Störtebekers Erben. Susanne Ziegert

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Störtebekers Erben - Susanne Ziegert

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der breiten Fensterbank ihres Leuchtturmzimmers in die Dunkelheit und konnte an einem Lichterband das gegenüberliegende Ufer von Sahlenburg erahnen, das nur zehn Kilometer entfernt in südlicher Richtung lag, und doch im Moment unerreichbar war. In der Ferne glitt ein Containerschiff vorüber, das aussah wie ein Hochhaus mit Festbeleuchtung. Im Osten der Insel befand sich die Schifffahrtsrinne in Richtung Elbe. Die Verbindung in den Hamburger Hafen war seit Jahrhunderten ein wichtiger Wasserweg, um diesen zu sichern, hatten die Senatoren vor über 700 Jahren diesen Turm gebaut. Lange bevor er ein Leuchtturm wurde, diente er der Überwachung der Nordsee. Vielleicht hatten genau hier, von der Fensterbank, wo Rike saß, Wachmannschaften nach feindlichen Piraten Ausschau gehalten. Damals waren die Öffnungen noch nicht verglast, die Männer Wind und Wetter ausgesetzt, allerdings stand damals bestimmt auch noch keine derart spießige Einrichtung im Raum. Sie hatte zweimal nachgefragt, ob das wirklich die Schlafräume der Senatoren waren. Die Einrichtung bestand aus einfachen Holzmöbeln, jede freie Fläche schien mit Blümchenstoff bedeckt zu sein, vor dem Fenster hingen Blümchenvorhänge, Blümchenkissen bedeckten die Fensterbank und natürlich zierten auch die Bettwäsche rosafarbene Rosen. Das Dekor stand so im Gegensatz zu dem Todesfall, den sie aufzuklären hatte. Wie gerne wäre sie jetzt eine ganz normale Urlauberin. Prinz hätte die Spaziergänge auf dem Deich genossen und wäre durch das Watt getollt. Langsam bürstete sie ihre langen, lockigen blonden Haare, die sie am Tag immer streng hochgesteckt hatte.

      Dieser Fall war deprimierend und beängstigend, und das auch noch nach Jahren bei der Mordkommission. Diese grausame Art der Tötung, die so gar nicht in diese Naturidylle passte und diese Insel inmitten der tosenden Naturgewalten zusätzlich bedrohlich machte. Rike dachte an Karl Roth und dessen Erwartung, dass sie den Mörder auf der kleinen Insel schnell finden würde, sie hoffte, dass sie seinen Erwartungen gerecht werden konnte. Sie hatte alle Gespräche, die sie geführt hatte, zusammengefasst und wollte nochmals alle Informationen durchgehen. Vielleicht ergab sich mit etwas zeitlichem Abstand irgendein Ansatzpunkt.

      Es war häufiger so, dass die Angehörigen ein Mordopfer als Menschen ohne Fehl und Tadel darstellten, dem niemand etwas Böses gewollt haben könnte. Auch die Tochter des Opfers, Barbara Hein, hatte das Offensichtliche zunächst nicht glauben wollen, dass ihr Vater durch einen Mord ums Leben gekommen war, dieser bei allen so beliebte Inselkaufmann, der sieben Tage in der Woche für seine Kunden da war.

      Nur konnte man in diesem Fall ausschließen, dass er durch einen Unfall ums Leben gekommen war. Barbara Hein hatte ihren Ex-Mann als einzig möglichen Verdächtigen genannt, allerdings lebten die beiden gerade in Scheidung.

      Von Anfang an hatte Hein seinen Schwiegersohn nicht gemocht und mit seiner Meinung nicht gerade hinter dem Berg gehalten, das hatte ihr der Ortsvorsteher verraten. Nach der Trennung hatte er Cors auch wirtschaftlich das Wasser abgraben wollen, indem er in seinem Inselladen auch Bernsteinschmuck und allerlei Modeartikel ins Sortiment aufnahm und diese stets günstiger anbot als der kleine Laden im Leuchtturm.

      Natürlich war Cors empört über dessen Geschäftsgebaren. Das hatte er offen eingeräumt, als sie ihn in seinem Laden im Leuchtturm aufgesucht hatte. Er hatte jedoch ein wasserdichtes Alibi für den ganzen Abend. Denn er war auch nach der Trennung von seiner Frau Mitglied der Inselfeuerwehr geblieben, und an dem Abend hatten sich vier Kameraden im Feuerwehrschuppen getroffen und das Rettungsboot repariert. Auf der Insel kannte nicht nur jeder jeden, es gab auch ein komplexes Beziehungsnetzwerk, wer mit wem in der Feuerwehr, im Leuchtturmverein war oder miteinander die Schulbank gedrückt hatte. Dazu kamen Liebschaften, Exliebschaften, Ehen zwischen den Familien und Ex-Ehen. Sie mussten morgen nochmals bei den Freunden des Kaufmanns nachhaken, um sich ein besseres Bild von ihm zu machen. Der Inselbürgermeister Kai-Uwe König war offenbar seit früher Jugend mit ihm befreundet ebenso wie der Sänger Jo Prell.

      Der Alte, der immer mit seinem Fernglas im Rollstuhl auf dem Platz vor dem Leuchtturm saß, hatte auf Plattdeutsch gekrächzt: »Bagaluten, Bagaluten, de Hein. Dat hat so kommen müssen.« Etwas Konkretes ließ er sich auch auf mehrfache Nachfrage nicht entlocken. Aber Rike hatte erfahren, dass Bagaluten auf Plattdeutsch Bösewichte bedeutete. Allzu viel wollte sie jedoch darauf nicht geben, denn der alte Herr schien doch reichlich verwirrt zu sein, wenn man seinem Gerede lauschte.

      Rike seufzte, als sie ihren Computer verstaute.

      Nachdem der Tote mit der »Libelle« in die Gerichtsmedizin geflogen worden war, hatte sich das Team im Ratssaal des Leuchtturms versammelt und seine bisherigen Erkenntnisse ausgewertet. Viele Ansatzpunkte hatten sie nicht. Sie hatten weder ein Mobiltelefon des Opfers gefunden noch hatte die Auswertung der in der Funkzelle benutzten Mobiltelefone brauchbare Hinweise ergeben. Ihr war dann noch eine Aussage eingefallen, die sie noch nicht aufgeschrieben hatte, weil Heins Tochter dies erst erwähnt hatte, als sie die Vernehmung eigentlich schon abgeschlossen hatte und gerade gehen wollte. Diese Margo, die Rezeptionistin im Leuchtturm, sollte sich an den Kaufmann herangemacht haben. Wie lange war die nochmal auf der Insel? Die Tochter hatte sie im Verdacht, den Alten beerben zu wollen. Rike nahm sich vor, die Wirtin schnellstmöglich zu befragen, denn sie war die nächste Nachbarin des Opfers gewesen.

      Kapitel 8

      Margo glaubte sich noch mitten in ihrem Traum, dann schreckte sie aus dem Schlaf hoch. Es klopfte leise an ihre Tür, nach einem Moment Stille ging das Klopfen weiter.

      Schlaftrunken torkelte sie der schweren Eichentür entgegen. Als sie einen Spalt geöffnet hatte und den stechenden Schmerz im Handgelenk fühlte, dachte sie an die Ereignisse vom Vortag.

      Da sah sie Paul und wollte die Tür sofort wieder zudrücken. »Rezeption geschlossen«, murmelte sie. Da hielt er den Bilderrahmen mit dem Foto hoch, den sie vermisst hatte.

      »Gehört dir das vielleicht?«

      »Wo haben Sie das her?«, fragte sie ärgerlich und nahm ihm den Rahmen mit der unverletzten Hand ab.

      »Als Archäologe finde ich so einiges.«

      »Haben Sie immer so eine zuvorkommende Art wie vorhin?«

      »Wir waren doch beim Du«, antwortete Paul.

      »Ach ja, und das gibt Ihnen das Recht, mich umzurennen wie ein Irrer?«, fragte Margo wütend.

      »Umrennen gehört nicht zu meinem Flirtrepertoire«, parierte Paul.

      Entweder wusste er nicht, worauf sie anspielte, oder er konnte es gut verbergen. Sicher war sie sich nicht über die Identität des Schattenmanns. Einen Mitwisser wollte sie allerdings auch nicht für ihren Ausflug haben. Wie sollte sie erklären, was sie einen Tag nach dem Mord im Haus des Toten gesucht hatte?

      Aber was wollte der Mann um ein Uhr nachts an ihrer Zimmertür?

      »Und nächtliche Zimmerbesuche gehören sehr wohl zu Ihrem Flirtrepertoire? Da muss ich Sie bei den Erfolgsaussichten aber leider enttäuschen«, beschied ihm Margo kühl.

      Paul zögerte. »Tut mir leid, Frau Wirtin. Ich habe eine Bitte und konnte nicht bis morgen warten. Ich würde gerne ein paar Papiere von dir aufbewahren lassen, falls das möglich wäre. Das darf auf keinen Fall in die falschen Hände kommen. Damit meine ich auch eine gewisse Dame, die im Hause logiert.« Er zeigte nach oben in Richtung Senatsetage, wo die Polizisten untergebracht waren.

      Margo wurde hellhörig: »Warum sollte sich diese Dame für Ihre Papiere interessieren?«

      »Nun ja, wegen Hein …«, stammelte Paul. »Ich stehe schon seit Jahren mit ihm im Kontakt. Er war ein Sammler seltener Urkunden und Karten und hat mir Material verkauft.«

      »Und dabei ist etwas schief gelaufen, und er ist ums Leben gekommen?«, fragte Margo ihn provokativ.

      Paul

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