Syltwind. Sibylle Narberhaus

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Syltwind - Sibylle Narberhaus

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Uwe schenkte ihm einen erstaunten Blick. »Deine schlechte Laune von heute früh«, half Nick ihm auf die Sprünge.

      »Ach so, das meinst du. Was soll ich sagen, Achtermann hat mich mit seiner Anwesenheit beehrt.« Dann berichtete er von der Stippvisite des Staatsanwaltes und dem damit verbundenen Anliegen.

      »Na toll, du darfst für die nächsten Wochen den Babysitter spielen«, feixte Nick. »Pass bloß auf, dass der jungen Dame während der Zeit kein Haar gekrümmt wird, sonst dreht Achtermann durch und sägt an deiner Karriereleiter.« Er lachte und klopfte seinem Kollegen freundschaftlich auf die Schulter.

      »Sehr witzig! In diesem Fall hat er vermutlich mehr Sorge um seine eigene Beförderung.« Uwe stöhnte genervt. »Das passt mir im Augenblick alles überhaupt nicht. Tina ist zur Kur, ich muss mich zu Hause um alles allein kümmern, und obendrein haben wir einen Mord und den Einbruch am Brandenburger Strand aufzuklären. Für die Rolle des Aufpassers habe ich momentan weder Zeit noch Nerven. Ich hatte mir fest vorgenommen, während Tinas Abwesenheit ein Gartenhaus zu bauen. Das wünscht sie sich seit Langem, es soll eine Überraschung werden.«

      »Ich könnte dir behilflich sein«, schlug Nick vor. »Wir bauen deine Hütte, und nebenbei schmeißen wir ein Steak auf den Grill und trinken ein paar Bierchen. Ein richtiger Männerabend. Was hältst du von der Idee?«

      »Das klingt gut, aber du solltest deine Zeit lieber mit Anna verbringen, jetzt wo Christopher mit deinen Schwiegereltern Urlaub macht. Diese Woche wird das ohnehin noch nichts, dafür haben wir zu viel zu tun. Ich weiß echt nicht mehr, wie ich das alles mit der dünnen Personaldecke wuppen soll. Dauernd versprechen sie uns zusätzliche Stellen, aber passieren tut nichts. Das Gartenhaus wird wohl noch eine Weile warten müssen«, bemerkte Uwe zerknirscht.

      »Dann sag Achtermann das«, schlug Nick vor.

      »Dass ich ein Gartenhaus bauen will? Bist du übergeschnappt? Damit wäre ich erst recht erledigt.«

      »Natürlich nicht. Sag ihm, dass du aufgrund der laufenden Ermittlungen keine Zeit für das Mädchen hast. Das kann er sicherlich nachvollziehen. Ihm sollte doch auch daran gelegen sein, dass der Mord schnellstmöglich aufgeklärt wird.«

      »Da kennst du Achtermann aber schlecht! Ausreden lässt er prinzipiell nicht gelten.«

      Nach dem Besuch in der Werbeagentur war ich die Westerländer Promenade ein Stück entlang flaniert, hatte währenddessen ein Eis gegessen und dem Treiben am Strand zugesehen. Die Strandkörbe waren nahezu vollständig belegt. Unten am Flutsaum spielten Kinder, buddelten tiefe Löcher im Sand oder bauten wahre Kunstwerke aus Sand, die sie mit gesammelten Muscheln verzierten. Die fertigen Objekte wurden anschließend fotografisch festgehalten, da sie spätestens mit der nächsten Flut der Vergangenheit angehörten. Nun machte ich mich auf den Rückweg nach Morsum. Aus einer spontanen Eingebung heraus rief ich von unterwegs meine Freundin Britta an, die gemeinsam mit ihrem Mann Jan und den Zwillingen Ben und Tim in Rantum wohnte.

      »Hallo, Anna!«, meldete sie sich, wobei mir sofort auffiel, dass ihre Stimme ungewöhnlich sorgenvoll klang.

      »Britta! Ich komme gerade aus Westerland und dachte, du hättest vielleicht Lust und Zeit, mit mir einen Kaffee zu trinken? Du weißt ja, ich bin gerade kinderlos und kann mir die Zeit frei einteilen. Wie sieht es bei dir aus?«

      »Ach, Anna! An der Lust mangelt es grundsätzlich nie, das weißt du, aber die Zeit macht mir augenblicklich einen Strich durch die Rechnung. Momentan läuft alles ein bisschen aus dem Ruder«, seufzte Britta aus tiefstem Herzen.

      »Was ist los? Das klingt nicht gut.«

      »Ist es auch nicht. Jan ist heute Nacht ins Krankenhaus gekommen, und ich weiß gar nicht, wo mir der Kopf steht.«

      »Du meine Güte! Wie geht es ihm? Was hat er?« Mir wurde schlagartig flau im Magen.

      »Eine Blinddarmentzündung. Heutzutage nichts Spektakuläres mehr, ich weiß, aber Sorgen mache ich mir trotz allem«, gab Britta zu, die für gewöhnlich nicht leicht zu erschüttern war. »Obwohl er Schmerzen hatte, hat er den Gang zum Arzt so lange hinausgezögert, bis er es nicht mehr aushalten konnte. Jetzt mussten sie ihn sogar notoperieren. Ich bin gerade auf dem Sprung in die Klinik.«

      »Kann ich irgendetwas für dich tun? Soll ich mich um die Jungs kümmern?«

      »Danke, aber nicht notwendig. Tim und Ben gehen nach der Schule zu meinen Schwiegereltern, und im Hotel läuft es für ein paar Stunden hoffentlich ohne mich.« Ihre Stimme klang matt.

      »Okay. Bitte melde dich sofort, wenn du meine Hilfe brauchst. Und wünsche Jan gute Besserung!«

      »Danke, Anna, das ist lieb von dir. Ich werde es ausrichten. Ausgerechnet jetzt ist Frank im Urlaub! Ich hätte es lieber gesehen, wenn er Jan operiert hätte.«

      »Mach dir keine Sorgen. Frank wäre nicht in den Urlaub geflogen, wenn er nicht wüsste, dass seine Patienten in guten Händen sind. Er ist nicht der einzige gute Arzt in der Klinik«, versuchte ich sie aufzumuntern.

      »Ich weiß, aber er ist halt der Beste!«

      Diesbezüglich musste ich Britta zustimmen, denn Dr. Frank Gustafson war ein ausgezeichneter Arzt, der uns mehrere Male in brenzligen Situationen medizinisch sehr geholfen hatte. Seit einiger Zeit war er mit Nicks Schwester Jill liiert. Augenblicklich tourte das Paar durch Kanada, wo Jill geboren und aufgewachsen war und auch Nick einen Großteil seines Lebens verbracht hatte.

      Als ich das Friesendorf Morsum im Osten Sylts erreicht hatte, folgte ich der Hauptstraße, um beim »Hansen Hof« frische Eier zu kaufen. Auf dem umzäunten Gelände am Hof liefen unzählige braun gefiederte Hühner unter freiem Himmel umher, pickten frisches Gras oder genossen ein ausgiebiges Sandbad. Ich ergatterte den letzten Parkplatz vor dem Hofladen. Neben den Eiern landeten zudem ein Sack Kartoffeln sowie ein Glas Galloway-Bolognese, die Nick und ich gleichermaßen gerne aßen, eine Salami und eine Flasche selbst gemachter Eierlikör im Einkaufskorb. Meine Mutter liebte diesen Likör, daher wollte ich ihr eine Freude damit machen, wenn sie aus dem Urlaub zurückkam.

      Ich hatte gerade die Haustür aufgeschlossen, da drängelte sich Pepper ins Freie.

      »Hallo, Pepper!«, begrüßte ich unseren vierbeinigen Mitbewohner, der mich schwanzwedelnd umkreiste und seine Nase neugierig in den Einkaufskorb steckte. »Da ist nichts für dich dabei. Aber wir beide drehen gleich eine Runde.«

      Ich hielt mein Versprechen und schwang mich wenig später auf mein Fahrrad, um mit dem Hund eine Tour durch die Morsumer Feld- und Wiesenlandschaft zu unternehmen. Während ich kräftig in die Pedale trat, jagte Pepper im gestreckten Galopp und fliegenden Ohren neben mir her. Es war ihm deutlich anzumerken, dass er dringend Bewegung benötigte. Nach unserem Ausflug zog ich mich mit einer Tasse Tee in mein Arbeitszimmer zurück, um an einem neuen Entwurf zu arbeiten. In zwei Wochen musste ich meinem Auftraggeber den Vorschlag für eine Gartenneuanlage vorlegen. Auf dem Weg zu meinem Schreibtisch kam ich an Christophers Kinderzimmer vorbei, und mein Herz zog sich für einen Moment sehnsuchtsvoll zusammen. Das fröhliche Lachen fehlte, und seine bloße Abwesenheit riss ein riesiges Loch in meinen Alltag. Schnell tröstete ich mich mit dem Gedanken, dass er bei meinen Eltern gut aufgehoben und wieder hier war, eh ich mich versah.

      »Reiß dich zusammen und werde bloß nicht sentimental und albern, Anna!«, befahl ich mir selbst und blinzelte eine aufsteigende Träne weg. Um auf andere Gedanken zu kommen, schaltete ich »Antenne Sylt« ein und stürzte mich in meine Arbeit. Dieser Radiosender hatte sich im Laufe der Zeit zu meinem Lieblingsradiosender aufgrund der abwechslungsreichen Musik und der aktuellen

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