Fernwehträume. Hermann Bauer

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Fernwehträume - Hermann Bauer

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angezeichneten Dokumentationen hieß ›Metropolen der Welt: Chikago‹ und war als Wiederholung von 0.30 Uhr bis 1.15 Uhr gelaufen.

      Immerhin etwas. Möglicherweise hatte sich Susi Niedermayer diese Sendung noch angesehen, ehe – oder während – sie auf ihren Mörder getroffen war. Die Leiche lag jedenfalls schon länger da, und außerdem war ein gewaltsamer Tod im Morgengrauen statistisch eher unwahrscheinlich.

      Erst jetzt fiel Leopold der eigenartige Geruch auf. Es roch in der Wohnung nach Rauch, wenn auch nur schwach. Zuerst hatte er es gar nicht richtig wahrgenommen. Seine Nase war an die verrauchte Kaffeehausluft so gewöhnt, dass ihm dieser leichte Geruch nach Zigarettenrauch gar nicht aufgefallen war. Aber jetzt merkte er es umso deutlicher: Hier hatte jemand geraucht, und er glaubte nicht, dass es Frau Susi gewesen war.

      »Herr Berger, haben Sie die Frau Susi jemals rauchen gesehen?«, rief Leopold ins Vorzimmer.

      »Nicht, dass ich wüsste«, kam es trocken von dort zurück. »Wann rufen Sie endlich an? Das Telefon steht neben dem Fernseher.«

      »Gleich, Herr Berger, gleich! Ich kann nicht zaubern«, sagte Leopold. Dann warf er einen Blick ins Schlafzimmer und entdeckte auch hier Seltsames. Links über dem breiten Doppelbett, dessen Sinn Leopold jetzt nur mehr durch eine gewisse körperliche Verbreiterung bei Frau Susi begründet sah, das aber früher einmal beiden Schwestern als Schlafstatt gedient haben mochte, hing die eingerahmte Fotografie einer weiten Prärielandschaft. Der Platz rechts daneben war frei, eine etwa 50x70 cm große Fläche, bei genauerer Betrachtung heller als der Rest der Wand. Was auch immer dort gehangen hatte, hing jetzt nicht mehr da.

      Das Bett selbst war unberührt. Frau Susi hatte sich also noch nicht schlafen gelegt, als sie umgebracht wurde.

      »Kommen Sie, Leopold, rufen Sie an!«, klang es ungeduldig aus dem Vorzimmer.

      »Jetzt beruhigen Sie sich doch, Herr Berger, und beantworten Sie mir noch eine Frage: Wie viele Bilder hängen für gewöhnlich über dem Bett der Frau Susi?«

      »Ach, Sie meinen die zwei komischen Fotos? Da ist das eine, das einmal jemand von ihr und so einem Kerl mit Cowboyhut gemacht hat – furchtbar geschmacklos – und das andere, das … das …«

      »Von der Prärie?«

      »Von der Prärie, genau. Was soll diese Fragerei?«

      »Sie werden schon sehen, Herr Berger, alles hat seine kriminalistische Notwendigkeit. Und noch etwas ist wichtig: Wie gründlich war immer aufgeräumt, wenn Sie zum Mittagessen gekommen sind?«

      »Mir tut es langsam schon leid, dass ich Sie überhaupt bemüht habe, Leopold. Sie scheinen ja gar nicht an den Anruf zu denken! Aber bitte. Die Frau Susi war keine schlampige Person, wenn Sie das meinen, sie hat schon auf sich und die Wohnung geschaut. Nicht übertrieben allerdings.«

      »Es lag also ab und zu etwas herum?«

      »Ja, sicher! Aber das hat nicht weiter gestört. Mich zumindest nicht.«

      Und jetzt lag nichts herum außer der Leiche. Alles sah blitzblank zusammengeräumt aus. Der Täter hatte sich reichlich bemüht, alle Spuren zu verwischen. Wie gut ihm das gelungen war, würden die Leute von der Spurensicherung herausfinden. Jedenfalls handelte es sich um eine gründliche Person, und es war einstweilen völlig unklar, ob etwa Geld oder Wertgegenstände fehlten. Eine Tatwaffe war natürlich auch nirgendwo auszumachen.

      Leopold durchquerte den Vorraum, sagte automatisch:

      »Gleich, Herr Berger, gleich«, und warf noch rasch einen Blick in die Küche. Dort herrschte schon ein wenig mehr Unordnung. Schmutziges Geschirr stand im und neben dem Abwaschbecken. Leopolds Augen suchten nach irgendetwas, einem Aschenbecher, zwei Kaffeeschalen oder zwei Gläsern, den Überresten eines – wenn auch noch so kurzen – Beisammenseins, das dann mit einem gewaltsamen Tod geendet hatte. Aber nichts deutete mit Bestimmtheit auf ein solches Beisammensein hin. Der Täter war also auch in dieser Hinsicht sehr gewissenhaft gewesen, oder Leopold lag einfach falsch mit seiner Vermutung.

      Er öffnete den Kühlschrank. Wurst, Käse, Milch, Rahm, Eier. Nichts Besonderes, bis auf eine ungeöffnete Flasche Wein im obersten Regal und eine halbvolle Flasche Martini in der Kühlschranktür. Das wunderte ihn schon ein bisschen. Im Kaffeehaus hatte Frau Susi seines Wissens nie Alkohol getrunken.

      Langsam erkannte Leopold, dass sich ihm immer mehr Fragen stellten, auf die er keine Antwort wusste. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, seinen Freund Richard Juricek bei der Mordkommission anzurufen.

      »So, jetzt werden Sie endlich erlöst, Herr Berger«, sagte er, als er wieder durchs Vorzimmer ins Wohnzimmer gehen wollte. Da fühlte er plötzlich eine merkwürdige Stille um sich. Er hob die Augen, und sein Herz schlug jetzt merkbar schneller.

      Das Vorzimmer war leer. Herr Berger war nicht mehr da.

      *

      »Herr Berger?«

      Ungehört verhallte diese reflexartig gestellte Frage im Raum. Herr Berger war verschwunden, hatte das Weite gesucht, hatte sich still und heimlich aus dem Staub gemacht. Leopold war mit der Leiche allein.

      Die Stille behagte ihm nicht. Es war einer jener Augenblicke, in denen seine sonstige Selbstsicherheit auf die Probe gestellt wurde. Oft waren es diese kleinen, überraschenden Wendungen, die ihn kurz aus dem Tritt brachten, ehe er wieder klar zu denken begann. »Ich bin ja selber schuld, wenn ich jetzt dastehe wie bestellt und nicht abgeholt«, sagte er zu sich. »Ich habe es eben wieder einmal übertrieben. Trotzdem ist der Berger ein elender Feigling!«

      Der Mantel! Vor Leopolds Augen hing jener dunkelblaue Mantel, den Frau Susi gestern im Kaffeehaus angehabt hatte. Er hatte deutlich gesehen, dass innen etwas Weißes herausleuchtete, als er ihr hineingeholfen hatte. Beinahe hätte er vergessen, dass er auch deswegen in diese Wohnung gekommen war. Voller Erwartung machte er einen fachmännischen Griff in die Innentasche des Mantels, und sein Erinnerungsvermögen wurde belohnt. Zwei Dinge fanden sich in seiner Hand: ein Brief und eine Notiz auf einem Zettel. Der Brief war an Gertrud Niedermayer in Groß Enzersdorf adressiert, es klebte aber noch keine Marke darauf, und das schien auch der Grund zu sein, warum er noch nicht aufgegeben war. Auf dem Zettel stand eine Telefonnummer: 271 77 85.

      ›Merkwürdig‹, dachte Leopold, ›jetzt hat die mit ihrer Schwester tatsächlich nur mehr schriftlich verkehrt.‹ Er steckte sicherheitshalber Brief und Notiz ein.

      Als er überlegte, was nun weiter zu tun war, läutete es zweimal an der Tür. Er zuckte zusammen. »Herr Berger?«, rief er nochmals fragend und unsicher.

      Statt einer Antwort läutete es wiederum. »Machen Sie auf«, sagte eine schrille Frauenstimme. »Ich weiß, dass Sie hier sind.«

      »Wer ist da?«, fragte Leopold. Zögernd öffnete er die Tür einen Spalt breit. Draußen stand eine Frau unbestimmten Alters, nicht mehr taufrisch, aber jünger als die Ermordete. Sie hatte schwarzes, grau durchzogenes, fettiges Haar, das nach hinten zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war. Das Gesicht war stark geschminkt und hatte sicher mehr Falten, als man in dem diesigen Licht erkennen konnte. »Ich heiße Maria Ivanschitz«, sagte sie. »Und Sie sind sicher der Herr Leopold!«

      »Woher wissen Sie denn das?«, fragte Leopold misstrauisch.

      »Vom Herrn Berger. Er ist gerade ganz aufgeregt auf dem Gang gestanden, als ich ihn zufällig durch meinen Türspion gesehen habe. Ich bin nämlich die Nachbarin von gegenüber. Na, und wie ich ihn so sehe, habe ich die Tür aufgemacht

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