Fernwehträume. Hermann Bauer

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Fernwehträume - Hermann Bauer

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du wüsstest, wie unrecht du hast! Jetzt sei aber nicht mehr böse und stoß auf einen Versöhnungstrunk mit mir an. Außerdem hast du mir die Alte wie auf dem Servierbrettl angeboten. Und so zuwider ist sie ja nicht.«

      »Perversling!« Jetzt lächelte Leopold wieder. »Ich will ja nur, dass du unsere Gäste in Ruhe lässt. Und wenn du dich noch ein paar Minuten geduldest, lasse ich mich von dir auf ein Getränk einladen. Aber vorher gehe ich schnell abkassieren.«

      »Jetzt bleib doch da!«

      Aber Leopold hatte sich bereits diensteifrigen Schrittes von Stefan wegbewegt. Dass der auch immer so kindisch und anhänglich sein musste, wenn er einen über den Durst getrunken hatte. Irgendwann, fürchtete Leopold, würde sich das rächen.

      Mittlerweile eilte Susanne Niedermayer nach Hause zu ihrer Wohnung. Sie ging schneller als sonst durch den dichten Nebel, als würde sie ahnen, dass ihr nicht mehr viel Zeit zum Leben blieb.

      2

      Am nächsten Tag öffnete Leopold kurz nach 7 Uhr früh die Pforten zum Kaffeehaus. Der Nebel hing noch immer über dem Stadtteil nördlich der Donau, aber es schien, als könne er sich während des Tages lichten – zumindest glaubten das die Wetterfrösche. Einstweilen huschten, nur schwach vom Schein der Straßenlaternen erfasst, die Menschen noch eher schemenhaft vorbei in Richtung U-Bahn, Schnellbahn oder zur gegenüber dem Café liegenden Straßenbahnhaltestelle.

      Leopold mochte an sich diese Zeit, wenn der Tag, das Kaffeehaus und die Leute erwachten. Die ersten Gäste trafen zu einem Frühstück ein, und er war mit ihnen, bis auf eine Küchenhilfe, alleine. Herr und Frau Heller blieben am Morgen in ihrer Wohnung oberhalb des Kaffeehauses, und Aufsicht, Kontrolle und Organisation blieben alleine Leopold überlassen, sofern er und nicht ›Waldi‹ Waldbauer, Ober Nummer zwei im Café Heller, Dienst hatte.

      Normalerweise wusste Leopold das in ihn gesetzte Vertrauen zu schätzen. Heute hatte er jedoch bleierne Glieder und einen dummen Kopf. Drei Seideln (Glas; 0,3 Liter) Bier und ein Stamperl (kleines (2cl) – oder größeres (4cl) – Glas Schnaps.) Weinbrand hatte er bis 1 Uhr früh noch mit Stefan getrunken, ehe die Chefin verspätet die Sperrstunde verkündet und Stefan hinauskomplimentiert hatte. Drei Seideln und ein Stamperl waren zu viel für einen schwachen Trinker wie Leopold, wenn er am nächsten Morgen arbeiten musste. Außerdem hätte man fast den alten Herrn Ferstl vergessen, der noch hinten bei den Kartentischen gesessen und eingeschlafen war. Ihn aufwecken, ihm sagen, wie spät es war, ihn zur Türe hinaus führen – vier Stunden Schlaf waren Leopold gerade noch geblieben.

      Am liebsten hätte er Herrn oder Frau Heller gebeten, heute etwas früher herunterzukommen und ihm Gesellschaft zu leisten, aber er konnte sich noch an das grantige Gesicht der Chefin vom Vortag erinnern. Sie blieb zwar Leopold zuliebe öfter einmal länger auf, verzichtete jedoch nicht gerne wegen Stefan auf einen Teil ihres kostbaren Schlafes. Also nicht an die vergangene Nacht denken! Der Tag war jung.

      Gleich würde ein Schwung Schüler aus dem nahe gelegenen Gymnasium das ehrwürdige Haus nach und nach beleben, um sich die Zeit bis zum Unterrichtsbeginn mit einem Schalerl Kaffee zu versüßen. Leopold kannte sie alle. Es waren treue Gäste, und viele blieben dem Kaffeehaus noch viele Jahre erhalten, wenn sie schon längst im Berufsleben standen und verheiratet waren. Sie sorgten für die nötige Blutauffrischung, ohne die die weitere Existenz eines Cafés wie des ›Heller‹ nicht gesichert war.

      Und noch jemand würde aller Wahrscheinlichkeit nach wie beinahe jeden Morgen kommen: Professor Thomas Korber, Lehrer für Deutsch und Englisch und Leopolds bester Freund. Thomas war Ende 30, groß – beinahe 1,90 Meter – trug einen braunen Vollbart und leicht gewelltes Haar und zeigte erste Ansätze eines Bäuchleins. Thomas war ein Kaffeehausnarr, und Leopold wäre sein Lebtag gerne weiter ans Gymnasium gegangen, als er nach dem plötzlichen Tod des Vaters eine Lehre als Kellner hatte antreten müssen, weil das Geld zu Hause knapp wurde. So kreuzten sich ihre Interessen. Aber da war noch mehr. Thomas war ein Mensch, der andere in sich hineinschauen ließ. Er verbarg seine Stimmungen nicht. Er konnte ruhig und überlegt, aber auch überaus gereizt und verletzbar sein. Leopold las oft in ihm wie in einem Buch – und verstand ihn. Thomas wiederum schätzte Leopolds Witz und Menschenkenntnis. Daraus war von Anfang an jene Sympathie entstanden, die den Boden für eine jahrelange Freundschaft bereiten sollte.

      Leopold fragte sich, wer heute zuerst eintreffen würde, sein Freund Thomas oder dessen Schülerin Gabi Neuhold. Sie kamen nie zusammen, aber immer fast gleichzeitig. Einmal hatte er beide auf seinem Weg ins Kaffeehaus in einer Ecke schmusen gesehen. Seither ahnte er Schlimmes und wusste, dass vieles, was wie Zufall wirkte, kein Zufall war. Hinter der Parallelität des Eintreffens steckte System.

      Thomas hatte ein Verhältnis mit Gabi oder wollte eines mit ihr haben.

      Aber warum tat er so etwas? Das verstand Leopold nicht. Warum gab Thomas sich mit einer Schülerin seiner Maturaklasse ab, die er noch dazu als Klassenvorstand leitete? Er musste doch wissen, dass das verboten war. Leopold nahm sich vor, sich in nächster Zeit ein wenig mehr um seinen Freund zu kümmern.

      Etwas verschlafen wie immer schlurfte Gabi jetzt zur Türe herein, setzte sich zum ersten Tisch ans Fenster und bestellte einen Hauskaffee mit Kipferl. Fesch war sie schon mit ihrem schwarzen Haar, das locker zu den Schultern herabfiel, ihren schmalen, stark angemalten Lippen, auf denen immer ein leichtes Lächeln saß, den blauen, neugierigen Augen und den gut sichtbaren, aber nicht zu großen Brüsten. Das war jedoch noch lange kein Grund für Thomas, sich in sie zu verschauen.

      Als der Herr Lehrer wenig später das Lokal betrat, wirkte er so schwungvoll wie eine Spielzeugpuppe, deren Batterien beinahe leer waren. Bei seinen Verrenkungen fielen Leopold unwillkürlich wieder die drei Seideln Bier und das Stamperl ein. Er kratzte sich leicht am Kopf.

      »Guten Morgen, Leopold«, grüßte Thomas. »Na, was schaust du denn so? Musst erst auf Touren kommen? Keine Angst, ich auch!« Dabei zwinkerte er verständnisvoll in Richtung Leopold. »Bring mir einen kleinen Schwarzen, damit du auf andere Gedanken kommst.« Dann wandte er sich mit einer unschuldigen Geste in Richtung leere Sitzbank an Gabi:

      »Darf ich? Oder musst du noch etwas lernen?«

      »Nein, nein, nimm nur Platz«, lachte Gabi. Sie war gerade im Begriff, sich eine Zigarette anzuzünden.

      ›Jetzt duzen sie sich schon öffentlich‹, dachte Leopold, ›die kennen ja gar keinen Genierer (Schamgefühl). Und Thomas bekommt schon wieder dieses Leuchten in den Augen, kaum, dass er sich zu ihr gesetzt hat. So wie die beiden heute ausschauen, waren sie gestern sicher miteinander fort.‹ Er beschloss jedenfalls, sich zunächst einmal diskret hinter die Theke zurückzuziehen, um den kleinen Schwarzen für seinen Freund zuzubereiten.

      Noch jemand kam, Isabella Scherer, eine Mitschülerin von Gabi. Sie winkte kurz schüchtern, blieb einen Augenblick lang stehen, gab sich dann aber einen Ruck und ging zögernd auf ihre Freundin und den Klassenlehrer zu. Thomas wirkte zunächst erstaunt, bedeutete Isabella jedoch, bei ihm und Gabi Platz zu nehmen.

      »Ein Cola bitte«, rief Isabella in Richtung Leopold. Dann wandte sie ihren Blick sofort wieder Thomas zu. »Ich möchte nicht stören«, sagte sie, »aber ich muss dringend mit Ihnen reden, Herr Professor!« Es klang nach Geständnis, und Thomas fühlte sich in der Tat gestört.

      »Was, jetzt, um halb 8 Uhr früh? Ich würde gerne meinen Kaffee in Ruhe trinken. Ist es denn so wichtig, dass es keinen Aufschub duldet?«, fragte er ein wenig verärgert. Er wäre jetzt

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