Stasi-Konzern. Uwe Klausner

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Stasi-Konzern - Uwe Klausner

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hervorzuholen, mit Sicherheit ein hohes Tier. Mit dem Bild, dem man sich von einem Stasi-Agenten machte, stimmte er jedenfalls nicht überein, auch wenn er alles daransetzte, so zu erscheinen. »Soll ich mich umdrehen?«

      »Ich bitte, darum, Herr …«

      »Sie verlangen doch wohl nicht, dass ich meinen Namen nenne?«

      »Nein, nicht wirklich«, gab die Sekretärin zurück, klug genug, sich nicht mehr Ärger als nötig einzuhandeln. Vor der Stasi, hinter vorgehaltener Hand VEB Horch, Guck und Greif, hatte selbst sie großen Bammel, und das wollte in der Tat etwas heißen. »Trotzdem bitte ich Sie, draußen zu warten.«

      »Machen Sie es uns beiden doch nicht so schwer, Frau Petzold«, erwiderte Czerny und weidete sich am Erstaunen, welches sich auf dem Gesicht der Vorzimmerdame abzeichnete. »Vorschlag zur Güte: Ich drehe mich jetzt um, vertreibe mir die Zeit, indem ich das Porträt des Genossen Ulbricht an der gegenüberliegenden Wand betrachte und übe mich in Geduld. Das heißt, zumindest bis Sie den Safe hinter Ihrem Schreibtisch geöffnet, den Obduktionsbefund zutage gefördert und ihn mir übergeben haben, damit ich ihn mitnehmen und an seinen Bestimmungsort bringen kann.«

      »›Mitnehmen‹? Das ist doch nicht Ihr …«

      »Und ob es mein Ernst ist, Frau Petzold.« Urplötzlich, von einem Moment auf den anderen, war Anneliese Petzold mit einem anderen Mann konfrontiert. Jetzt kehrte ihr Gegenüber den Stasi-Mann heraus, schlug einen ungehaltenen, um nicht zu sagen barschen Tonfall an. »Meinetwegen machen Sie eine Notiz im Sektionsbuch. Wie Sie wissen, wurde dort am 5. Oktober, also vor vier Tagen, schon einmal ein Vermerk in oben genannter Angelegenheit hinterlassen. Er besagt, dass zwei – in Worten: zwei! – Protokolle bei Ihrem Chef verblieben und per Kurier jeweils ein Exemplar an den Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik und an das Ministerium des Inneren übersandt worden sind. So, und jetzt wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir die Unterlagen aushändigen würden.«

      »Und was haben Sie damit vor?«

      »Das, liebe Verwaltungssekretärin zur Anstellung, lassen Sie lieber meine Sorge sein. Offen gesagt: Meine Geduld ist allmählich erschöpft. Wenn Sie schlau sind, tun Sie bitte genau, was ich sage. Oder ich sehe mich gezwungen, andere Mittel der Überredungskunst anwenden. Soweit alles klar, Frau Petzold?«

      Ja, damit war alles gesagt.

      Ohne den Major anzuschauen, stand Anneliese Petzold auf, straffte ihr malvenfarbenes Kostüm, öffnete den Safe, der sich an der Rückwand des Büros befand, und holte eine dort neben einer Reihe anderer Dokumente verwahrte Kladde hervor.

      »Nicht nur eine, Gnädigste, sondern beide.«

      Die Sektionssekretärin gehorchte, legte die Kladden auf den Schreibtisch und schloss den Safe wieder ab. Dann, für ihre Verhältnisse recht spät, ging jedoch ein Ruck durch ihren Körper und sie drehte sich auf dem Absatz um. »Jetzt fällt’s mir wieder ein!«, stieß sie in der Aufregung, die sie plötzlich gepackt hatte, hervor. »Sie waren dabei, stimmt’s? Sie waren dabei, als der Professor und Doktor Meyer den Genossen obduziert haben, der am Montag ermordet worden ist. Ich hab Sie zwar nur im Vorbeigehen gesehen, aber … aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie und ein Kollege von der …«

      Auch ohne den Blick, welchen ihr der Unbekannte zuwarf, wurde der Sekretärin im selben Moment klar, dass sie einen Fehler begangen hatte. Und dass es ratsam war, den Mund zu halten.

      Endgültig.

      »›Ermordet ist gut‹!«, sagte Czerny nach einer längeren Pause, so als habe er sich die Ereignisse, über die er sich vor Ort ein Bild gemacht hatte, nochmals ins Gedächtnis rufen müssen. »Fragt sich nur, von wem!«

      Dann ließ er sich die Kladden aushändigen, machte kehrt und verließ wortlos das Büro.

      4

      Berlin-Schöneberg, Sydows Wohnung in der Grunewaldstraße │07:40 h

      Genau hier, an dieser Stelle, war es passiert. Hier hatte seine Mutter die eigene Tochter, Sydows Schwester Agnes, erschossen. Vor seinen Augen. Mit seiner Dienstwaffe. Ohne zu zögern.

      Und er? Was war mit ihm?

      Er, Tom Sydow, zum Tatzeitpunkt 49 und Kriminalhauptkommissar a. D., hatte zugesehen.

      Falsch. Er hatte zusehen müssen. Tatenlos, schreckensstarr, vor Entsetzen, das ihn in eine Art Schockstarre versetzte, wie gelähmt.

      Oder war es am Ende seine Schuld gewesen? War es nicht fahrlässig, um nicht zu sagen verantwortungslos, die Waffe in seinem unverschlossenen Schreibtisch aufzubewahren? Und es seiner Mutter, die bei ihm zu Besuch war, zu erzählen?

      Und vor allem: War es richtig gewesen, die Mörderin zu decken?

      Richtig oder nicht – außer Lea, seiner Frau, hatte kein Mensch davon erfahren. Mutter, gebürtige Britin, war am darauf folgenden Tag, einem Freitag, in aller Herrgottsfrüh von Tempelhof nach Frankfurt und von dort aus nach London-Heathrow geflogen. Aber auch sonst war der 1. Juni 1962 ein denkwürdiger Tag gewesen. Kurz nach Mitternacht war im israelischen Ramla ein gewisser Adolf Eichmann aufgeknüpft worden, SS-Obersturmführer, Organisator der sogenannten ›Endlösung‹, verantwortlich für den Tod von sechs Millionen Juden – und, für Sydow das Schlimmste, Ex-Geliebter seiner Schwester. Um das Maß vollzumachen, war drei Tage später ein weiblicher Leichnam an das Ufer des Großen Wannsees gespült worden. Sydow, der den Artikel nicht zu Ende gelesen hatte, war sofort im Bilde gewesen. Und hatte geschwiegen, aus Angst, der Beihilfe zum Mord bezichtigt zu werden.

      All das war mittlerweile zwei Jahre, fünf Monate und neun Tage her. Anders als erhofft hatte die Zeit seine Wunden jedoch nicht geheilt, sondern sie mit jedem Tag, der verstrich, noch vertieft. Rein äußerlich hatte sich Sydow nichts anmerken lassen, aber wie es in seinem Inneren aussah, darüber wusste nur seine Frau Lea Bescheid. Hätte sie ihn nicht getröstet, wäre er die glatte Wand hochgegangen, und sein Leben, um das ihn manch einer beneidete, nicht mehr zu ertragen gewesen.

      Schwierig, oder besser gesagt ungewohnt, war es allemal. Dank einer Erbschaft, einem unerwarteten Lichtblick, war er zwar aus dem Gröbsten raus, aber das bedeutete nicht, dass sein Dasein in geordneten Bahnen verlief. Damit er auf andere Gedanken kam, waren Lea und Sydow vor Kurzem umgezogen, ein erster Schritt, aber auch nicht mehr. Wie oft er in Gedanken in das Haus am Wannsee zurückgekehrt war, konnte Sydow nicht sagen, er wusste nur, dass ihn die Ereignisse immer noch verfolgten, dass er, Tom Sydow, längst noch nicht der Alte war.

      Aber immerhin, redete er sich ein, war er auf dem besten Weg dazu. Der Umzug nach Schöneberg war jedenfalls leichter vonstattengegangen als gedacht, unter anderem, weil Lea dort Verwandte und er mehrere Bekannte aus der Zeit vor seiner Flucht nach England hatte. Damals, anno 1942, war er der Gestapo nur um Haaresbreite entwischt, hatte er mehr Glück als Verstand gehabt. Es war ihm treu geblieben, auch nach dem Krieg, als er wieder zur Kripo gegangen war. Mehr als einmal war sein Schicksal auf Messers Schneide gestanden, und er konnte von Glück sagen, dass er noch lebte. Ein Privileg, das seiner Schwester, die den Preis für ihre Liaison mit einem Verbrecher gezahlt hatte, nicht zuteil geworden war.

      Wie so oft, wenn ihn die Vergangenheit eingeholt hatte, riss sich Sydow nur mit Mühe von ihr los, stieß einen gedämpften Seufzer aus und hängte das Bild, auf dem der Bootssteg und sein Anwesen am Wannsee zu sehen war, wieder an die Wand neben der Tür. Dann nahm er die Zeitung, die er aus dem Briefkasten geholt hatte, und trottete in die Küche, um das Frühstück zuzubereiten. Ohne Kaffee, am besten schwarz, war er nicht zu gebrauchen, und wäre Lea nicht gewesen, der er

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