Fernwehträume. Hermann Bauer

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Fernwehträume - Hermann Bauer

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      Das konnte vom Zeitschema her passen, sofern die Angaben dieser aufdringlichen, neugierigen und betont reinlichen Nachbarin auf Wahrheit beruhten. Was Leopold nun allgemein freundlicher stimmte, war die Tatsache, dass er begann, den Gesprächsverlauf zu bestimmen. »Hat Frau Susi denn öfter abends oder so spät in der Nacht Besuch gehabt? Ist Ihnen da etwas aufgefallen?«, fuhr er fort.

      »In letzter Zeit eigentlich nie, soweit ich weiß. Sie kam manchmal später nach Hause, aber Besuche – nein!«

      »Glauben Sie, dass sie den Betrunkenen gekannt hat?«

      »Also, das kann ich nicht sagen. Das kann ich wirklich nicht sagen.«

      »So, jetzt haben Sie aber wirklich alles erfahren, was Sie wissen wollten«, meldete sich der munter gewordene Berger wieder zu Wort. »Ich kann es Ihnen nicht ersparen, Sie müssen noch einmal hinüber zur Frau Susi und endlich die Polizei anrufen. Es ist Ihre Schuld, wenn Sie bis jetzt gebrodelt (getrödelt) haben. Aber anrufen müssen Sie irgendwann einmal.« Der Kaffee entwickelte bei ihm jetzt eine belebende Wirkung. Oder war es doch der Schnaps von vorhin?

      Leopold konnte sich jedenfalls nicht mit dem Gedanken anfreunden, sich auf ein weiteres Rendezvous mit der Leiche einzulassen. »Nein, hinüber geh ich jetzt nicht mehr«, stöhnte er. Dann nahm er ein kleines Handy aus seiner Sakkotasche, tippte rasch eine Nummer ein, wartete einige Augenblicke und sagte dann mit einem zurechtweisenden Blick auf den verblüfften Berger:

      »Spricht dort die Mordkommission? … Ja? … Dann verbinden Sie mich bitte mit Oberinspektor Juricek. Es ist dringend.«

      4

      Der düstere Gang des alten Mietshauses belebte sich schlagartig, als die ersten Polizeiautos mit Blaulicht vorfuhren. Plötzlich kamen sie alle hervor: alte und nicht mehr ganz junge Damen, ein etwas verwirrt wirkender kleiner Herr im Pyjama, ein Fettwanst mit einer Bierflasche in der Hand, eine türkische Frau mit einem Kind im Arm und einem weiteren an ihrer Kittelfalte. Überall glotzten neugierige Augen die Brüstung des Stiegengeländers hinab. »Was, die Frau Niedermayer«, hieß es, »das habe ich schon lange kommen sehen!« und »Man ist sich ja nicht einmal mehr zu Hause seines Lebens sicher.« Die Stimmen gingen durcheinander, aber nicht laut, sondern nur leise und flüsternd. Das Ereignis schien für kurze Zeit die Grabesruhe in dem alten Gemäuer zu unterbrechen, aber nur, um sie durch das zögernde Gemurmel einer Gruppe Scheintoter zu ersetzen, die für kurze Zeit zum Leben erweckt worden waren.

      Irgendwo dazwischen, einmal hier, einmal da, stand in erregter Diskussion Frau Ivanschitz. Man konnte ihre penetrante Stimme gut aus der gedämpften Unruhe heraushören. Sie leistete ganze Arbeit, indem sie die Neuigkeiten um den Tod der Frau Niedermayer in Windeseile weiterverbreitete. Dabei wirkte sie wie eine Animateurin, die ihr Publikum zu einem Stimmungshöhepunkt führen wollte.

      Die eingetroffenen Beamten waren über den Auflauf alles andere als glücklich. »Bitte gehen Sie in Ihre Wohnungen. Wir holen Sie, wenn wir Sie brauchen«, sagte ein jüngerer Polizist in Zivil schroff. Sein rundliches Gesicht nahm rasch die Farbe seiner kurz geschnittenen roten Haare an, wenn er sich ärgerte. Und im Augenblick ärgerte er sich. Er stand gemeinsam mit Berger und Leopold im Vorraum von Frau Susis Wohnung.

      »Sie haben also die Leiche gefunden«, fuhr er Berger an.

      »Jawohl«, nickte Berger vertrauensselig.

      »Und wann war das?«

      »So circa um 12 Uhr. Ich komme jeden Tag um diese Zeit essen zur Frau Niedermayer. Sie kocht für mich, seit meine liebe, gute Frau das Zeitliche gesegnet hat. Das war vor fünf Jahren. Meine Frau ist an Krebs gestorben und …«

      »Das interessiert mich nicht. Antworten Sie nur auf die Dinge, die Sie gefragt werden.« Der junge Inspektor wirkte reichlich ungehalten und nervös. »Wie kamen Sie in die Wohnung?«

      »Ich habe einen Schlüssel. Als mir niemand öffnete, habe ich einfach die Türe aufgesperrt.«

      »War die Türe verschlossen?«

      »Nein!«

      »Aber zu war sie, nicht etwa nur angelehnt?«

      »Ja, ja.«

      »Gut!« Der Inspektor machte eine kurze künstliche Pause. »Sagen Sie, wie kommt es, dass die Tür nur angelehnt war, als wir kamen?«, fragte er dann scharf. »Haben Sie etwa in Betracht gezogen, die Tote einer allgemeinen Beschau freizugeben?«

      Berger verschlug es für einen Augenblick die Sprache. Dann nahm er all seine Kräfte zusammen, die allerdings angesichts der prallen Röte im Gesicht des Inspektors bereits wieder im Schwinden begriffen waren. »Schnauzen Sie mich bitte nicht so an«, sagte er. »Ich habe die Tür gewissenhaft zugemacht. Sie ist verzogen und klemmt ein bisschen. Es geht oft nicht leicht, aber ich weiß das und ziehe sie immer ganz zu. Aber der Letzte in der Wohnung war ja gar nicht ich, das war der Herr Leopold«, meinte er dann triumphierend.

      »Wer ist das? Ist das etwa derjenige, der bei uns angerufen hat?« Der Inspektor rang um Beherrschung.

      »Ja, ich bin das«, meldete sich Leopold. »Bitte, es kann schon sein, dass die Türe klemmt. Vielleicht hätte ich stärker anziehen sollen. Aber was weiß man schon.«

      Der Inspektor schien nun seine ganze Wut auf Leopold zu entladen. »Was weiß man. Was weiß man!! Ich möchte jetzt wissen, wie es möglich ist, dass jemand um 12 Uhr eine Leiche findet und wir erst um halb zwei verständigt werden. Ich möchte wissen, wie lange Sie in der Wohnung herumgetrampelt sind und so viele Spuren hinterlassen oder verwischt haben, dass wir erst gar nicht zu suchen anfangen müssen, Herr …«

      »Hofer. Leopold. Eigentlich Leopold Willibald Hofer. Leopold W. Hofer.«

      »Wehofer?«

      »Nein, Hofer. Das ›W‹ ist nur ein Zusatz, eine Initiale.«

      Wusste der Inspektor, was eine Initiale ist? Jedenfalls begann er, etwas auf einem Block zu notieren und fauchte dabei:

      »Also nur ›Hofer‹. Warum reden Sie denn von einem ›W‹, wenn es nicht wichtig ist?«

      Leopold zuckte die Achseln. »Es hätte ja wichtig sein können«, sagte er. Er bemühte sich verzweifelt, den Grimm des Inspektors irgendwie abzulenken, war sich aber nicht sicher, ob ihm das gelingen würde.

      »Weshalb sind Sie denn überhaupt in der Wohnung gewesen, Herr Hofer? Es wäre Ihre Pflicht gewesen, uns gleich zu verständigen.«

      »Nun ja, um etwa Viertel nach zwölf ist Herr Berger völlig aufgelöst bei mir im Kaffeehaus aufgetaucht. Ich arbeite nämlich als Ober drüben im Café Heller, müssen Sie wissen. Er hat etwas von der Frau Niedermayer gefaselt und dass man sie erschlagen hat. Zum Teil hat er völlig unzusammenhängend geredet. Hätte ich ihm da ohne Weiteres glauben sollen? Wie, wenn er sich alles nur eingebildet hätte? Hätte ich die Polizei etwa auf Verdacht holen sollen? Also, ich wollte mich schon überzeugen, dass das Zeug stimmt, das er da dahergeredet hat. Und da ich nicht zimperlich bin, habe ich Herrn Berger überredet, nochmals mit mir in die Wohnung zu gehen.«

      »Unglaublich, was Sie sich da herausnehmen, Leopold«, feixte Berger kopfschüttelnd. »Ich habe Ihnen die Sachlage klar dargestellt und deutliche Instruktionen gegeben. Sie haben mich ja förmlich gezwungen, noch einmal dorthin zu gehen. Freiwillig wäre ich nie mitgekommen.«

      »Hören

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