Segelbooten war in der Vergangenheit überraschend in den Vorratskammern aufgetaucht.
Mit dem Rücken zum kleinen Friedhof winkte er Andrej zu sich. Vor seinen Mitarbeitern wollte er seine Ratlosigkeit auf keinen Fall zugeben, obwohl seine Gedanken wie wild durcheinander gingen. Er zeigte auf den Weg vor dem kleinen Friedhof und kommandierte: »Absperren. Du bleibst bis auf Weiteres hier, keinen durchlassen!«
Margo hatte sich auf die Holzbank am Fuß des Turms gesetzt, um eine Zigarette zu rauchen, es war eine Herausforderung gewesen, die volle Kaffeetasse über die seitlich am Turm angebaute Holztreppe unbeschadet nach unten zu tragen. Überhaupt, die Arbeit war das reinste Fitnesstraining. Zwei Treppen hinab in den Keller, über 100 Stufen hinauf unter die Kuppel des Turms, die einmal in der Woche gereinigt werden musste.
Die Bank vor dem Turm war ihr Lieblingsplatz, vor allem während der Ebbe, wenn sich mit lautem Hufschlag die Wattwagen vom Festland ankündigten. In genau festgelegter Reihenfolge fuhren sie vor und stellten sich auf dem Platz zwischen Leuchtturm, Inselkaufmann und Schullandheim auf. Dann wurden die Pferde ausgespannt, kauten gemächlich eine Ration Futter und erleichterten sich auf den jahrhunderte alten Steinen. Vermutlich waren sie verlegt worden als der Turm gebaut wurde, der vor einigen Jahren 700-jähriges Jubiläum hatte.
»Hey Margo, was ist mit deinem Nachbarn los«, rief ihr Jan, ein Wattwagenfahrer, zu, der sich manchmal während ihrer Zigarettenpause zu ihr auf die Bank setzte.
Sonst saßen die Tagesgäste, egal, zu welcher Uhrzeit sie eintrafen, mit dem Inselspezialgetränk Eiergrog, einem Kaffee oder Krabbenbrötchen auf der Terrasse vom Inselkaufmann unter den drei knorrigen Eichen. Doch heute waren seine Bänke aufeinandergestapelt und angekettet.
»Keine Ahnung«, sagte sie und dachte daran, dass Peter Hein offenbar am Abend vorher auch nicht zu Hause gewesen war, sie hatte ihn auch im »Seemannsgarn« nicht gesehen, obwohl dort fast die komplette Inselbevölkerung versammelt war.
Sie hatte gehört, dass ihr Nachbar manchmal am Morgen nicht rechtzeitig aufgeschlossen hatte, zumal in seinem Laden mit Ausschank und einem immer größer werdenden Gartenlokal manchmal bis in den späten Abend feuchtfröhlich gefeiert wurde. Aber an diesem Tag war das unwahrscheinlich, Niedrigwasser war gegen elf Uhr. Jeden Tag verschoben sich die Gezeiten um etwa eine halbe Stunde, das war das wichtigste Naturgesetz, denn hier diktierten noch immer die Gezeiten den Lebensrhythmus.
Aus dem kleinen Inselchen wurde ein hektischer Ort, wenn die Wattwagen für eine gute Stunde mehrere Hundert Menschen vor dem Turm absetzten. Margo war immer noch erstaunt, wie sich die ganze Stimmung von einer Sekunde auf die andere veränderte, und wie plötzlich nach der Abfahrt der Tagestouristen wieder Ruhe einkehrte.
Sie machte ihre Zigarette aus und beschloss, »Störtebekers Wunderkammer« einen Besuch abzustatten. Der kleine Laden befand sich unter der Pension im Turm, hatte aber einen eigenen Eingang, der über eine Stahltreppe zu erreichen war. Dort befanden sich noch die originalen Gewölbe, wo der Turmvogt, den die Hamburger Kaufleute zur Überwachung des Seeverkehrs in den Norden geschickt hatten, seine Amtsstube hatte. Unter seinen Räumen sollte angeblich der Pirat Störtebeker nach seiner Festnahme im Verlies geschmort haben. Mark Cors, der Ex-Schwiegersohn des Inselkaufmanns, der den Laden betrieb, hatte den berühmten Piraten verewigt. Sie trat ein und sah sich um, er hatte die Gewölbe weiß gestrichen und an vielen Stellen das Mauerwerk freigelegt, dazwischen standen Glasvitrinen mit seinen Schmuckkreationen aus Bernstein. Sie entdeckte ihn an einem der Glasschränke, wo er zwei älteren Damen seine Bernsteinschmuckstücke zeigte. Er breitete mehrere Colliers auf seinem Tresen aus und nickte Margo knapp zu. Sie wollte warten, bis er seine Kundschaft abgefertigt hatte, und sah sich nach neuen Kreationen und besonderen Bernsteinen um. Plötzlich kam eine blonde junge Frau auf hohen Absätzen in den Laden gestürmt und schrie mit überschnappender Stimme:
»Papa ist tot!«
Sie wurde von heftigem Schluchzen geschüttelt, dann sah sie Mark feindselig an und kreischte: »Aber du freust dich ja vielleicht.« Er wollte ihr nachgehen, aber sie war schon dabei, die Treppe hinab zu stürmen, und schrie ihm noch »Fass mich nicht an« zu.
Die beiden älteren Damen standen erschrocken und unschlüssig herum. Beinahe hätte die wütende Frau Margo, die an der Tür stehen geblieben war, umgerannt. Sie sah sie hasserfüllt an und kreischte weiter: »Du Schlampe, du Erbschleicherin. Ich kann mir denken, was du vorhattest.« Margo war völlig perplex, und ehe sie eine Antwort parat hatte, hörte sie nur noch das schnelle Hämmern der Absätze auf der Stahltreppe vor dem Laden.
»Meine Ex-Frau«, erklärte Mark überflüssigerweise.
Kapitel 4
Rike hörte das Zwitschern ihres Telefons schon, als sie die Tür noch gar nicht aufgeschlossen hatte. Eigentlich hatte sie frei, Überstunden abbummeln, und die Zeit für einen langen Spaziergang mit Prinz genutzt, ihren Mischlingsrüden, den sie vor einem halben Jahr aus dem Tierheim mitgenommen hatte. Das damals mitleiderregend winzige Häufchen Hund war inzwischen ein stattlicher Rüde geworden, dessen stürmische Liebesbekundungen eine weniger durchtrainierte und hochgewachsene Person umgeworfen hätten.
Obwohl sie ansonsten keine Frau war, die Probleme hatte, sich durchzusetzen, versagte ihre Autorität gegenüber ihrem Hundebaby, wie sie Prinz insgeheim noch nannte, das sie am Anfang mit der Flasche aufgepäppelt hatte. Sie nahm sich immer wieder vor, irgendwann mit dem Vierbeiner die Hundeschule zu besuchen. Jetzt zumindest schien er genauso erschöpft zu sein wie sie. Sie waren die drei Treppen von ihrem Haus zur Elbe hinuntergestiegen, wo Prinz sich am Strand ausgetobt hatte, und immer wieder vergeblich versucht hatte, Möwen zu fangen. Rike liebte es, den Binnenschiffen hinterherzusehen, die Sand oder Kies auf die Baustellen Hamburgs transportierten. Sie waren dann über eine Stunde elbaufwärts gelaufen, an Villen und einem Golfplatz vorbei, durch einen kleinen Wald und eine Fläche voll Heidekraut, eine Landschaft, die sie an ihre Kindheit erinnerte.
Das Handy, das zwischendurch verstummt war, zwitscherte leider schon wieder. Ärgerlich sah sie die Nummer der Polizeizentrale. Im letzten halben Jahr hatte sie Hunderte von Überstunden angesammelt, und doch wurde meistens sie angerufen, wenn Not am »Mann« war, schließlich war sie ja ledig und hatte keine Kinder.
»Von Menkendorf«, sagte sie schroff in den Hörer, als es wieder klingelte, und hörte überrascht die Stimme von Kriminaloberrat Karl Roth, dem obersten Leiter der Mordkommission. Der altgediente Kripomann war so etwas wie ihr Mentor, seit sie ihn noch als Jurastudentin nach der Vorlesung angesprochen und er sie ermutigt hatte, zur Polizeiakademie zu wechseln, um bei der Kriminalpolizei Karriere zu machen.
»Friederike, ich weiß, Sie haben sehr viele Überstunden gesammelt und noch nie eine Ermittlung geleitet. Aber wir haben einen Mordfall, und ich möchte, dass Sie diesen übernehmen. Ich bin davon überzeugt, dass Sie mittlerweile genug Erfahrungen haben, und die Fähigkeiten bringen Sie sowieso mit«, sagte er in einem schmeichelnden Ton und warb weiter: »Das ist auch eine große Chance für Sie.«
Offenbar gab es wirklich einen Engpass, dachte sich Rike und wusste in dem Moment, dass sie ihrem Mentor diese Bitte schlecht