Fernwehträume. Hermann Bauer
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Da kam auch schon der Apfelstrudel mit den extra vielen Rosinen und der Schale Kaffee, von Leopold liebevoll gebracht. Susi stach sich mit der Gabel ein Stück herunter und schob es sich genießerisch in den Mund. Für den Augenblick wollte sie alle Probleme vergessen.
Gedankenverloren blickte sie zum Fenster hinaus in den grauen Nebel. Dabei meinte sie für einen Augenblick, die Freiheitsstatue aus der milchigen Suppe auftauchen zu sehen.
*
Noch einmal öffnete sich die Kaffeehaustür und ein später Gast trat ein. Er ging ein wenig unsicher Richtung Theke, rieb sich dabei die Hände, um sich aufzuwärmen, und schaute sich um. Seine Augen suchten Leopold, der gerade von hinten kam, wo die Tarockrunde überraschend noch fünf Achteln bestellt hatte. Es war genau 23 Uhr.
»Ja, der Stefan!«, rief Leopold überrascht. »So spät noch? Wie steht denn das werte Befinden?«
Stefan schaute grimmig, um erst gar keinen Zweifel an seiner schlechten Laune aufkommen zu lassen. »Beschissen«, sagte er. »Ziemlich beschissen.«
Leopold verzog leicht das Gesicht. Zum einen verbat er sich einen solchen Ton in diesen hehren Hallen, zum anderen hatte Stefan augenscheinlich ganz schön geladen. Wenn er um diese Zeit kam, hatte er eigentlich immer ganz schön geladen. Und da konnte der Abend noch einigermaßen anstrengend werden.
»Bring mir ein großes Bier, aber schnell, bitte!«, sagte Stefan und fuhr sich mit der Hand unwirsch durch sein dunkelbraunes, leicht gewelltes Haar. Stefan Wanko war mittelgroß, relativ schlank, gepflegt und immer elegant gekleidet. Sein ›Markenzeichen‹ war seine schwarze Lederjacke, unter der er heute ein weißes Hemd mit hellblauer Krawatte und einen grauen Anzug trug. Sein Gesicht wirkte auch in betrunkenem Zustand noch angenehm, obwohl er alles tat, um einen gegenteiligen Eindruck zu erwecken. Kein Wunder, dass Stefan als Versicherungsvertreter Erfolg hatte, kein Wunder auch, dass, was ihm noch mehr bedeutete, die Frauen nur so auf ihn flogen. Nur der genaue Beobachter – und Leopold war ein solcher – erkannte bereits die Spuren eines kurzen, bewegten Lebens an ihm. Stefan war erst Anfang 30.
Leopold stellte ihm das Bier auf die Theke, dann trug er die fünf Achteln nach hinten und machte die Karambolespieler darauf aufmerksam, dass in zehn Minuten Billardschluss sein würde. Beim Zurückgehen hörte er schon Stefans klagende Stimme:
»Nein, da soll einer klug werden aus den Weibern!«
Also daher wehte der Wind. Stefan hatte wieder einmal Probleme mit einer Frau. Das war keine Seltenheit, das war eigentlich bei Stefan die Regel. Meistens lernte er eine kennen, schwärmte von ihr über die Maßen, hatte die vorzüglichsten Absichten – nur, um dann unweigerlich wieder in seine alten, ausschweifenden Lebensgewohnheiten zurückzufallen. Dann gab es Schwierigkeiten, die er im Kaffeehaus bereden musste. Leopold gefiel das – er redete gern über Frauen, wahrscheinlich, weil er selbst keine hatte. Deshalb nahm er Stefan manchmal auch gegenüber der Chefin in Schutz, wenn sie, so wie jetzt, einen finsteren Blick in seine Richtung warf. Er konnte mit Stefan mitfühlen, wenngleich er seine Exzesse nicht guthieß.
Leopold dachte krampfhaft nach, wie Stefans jetzige Freundin heißen mochte. Vor Kurzem war noch eine Barbara aktuell gewesen, aber wer weiß …
»Hinausgeschmissen hat sie mich, einfach so!«, brummte Stefan in sein Bier, nachdem er einen großen Schluck genommen hatte.
»Die Babsi?«
»Ja!«
»Aber geh!«, bemerkte Leopold.
»Ja, heute! Ich komme von der Arbeit nach Hause zu ihr, sagt sie einfach, ich kann gleich wieder gehen. Und morgen soll ich meine Sachen holen. Sie will Schluss machen.«
»Hast am Wochenende leicht (denn) blau gemacht?«, fragte Leopold.
»Ja«, sagte Stefan einsilbig.
Es war immer dasselbe. War Stefan einmal unterwegs, bedeutete eine Nacht gar nichts. In diesen Fällen nahm er es auch mit der Treue nicht so genau. Für einen kleinen Seitensprung genügte dann ein hübsches, junges weibliches Wesen, das sich seine Probleme anhörte, ihn in seine Wohnung mitnahm und von seinen sexuellen Fähigkeiten im Vollrausch angetan war. Man musste froh sein, dass er nach solchen Ausrutschern noch den Ehrgeiz hatte, seinen beruflichen Verpflichtungen nachzukommen.
»Ist es wirklich aus?«, fragte Leopold.
»Scheint so!«
»Und da möchtest du heute wieder nicht schlafen gehen? Geh, komm! Du hast doch da vorne noch deine kleine Wohnung. Ruh dich ein bisschen aus. Morgen schaut die Welt wieder ganz anders aus.«
Diese Feststellung ließ einen Ruck durch Stefans Körper gehen. In seine Junggesellenbude zog er sich nur mehr in Notfällen zurück. Noch weigerte er sich, seine jetzige Situation als Notfall zu betrachten.
»Es ist alles beschissen«, sagte er. »Ich möchte jetzt nicht allein sein.«
In diesem Moment rief Frau Susi ein lautes »Zahlen!« aus der hinteren Loge nach vorne. Sie war schon spät dran. Aber auch sie hatte nicht allein sein wollen vor der Zusammenkunft, die ihr heute noch ins Haus stand.
»Komme sofort«, sagte Leopold und raunte zu Stefan:
»Siehst, die wär jetzt was für dich. Wohnt nur zwei Häuser weiter und ist alleinstehend. Aber Vorsicht: Die hat in ihrem Leben noch keinen Mann gehabt!«
»Ja, die würde gerade passen«, lachte Stefan. »Aber wirklich, ohne Spaß! Sag, ist das nicht die süße Susi, eure Zuckerpuppe?«
Leopold nickte. »Ich weiß nur nicht, was sie jetzt noch da macht. Normalerweise ist sie um diese Zeit schon im Bett.«
»Mit der könnte ich wenigstens noch ein bisschen plaudern«, sagte Stefan.
›Könntest du, wenn du nüchtern wärst‹, dachte Leopold nur und schritt bedächtig zum Inkasso. Anschließend half er Frau Susi in ihren nicht mehr modernen, aber auch nicht abgetragenen dunkelblauen Mantel:
»Vielen Dank, gnädige Frau, und beehren Sie uns bald wieder. Morgen?«
»Nein, erst übermorgen. Morgen ist ja Klub!«, sagte Frau Susi.
»Ach so, morgen geht’s wieder in die große weite Welt. Na, dann halt übermorgen. Passen Sie nur schön auf bei dem Nebel, dass Ihnen nichts passiert. Man sieht ja kaum mehr die Hand vor den Augen.«
»Mir passiert schon nichts. Ich wohn ja nicht weit.«
»Ich geh ein Stückchen mit Ihnen!«, hörte man Stefan von der Theke her lallen.
»Hören Sie nicht auf den«, beruhigte Leopold. »Ich hab ihn schon unter Kontrolle. Er meint es nicht so! Gute Nacht!«
»Und ob ich es so meine«, sagte Stefan, nachdem Susi verschwunden war.
»Jetzt reiß dich doch zusammen«, fauchte Leopold. »Du fängst an, mir die Gäste zu vertreiben!«
»Du bist selber schuld, Leopold. Schäkerst da mit der Zuckerltante und lässt mich alleine an der Theke stehen. Wo ich doch heute nicht allein sein will und kann. Ich brauche Betreuung, Leopold, Betreuung und Liebe! Ich brauche Menschen um mich.«
»Dein