Stasi-Konzern. Uwe Klausner
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Er hatte es sich so gewünscht, so und nicht anders. Und er war froh, dass es Häuser wie dieses überhaupt noch gab. Wohnungen, in denen die Dielenbretter knarrten, die holzgetäfelte Wände, Decken aus Stuck, dazu reichlich Platz und einen Balkon samt Ausblick auf einen Berliner Hinterhof hatten. In Gegenwart von Lea, die lieber gebaut hätte, durfte er das zwar nicht so laut sagen, aber da es von hier aus nicht weit bis zum RIAS war, wo sie als Redakteurin arbeitete, hatte sie sich damit abgefunden.
Das hieß aber nicht, dass alles in Butter war. Einen abermaligen Seufzer auf den Lippen, betrat Sydow die Küche und begann, den Tisch zu decken. Es gab Zeiten, wo ihm die Decke auf den Kopf zu fallen drohte, und das nicht erst seit heute. Lea, die in ihrem Beruf aufging, hatte es wesentlich besser als er. Sie hatte alle Hände voll zu tun, während er nicht wusste, was er den lieben langen Tag anfangen sollte. Seit er bei der Kripo den Bettel hingeschmissen hatte, war er nicht mehr in die Gänge gekommen, für ihn, Prototyp eines Preußen, nur schwer zu ertragen. Er war ein Mensch der Tat, zum Herumsitzen, und sei es mit einem Buch in der Hand, nicht geschaffen. Na ja, zumindest nicht unbedingt. Er musste unter die Leute, musste sich mit anderen messen, etwas tun, das ihn voll und ganz in Anspruch nahm. Gewiss, da gab es natürlich die Geschichte derer von Sydow, die er erforscht, Bücher, die er gewälzt, Urkunden, die er reihenweise studiert hatte. Zufriedener war er dadurch nicht geworden, sondern das ziemliche Gegenteil. Kurzum: Aus Tom Sydow, Polizist mit Leib und Seele, war ein Stubenhocker geworden, und er musste zusehen, dass er bald die Kurve kriegte.
Die Frage war nur, wie.
Und auf welche Weise.
Nicht geschaffen, um über Gott und die Welt nachzugrübeln, nahm der 51-jährige, hochgewachsene und zum Leidwesen seiner Frau zumeist nachlässig gekleidete Ex-Kriminalhauptkommissar die Kaffeedose aus dem Schrank, öffnete sie und schüttete fünf gehäufte Löffel in den Filter. Das Minimum, um auf Touren zu kommen, das Maximum, um wegen der drei Tassen, die er kochte, mit Lea nicht aneinanderzugeraten. Er war von Natur aus konfliktscheu, wenngleich dies nur auf Lea und weniger auf die Ganoven zutraf, mit denen er im Dienst von Vater Staat zu tun gehabt hatte.
Die dampfende Henkeltasse in der Hand, ließ sich Sydow am Tisch nieder und blätterte die Morgenpost durch. Im Gegensatz zum Wochenbeginn, wo Berlin wieder einmal Schlagzeilen gemacht hatte, gab es wenig Neues, und so knöpfte er sich die vorangegangen Ausgaben vor. Das Thema Nummer eins, und zwar nicht nur im Westen, waren wieder einmal die Fluchthelfer gewesen, die ihre Stollen unter der Mauer hindurch Richtung Westen getrieben hatten. Was das anging, wich Sydows Meinung von derjenigen der übrigen Berliner nicht ab, die besagte, dass jedes Mittel recht war, um Ost-Berlinern die Flucht zu ermöglichen. Leider ging dies nicht immer reibungslos vonstatten, und während Sydows Blick auf die Schlagzeilen vom vergangenen Dienstag fiel, legten sich Sorgenfalten über sein Gesicht. ›Wilde Schießerei nach Massenflucht durch einen Tunnel‹ war in der Morgenpost zu lesen, wobei nicht klar war, wer zuerst und auf wen geschossen hatte. Eines stand jedoch fest, nämlich dass ein Grepo dabei ums Leben gekommen war. Die Zeitungen in der Ostzone, wie Sydow die DDR immer noch nannte, hatten Gift und Galle gespuckt, allen voran das Neue Deutschland, das ein Riesentamtam veranstaltet und die Gelegenheit beim Schopf gepackt hatte, um das Regime als Opfer westlicher Attacken zu präsentieren. Dass es das nicht war, wusste jeder Idiot, gäbe es die Mauer nicht, hätte der Spitzbart, wie Ulbricht nicht nur im Westen genannt wurde, schon lange einpacken können.
Um nicht in Rage zu geraten, faltete Sydow die Morgenpost zusammen, trank einen Schluck Kaffee und schmierte sich eine Butterstulle. Auf andere Gedanken kam er trotzdem nicht. Wie die meisten Berliner hatte er für Ulbricht & Co. nichts übrig, und das war, wie er offen zugab, noch harmlos formuliert. An den 17. August vor zwei Jahren, wo ein 18-Jähriger im Todesstreifen verblutet war, konnte er sich noch gut erinnern, ebenso wie an die Proteste, die auf den Tod des Maurergesellen Peter Fechter gefolgt waren. Bis zum Abtransport des Sterbenden hatte es knapp 50 Minuten gedauert, ein Umstand, der nicht nur Sydow in Wut versetzt hatte. Das Bild, auf dem ein Vopo mit dem schmächtigen Mann aus Weißensee auf dem Arm abgelichtet war, hatte für weltweite Schlagzeilen gesorgt, und wieder einmal war Berlin in den Brennpunkt des Interesses geraten. An der Situation der Insulaner, als die sich seine Mitbürger gern bezeichneten, hatte sich jedoch wenig geändert, trotz Hupkonzerten am 13. August, Demonstrationen, Sprengstoffanschlägen auf die Mauer und dem Bau von Fluchttunneln, der vor vier Tagen ein weiteres Opfer gefordert hatte. Sydow war sich sicher, dass es nicht das letzte war, und er fragte sich, wie lange der Belagerungszustand noch andauern würde.
Woanders leben wollte er trotzdem nicht, anders als all jene, die in den Westen abgewandert waren. »Na, mein Schatz – so früh schon wach?«
›Was heißt hier früh!‹, wollte Sydow grummeln, doch wie so häufig, wenn seine Laune nicht die beste war, möbelte ihn ein Kuss seiner Frau Lea wieder auf. »Klar doch!«, beeilte er sich folglich zu erwidern und schenkte seiner Jugendliebe, die er mit 40 geheiratet hatte, eine Tasse Kaffee ein. »Oder denkst du, ich lasse dich allein frühstücken? Kommt gar nicht in die Tüte, schöne Frau!«
»Du bist ein Schatz, Brummbär, weißt du das?«
Sydow wurde regelrecht warm ums Herz, aber da er sich mit Emotionsbekundungen schwertat, flüchtete er sich in Humor. »Brummbär und Schatz – wie passt das denn zusammen?«
»Sehr gut«, antwortete Lea, schälte ihr Frühstücksei und lächelte Sydow an, als sei dies ihr erstes gemeinsames Rendezvous. Sydow geriet ins Träumen. Blondes, auf die schmalen Schultern herabfallendes Haar, azurblau schimmernde Augen, helles Kleid, Sommersprossen und die Figur eines Teenagers. So hatte sie ausgesehen, als sie zum ersten Mal miteinander Tanzen gegangen waren. Und so sah sie, 49 Lebensjahren zum Hohn, immer noch aus. Obendrein hatte Lea das Glück, stets jünger geschätzt zu werden, ein Vorzug, der Sydow nicht zuteilwurde. Er war zwar über 1,90 Meter groß; bis auf das volle rotblonde Haar war das aber auch schon alles, was imposant an ihm war.
Er war kein einfacher Typ, und das sah man Thomas Randolph von Sydow, Sohn eines Spitzenbeamten und einer Engländerin, auch an. Die Nase, scharf geschnitten und ein Erbteil seiner Mutter, war eine Idee zu spitz, und das Gleiche galt für die hohen Wangenknochen, denjenigen seines Vaters zum Verwechseln ähnlich. Aber auch so hatte Sydow viel von ihm geerbt, wenngleich er in die Luft ging, wenn er mit dem Ministerialdirigenten im Reichsaußenministerium verglichen wurde. Sydow war reserviert, reizbar und zuweilen barsch, und das, im Verein mit der unterkühlten Art, war sein alter Herr auch gewesen. Darüber hinaus besaß er einen ausgesprochenen Hang zur Ironie, womit er sich bei der Kripo nicht nur Freunde gemacht hatte. Bei so viel Ähnlichkeit fielen die blauen Augen, die zumeist rissigen Lippen und der ebenfalls rotblonde Oberlippenbart nicht mehr groß auf. Der Apfel fiel nicht weit vom Stamm, wie Lea zu betonen nicht müde wurde, und das traf, seinem Unwillen von Trotz, auch auf die eine oder andere von Sydows Charaktereigenschaften zu. »Wie heißt es doch so schön: raue Schale, weicher Kern.«
»Was anderes: Wie lange musst du heute arbeiten?«
»Gute Frage. Wieso fragst du?«
»Nur so.«
Ohne aufzublicken, fuhr Lea von Sydow mit dem Schälen des Eis fort, schnitt es in Scheiben und verteilte sie auf ihrem Brot. »Glaub nur nicht, dass mir das Spaß macht, Tom!«, antwortete sie geraume Zeit später, als Sydow, der an seiner Stulle herumkaute, schon nicht mehr