Fernwehträume. Hermann Bauer
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Damit hatte sie ihren Klassenvorstand kalt erwischt. Thomas verschlug es die Sprache.
»Donnerwetter«, stammelte er. »Weißt du das schon lange?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ein paar Tage erst. Und da wollte ich gleich mit Ihnen darüber reden. Ich meine, Sie müssen das ja wissen, und hier redet es sich leichter als in der Schule.« Sie nahm einen Schluck von ihrem Cola. »Ich weiß ja jetzt gar nicht, ob ich zur Reifeprüfung antreten kann, die Geburt ist Anfang Juni. Ich glaube, ich komme da in einen ganz schönen Schlamassel.«
»Nein, nein«, versuchte Thomas sie zu beruhigen. »Das mit der Matura kriegen wir schon irgendwie hin. Du musst zunächst einmal den Klassenabschluss schaffen, das ist das Wichtigste. Der ist Ende April, also müsste es sich ausgehen, wenn alles normal läuft. Einen Prüfungstermin finden wir dann schon für dich, auch wenn es sich nicht zum Haupttermin mit den anderen machen lässt. Du könntest etwa die Klausurarbeiten noch im Mai schreiben und dann mündlich im Oktober antreten oder aber alle Prüfungen im Herbst machen. Das ist nicht so schlimm. Zuerst einmal die Klasse, wie gesagt …«
»Von wem ist es denn?«, platzte Gabi dazwischen, die es vor lauter Neugier nicht mehr auszuhalten schien.
Isabella drückte sich um die Antwort herum. Sie trank hastig ihr Cola aus.
»Du musst es nicht sagen«, meinte Thomas mit einem vorwurfsvollen Blick auf Gabi.
»Doch, doch, es muss ja einmal heraus. Die Frage wird mir sicher noch öfter gestellt werden.« Isabella lächelte scheu. »Also, es ist vom … Erich.«
»Vom Erich?« Gabi beugte ihren Oberkörper mitsamt einer frisch angezündeten Zigarette weit über den kleinen Kaffeetisch und hielt sich die Hand vor den Mund, weil sie ein Lachen nicht unterdrücken konnte. »Das ist doch nicht möglich!«
»Es ist möglich!« Isabellas Ton wurde jetzt bestimmter. »Ich werde dir alles einmal erzählen, Gabi, und Ihnen vielleicht auch, aber bitte nicht jetzt. Für den Augenblick möchte ich nur, dass Sie Bescheid wissen, Herr Professor!«
Erich war Erich Nowotny, Sohn des Bauunternehmers und Mitglieds der Bezirksvertretung Ferdinand Nowotny. Er besuchte dieselbe Klasse wie Gabi und Isabella. Unter seinen Mitschülern galt er als durchaus ansehnlich, freundlich und hilfsbereit, aber auch ein wenig verklemmt und schüchtern. Es war ein offenes Geheimnis, dass er sich für Isabella interessierte, allerdings, so hieß es, ohne Erfolg. Sie hatte ihn zumindest öffentlich schon mehrmals abblitzen lassen.
»Weiß Erich es schon?«, fragte Thomas.
»Ja!« Es war ein kurzes, unliebsam hingeworfenes ›Ja‹.
»Und was … was werdet ihr jetzt machen?« Thomas bereute seine Frage, kaum dass er sie gestellt hatte. Er durfte als Klassenvorstand nicht so neugierig sein.
»Wir wollen heiraten«, sagte Isabella beinahe noch eine Spur kühler.
Gabi löste die sich anspannende Situation. »Komm«, sagte sie zu Isabella. »Gehen wir gemeinsam vor zur Schule und plaudern wir noch ein bisschen.« Sie konnte ihre Neugier kaum verbergen.
Isabella überlegte kurz, dann nickte sie, stand auf, nahm Mantel und Tasche und verabschiedete sich von ihrem Klassenvorstand. Gabi griff Thomas im Vorbeigehen auf die Schulter, als ob sie sich entschuldigen wollte, sagte:
»Tschüss, bis später!« und verließ gemeinsam mit Isabella das Lokal.
Zurück blieb ein einigermaßen verdatterter Thomas Korber. Aufpassen, dass es mit Gabi nicht so geht wie mit Isabella und Erich, dachte er. Das konnte er in der jetzigen Situation am wenigsten brauchen. Seine derzeitigen Gefühle waren nicht erlaubt, das wusste er, aber so sehr er sie auch hinterfragte, sie waren stärker als jedwede Rücksichtnahme auf seinen Beruf oder irgendwelche moralischen Wertvorstellungen.
›Was bin ich doch für ein Idiot‹, sagte er zu sich, während er hastig seinen Kaffee austrank und Leopold zum Zahlen rief.
Leopold schien von irgendwo weit her zu kommen. Er hatte in den vielen Jahren seiner Tätigkeit als Kellner gelernt, so unauffällig wie möglich die Nähe eines Tisches zu suchen, an dem sich eine interessante Entwicklung anbahnte. Auf diese Weise konnte er den Großteil einer Unterhaltung verfolgen, ohne dass es den Beteiligten auch nur im Geringsten auffiel. Er war, wie immer, bestens informiert, als ihn Thomas über die Schulter fragte:
»Na, was sagst du zu diesen Neuigkeiten?«
»Was soll ich sagen«, meinte er nur kurz, als er das Geld einstreifte. »Übers Jahr ist Hochzeit, kannst Gift drauf nehmen.«
*
Leopold sog tief und genüsslich an seiner Zigarette. Sein Dienst war gleich vorüber, und draußen schien sich die schwache Novembersonne gegen den Nebel durchzusetzen. Was wollte man mehr? Er musste nur noch warten, bis sein Kollege ›Waldi‹ Waldbauer in seiner Kellnerlivree herunterkam, dann konnte er sich umziehen, nach Hause gehen, einen Nachmittag und Abend ohne Kaffeehaus verbringen.
Was er tun würde? Zunächst einmal ein paar Stunden ausruhen, dann einen Sprung stadtauswärts fahren, zum ›Fuhrmann‹, einem kleinen Heurigenlokal, wo er wahrscheinlich Thomas treffen würde. Er wollte in aller Ruhe mit ihm reden. So durfte das nicht weitergehen. Ein Blinder hatte heute sehen können, dass er dieser Gabi nachstieg. Nicht nur, dass er sich damit vor Schülern und anderen Kaffeehausgästen lächerlich machte, er setzte sich auch jederzeit der Gefahr einer Denunziation aus. Das konnte ihn seinen Beruf kosten. Und was Gabi betraf, die spielte doch nur mit ihm, das war doch niemals ernst gemeinte Zuneigung.
Er musste mit Thomas sprechen.
Es war jetzt Viertel nach zwölf. Warum der ›Waldi‹ nur immer so lange mit dem Umkleiden benötigte. Eine großartige Bestellung konnte Leopold jetzt nicht mehr brauchen. Ganz in Gedanken versunken, merkte er gar nicht, wie die kleine, zerfurchte Gestalt, die plötzlich vor ihm stand, ins Lokal gekommen war. Es war Herr Berger, der Kostgänger von Frau Susi, der um diese Zeit normalerweise mit einem Schnitzel und nicht wie jetzt mit den Tränen kämpfte.
»Ja, grüß Sie, Herr Berger, Mahlzeit!«, begrüßte ihn Leopold. »Aber was haben Sie denn? Sie sind ja ganz aufgelöst.«
»Was ich habe?« Herr Berger bemühte sich, so deutlich zu sprechen, wie es in seinem derangierten Zustand möglich war. »Ich wollte nur zur Frau Susi essen gehen wie immer. Da hat es mich schon gewundert, dass mir niemand aufgemacht hat. Also habe ich meinen Schlüssel genommen und zuerst das Haustor und dann die Wohnungstür aufgesperrt.«
»Und?«, fragte Leopold.
»Nichts und. Auf dem Boden ist sie gelegen, die Frau Susi! Tot ist sie! Den Kopf hat ihr einer eingeschlagen!«
»Um Gottes willen!«
Leopold wirkte nach außen hin schockiert und ergriffen, durchdachte die Situation jedoch in seinem Inneren sofort rational und logisch. Ein Gast war tot, ein guter Gast sogar. Das stand zu bedauern. Andererseits war offensichtlich ein Verbrechen geschehen. Und Verbrechen gehörten zu den geheimen Passionen des Obers Leopold. Er liebte nichts mehr als eine Schreckenstat in seiner näheren Umgebung.
Seit er einmal mitgeholfen hatte, einen biederen Kaffeehausgast als