Fernwehträume. Hermann Bauer

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Fernwehträume - Hermann Bauer

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Begründung reicht mir nicht, Herr Hofer«, meldete sich der Inspektor wieder zu Wort. »Ich unterstelle Ihnen auf jeden Fall einmal eine Behinderung der Arbeit der Polizei.«

      »Ich habe nichts angefasst, und Handschuhe habe ich außerdem angehabt.«

      »Seien Sie ruhig, Herr Hofer, jetzt rede ich! Tun Sie doch nicht so scheinheilig! Ihre Pflicht wäre es gewesen, die Polizei so rasch als möglich zu verständigen. Das haben Sie erwiesenermaßen nicht getan. Wir werden schon sehen, ob Sie nur aus Dilettantismus so viel Zeit vertrödelt haben, oder ob da mehr dahinter steckt. Da komme ich noch dahinter, verlassen Sie sich drauf!« Der Inspektor war jetzt wieder dabei, die Fassung zu verlieren. Als er kurz tief Luft holte, hörte er plötzlich ein schnarrendes »Grüß dich, Leopold!« hinter sich.

      Auf leisen Sohlen, unauffällig, wie es seine Art war, war Oberinspektor Richard Juricek am Tatort erschienen, ein frühzeitig ergrauter Mittfünfziger mit Schnurrbart und auffallend dunkler Gesichtsfarbe. Seinen Kopf zierte ein dunkelbrauner Hut mit breiter Krempe, den er bei fast allen Gelegenheiten aufhatte, dazu trug er einen Schal und einen hellbraunen Kamelhaarmantel. Er kam für gewöhnlich immer ein wenig später zu einem Einsatz. Die grobe Arbeit überließ er erst einmal den anderen. Dann versuchte er, sich Schritt für Schritt einen ersten Eindruck zu verschaffen.

      »Darf ich dir unsern Herrn Inspektor Bollek vorstellen, Leopold«, schnarrte er weiter. »Meine rechte Hand sozusagen. Er ist noch jung und ein bisserl streng, aber das hast du ja offenbar ohnehin gemerkt. Und darüber, dass wir erst gute eineinhalb Stunden, nachdem eine Leiche von euch entdeckt wurde, davon erfahren, wundern sich ehrlich gesagt alle.«

      Leopold wollte etwas einwenden, aber Juricek wandte sich jetzt an seinen noch um eine Spur röter gewordenen Kollegen. »Sie müssen wissen, Herr Inspektor, der Leopold ist einmal mit mir in eine Klasse gegangen. Er ist nicht so schlampig, wie Sie vielleicht den Eindruck haben, und äußerst hilfsbereit. Wahrscheinlich ist er durch die äußeren Umstände ein wenig aufgehalten worden, nicht wahr, Leopold?« Dabei zwinkerte er Leopold kaum merkbar zu.

      »So ist es«, bestätigte Leopold, »aber mir glaubt ja keiner. Servus Richard!«

      »Solltest du also noch einmal in eine solche Situation kommen, beeile dich ein bisschen mehr, sonst verscherzt du es dir mit meinen jüngeren Kollegen. Und mach die Tür ordentlich zu, ich hab gehört, da hat es auch etwas gehabt. Ansonsten danke für deinen Anruf.« Bei diesen Worten zog er Leopold ein wenig zur Seite. Zum Inspektor sagte er:

      »Kollege Bollek, machen Sie doch einmal ein Protokoll der Aussage unseres Zeugen, der die Leiche gefunden hat, des Herrn …«

      »Berger«, meldete sich Berger wieder ins Geschehen zurück.

      Missmutig setzte sich Bollek daraufhin mit Berger in die kleine Küche mit dem schmutzigen Geschirr. Richard Juricek aber hörte sich erst einmal in kurzen Worten an, was Leopold so alles aufgefallen war und was er über Susi Niedermayer grob zu sagen wusste. Er war ein guter Zuhörer und unterbrach selten. Erst, als Leopold geendet hatte, begann er mit seinen eigenen Überlegungen.

      »Das mit dem Bild hat etwas für sich«, meinte er. »Warum streiten sie, und die Schwester nimmt es dann mit? Und was bedeutet es, dass die Niedermayer selber auf dem Foto mit drauf ist? Egal, wir müssen die Schwester ohnehin heute noch verständigen, und bei der Gelegenheit wird sie uns gleich nähere Auskünfte erteilen können. Es sieht ja ganz so aus, als ob sie die einzige oder zumindest nächste lebende Verwandte der Toten ist, oder?«

      Leopold zuckte die Achseln. »Weiß ich nicht. Mann hat die Frau Susi jedenfalls in ihrem Leben noch keinen gehabt.«

      »Ach so? Wie kommst du denn zu der kühnen Behauptung?«

      »Menschenkenntnis, Richard, Gefühl. Na, und geraucht hat sie ja auch nicht. Der Mörder muss also Raucher gewesen sein.«

      »Vielleicht. Aber wenn nun die Schwester Raucherin ist und schon am Nachmittag geraucht hat? Und selbst, wenn es der Täter war, der sich hier noch vorher eine angezündet hat: Erstens, Raucher gibt es viele. Und zweitens, wo ist der Beweis? Keine Kippe, keine Asche, kein Aschenbecher. Wenn unsere Leute nicht noch irgendetwas finden, bringt uns das überhaupt nicht weiter. Wie du selbst bemerkt hast, scheint der Täter sehr gründlich gewesen zu sein. Wir müssen froh sein, wenn wir überhaupt irgendwelche Spuren sicherstellen können, die uns weiterhelfen. Nein, nein«, und dabei schüttelte Juricek bedächtig den Kopf, »es wird wohl das Beste sein, einmal diesen mysteriösen Fremden zu suchen, der unser Opfer mitten in der Nacht aus der Wohnung geläutet hat. Entweder er war es, oder er weiß vielleicht etwas.«

      »Der war doch stockbetrunken«, entgegnete Leopold.

      »Eben, da hat man viel aufgestaute Aggressionen und schlägt oft grundlos zu.«

      »Aber man verwischt seine Spuren nicht so eiskalt und haut still und heimlich ab.«

      »Solche Menschen sind nach begangener Tat oft schnell wieder stocknüchtern. Außerdem wissen wir noch viel zu wenig. War es ein Totschlag, ein Raubmord, ein Sexualmord? Ein von langer Hand geplanter Mord? Was war die Tatwaffe? Fehlt in der Wohnung noch etwas außer dem Bild? Ich werde mir einmal diese Ivanschitz vorknöpfen, die scheint ja eine recht gute Quelle zu sein.«

      »Aber in gewisser Weise verdächtig ist sie auch.«

      »Das werden wir schon sehen. Jedenfalls möchte ich mit ihr reden. Dann warte ich darauf, was mir die Leute von der Spurensicherung sagen und was bei der Autopsie herauskommt. Um die Schwester kümmern wir uns auch. Und du, lieber Leopold, hörst dich ein bisschen um. Die Tote war doch Stammgast in eurem Kaffeehaus, vielleicht erzählt dir jemand was. Und vergiss nicht unseren Trunkenbold mit der Lederjacke. Könnte sein, dass er jemandem zur fraglichen Zeit aufgefallen ist, irgendwo muss er sich ja besoffen haben. Vielleicht war er sogar bei euch. Du kannst dich nicht etwa an ihn erinnern?«

      Leopold schüttelte den Kopf.

      »Na, die Beschreibung ist ja auch nicht übertrieben genau«, sagte Juricek. »Aber könnte sein, dass dir der Typ schon einmal untergekommen ist. Solche Leute frequentieren in der Regel nicht nur ein, zwei Lokale. Denk einmal nach.«

      »Und was ist mit dem Klub ›Fernweh‹?«

      »Du meinst, das ist wichtig?« Juricek spielte kurz den Naiven.

      »Aber sicher! Dort hat sie ja einen großen Teil ihrer Abende verbracht. Wenn sie irgendwelche Bekannten hatte, die wir nicht kennen, dann nur von dort.«

      »Ist mir schon klar, Leopold, aber schau! Es wäre nicht gescheit, wenn wir gleich dort auftauchen und viel Aufsehen erregen. Wer geht denn in so einen Klub? Viele harmlose, alte Menschen, die wir nur beunruhigen würden und die der Polizei gegenüber vielleicht gar nicht so gesprächig sind. Ich möchte da noch ein bisschen warten. Ich glaube, es wäre besser, wenn sich dort erst einmal jemand umschaut, der nicht gleich seine Dienstmarke aus der Tasche zieht. Und da habe ich an dich gedacht, Leopold. Du würdest überhaupt keinen Verdacht erregen.«

      »Ich?« Leopold schüttelte widerwillig den Kopf. »Ich, natürlich. Weil es überhaupt nicht auffällt, wenn dort plötzlich ein Ober von der Konkurrenz auftaucht.«

      Die Abende des Klubs ›Fernweh‹ fanden im Gasthaus Beinsteiner in unmittelbarer Nähe des Franz-Jonas-Platzes und des Café Heller statt. Seit jeher war das Verhältnis zwischen den beiden Lokalen gespannt. Das ›Beinsteiner‹ (›Zum gemütlichen Floridsdorfer‹) hatte einen großen Saal, der nicht nur vom Klub ›Fernweh‹ genutzt wurde, sondern der auch Hochzeitstafeln, Geburtstags- und Betriebsfeiern

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