Stasi-Konzern. Uwe Klausner

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Stasi-Konzern - Uwe Klausner

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einem Wort: große Klappe, aber nichts dahinter.

      Was also tun? Was tun, wenn die Kriminellen, die vor ihnen Reißaus genommen hatten, wie vom Erdboden verschluckt zu sein schienen? Was tun, wenn nicht klar war, wie viele von ihnen sich hier rumtrieben?

      »Nein, ganz bestimmt nicht!«, beteuerte Schulz, nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. »Ich frage mich nur, mit wie vielen von denen wir es zu tun …«

      »Jetzt hören Sie mir mal gut zu, junger … wie war doch gleich Ihr Name?«

      »Schultz, Egon Schultz.«

      »Ich will Ihnen mal was sagen, Sie Klugscheißer –«, zischte der Hauptmann, so laut, dass sein Kamerad, NVA-Soldat Maier, erschrocken zusammenfuhr. »Wenn Sie nicht sofort Ihren Hintern in Bewegung setzen, können Sie sich auf was gefasst machen! Dann werden Sie bereuen, dass Sie mir über den Weg gelaufen sind. Kapiert, was ich damit sagen will? Entweder Sie gehen jetzt da raus, oder ich sorge dafür, dass Sie die längste Zeit Grenzsoldat gewesen sind!«

      Schultz verzog keine Miene, und da er wusste, wie man mit Leuten vom Schlage eines MfS-Hauptmanns umgehen musste, schluckte er seinen Ärger hinunter. Jetzt war nicht die Zeit, um sich an die Gurgel zu gehen, was zählte, war der Kampf gegen den Feind. Gegen den gemeinsamen Feind. Als Unteroffizier saß er am kürzeren Hebel, und wenn es etwas gab, auf das er nicht erpicht war, dann darauf, in einer Arrestzelle zu landen. Was das betraf, war die Stasi schnell bei der Hand, allen voran dieser Hauptmann, der nicht zögern würde, ihn beim Regimentskommandeur anzuschwärzen. An die Folgen, die das haben würde, wollte er lieber nicht denken. Wenn er Glück hatte, würde er ein paar Wochen Bau bekommen, wenn nicht, konnte er froh sein, wenn man ihn in eine Strafkompanie steckte. Was das bedeutete, wusste er nur zu gut, und so beschloss er, in Zukunft den Mund zu halten.

      »Haben wir uns verstanden, Schultz?«

      Ja, haben wir!, dachte der Angesprochene voller Groll und wich dem Blickkontakt mit dem Stasi-Offizier aus. Einstweilen gab es Wichtigeres zu tun, wenngleich er sich fragte, ob er nicht dabei war, einen Fehler zu begehen.

      Dennoch: Für Gedankenspiele, gleich welcher Art, war es jetzt zu spät. Jetzt mussten er und Maier, dessen Atem er im Nacken spürte, Nägel mit Köpfen machen. Und das bedeutete, dass sie ihre Deckung verlassen, das Gelände von verdächtigen Elementen säubern und gegebenenfalls das Feuer eröffnen würden.

      Aber nur, wenn Gefahr drohte.

      Oder wenn auf sie geschossen wurde.

      Na, dann mal los!, dachte Schulz, verstärkte den Griff um den Schaft seiner AK-47 und bedeutete Maier, ihm auf den Hinterhof des Hauses Strelitzer Straße 55 zu folgen.

      Dort wandte er sich nach links, den Finger am Abzug seiner Kalaschnikow. Kaliber 7,62 mal 99 Millimeter. 600 Schuss pro Minute. Eingestellt auf Dauerfeuer. Genug, um kriminellen Elementen das Fürchten zu lehren.

      Genug, um mit Banditen, Saboteuren und vom Westen gesteuerten Agenten aufzuräumen.

      Doch Egon Schultz, 21 Jahre, neun Monate und einen Tag alter NVA-Unteroffizier, irrte. Zwar nicht zum ersten, aber definitiv zum letzten Mal in seinem Leben.

      *

      Das hatten sie jetzt davon. Buddeln bis zum Umfallen, 145 gottverdammte Meter, 12 Meter tief. Tag und Nacht, sechs Monate, drei Wochen und auch noch den letzten von insgesamt 175 gottverdammten Tagen. Knöcheltief im Berliner Mergel, verschmutzt, verdreckt, durchnässt, übermüdet, kurzatmig und das Rumpeln der Doppeldeckerbusse oder die Schritte der DDR- Grenzpatrouillen im Ohr. Stromkabel verlegen, eine Entlüftungsanlage installieren, Telefon anschließen. Funkgeräte, Gasmasken und vor allem Knete auftreiben, im Ganzen über 35 Mille. Und zusehen, möglichst viele Ost-Berliner nach drüben zu schleusen.

      Tagein, tagaus. Ohne Unterbrechung.

      Genau das aber, ihre Selbstlosigkeit, war zum Bumerang der Aktion geworden. Das Risiko, an den Falschen zu kommen, war eminent groß, konnte man doch nie sicher sein, ob etwas durchsickerte. Ein falsches Wort, am Ende gar ein gezielter Hinweis – und die Stasi würde ihnen die Hölle heißmachen. Mielke und Genossen hatten überall ihre Leute sitzen, und man tat gut daran, niemandem über den Weg zu trauen. Vertrauen war gut, Misstrauen allemal besser.

      Ein Leitspruch, der oberste Priorität besaß, an den sich jeder, auch er, gehalten hatte.

      175 gottverdammte Tage lang.

      Abzüglich der letzten Dreiviertelstunde.

      Christian Zobel, 24, Student und im Nebenberuf Fluchthelfer, verstand die Welt nicht mehr. Bis zuletzt war alles wie am Schnürchen gelaufen. Besser, als er, Furrer und die anderen es sich erträumt hatten. Am Sonnabend, also vorgestern, hatten die ersten Flüchtlinge den Tunnel durchquert. Und was hieß hier überhaupt ›durchquert‹? Ein Spaziergang war das Ganze weiß Gott nicht gewesen. Im Gegenteil. Kriechen war das Gebot der Stunde. 20 Minuten, mitunter sogar eine knappe halbe Stunde lang. Auf allen Vieren, hintereinander, einer nach dem anderen, im Ganzen 57 Menschen. Das war Rekord gewesen – und mehr als genug.

      Aber nicht für Furrer. Kurz vor zwölf, vor ziemlich genau einer Dreiviertelstunde, hatte sein Kumpel einen Riesenfehler gemacht.

      Vielleicht den größten seines Lebens.

      Zobel stöhnte innerlich auf. Kaum zu fassen, aber wahr. Leider. Ausgerechnet dann, als alles wie am Schnürchen zu laufen scheint, tauchen diese beiden Gestalten auf, der jüngere mit einer Taschenlampe in der Hand. Öffnen die Haustür, treten in den Flur und bewegen sich auf das Hoftor zu. Durch die Milchglasscheiben der Haustür fällt das Licht einer Laterne, aber nicht genug, dass man ihre Gesichter erkennen kann. Furrer, in Erwartung weiterer Flüchtlinge, schöpft zunächst keinen Verdacht, auch dann nicht, als die beiden das verabredete Losungswort ›Tokio‹ nicht nennen. Flurlicht nicht angeknipst, Losungswort nicht genannt – irgendwie, so scheint es, lässt Furrer die gebotene Vorsicht vermissen. Eine Fehleinschätzung mit Folgen. Mit Folgen, die sie alle, auch ihn, in tödliche Gefahr bringen.

      Zobel schüttelte den Kopf. Furrer, akribisch wie kaum ein anderer – ausgerechnet ihm musste so etwas passieren. Ausgerechnet er, Physikstudent an der FU Berlin, schöpft im Gegensatz zu sonst keinerlei Verdacht. Kauft den beiden ihre Lügengeschichte ab. Wird selbst dann nicht misstrauisch, als sie darum bitten, noch einen Kameraden mitnehmen zu dürfen. Ein, wie sich noch zeigen wird, unentschuldbarer Schnitzer.

      Kurz nach halb eins, vor wenigen Minuten, wird ihm jedoch klar, dass er hereingelegt worden ist. Furrer, der mit ihm, Zobel, den Eingang im Auge behält, beobachtet drei Männer, die von der Strelitzer Straße aus das Haus betreten. Da er in zwei von ihnen die vermeintlichen Flüchtlinge erkennt, eilt er dem Trio entgegen, um die notwendigen Anweisungen zu geben.

      Der dritte und, wie Zobel blitzartig klar wird, schwerwiegendste Fehler.

      Doch war es müßig, darüber nachzudenken. Momentan hatte Zobel andere Sorgen. Jetzt, wo der bewaffnete Grenzer den Hof betrat, beschäftigte ihn nur noch eins: die Frage, wie er möglichst schnell die Fliege machen konnte.

      Jetzt ging es um die Wurst, sprich: ums Überleben. Und natürlich auch darum, ob der Tunnel, dessen Einstiegsloch in knapp sieben Metern Entfernung unerreichbarer denn je erschien, entdeckt werden würde. Ein Toilettenhäuschen, in der Dunkelheit kaum zu erkennen, war zwar die perfekte Tarnung. Aber da der Hof recht klein und die Grenzer nicht auf den Kopf gefallen waren, konnte man davon ausgehen, dass sie nicht lange Bestand haben würde.

      Was

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