Die Unwerten. Volker Dützer

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Die Unwerten - Volker Dützer

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sieht dem Leuteschinder ähnlich. Es wird höchste Eisenbahn, dass Sie auf andere Gedanken kommen. Ich wette, Sie haben von Frankfurt noch nichts gesehen außer den verknöcherten Krankenschwestern in der Klinik.«

      »Ich bin tatsächlich noch nicht dazu gekommen, mir die Stadt anzusehen.«

      »Das holen wir alles nach.« Borsig schlug ungeduldig auf die Sitzlehne. »Tempo, mein Guter. Nicht, dass unser junger Freund einen Samenstau erleidet.«

      Der Fahrer gab Gas. Lubeck fühlte sich peinlich berührt. Am liebsten hätte er die Berge von Meldebögen, die er ausfüllte, als Entschuldigung vorgebracht. Aber es war Brunner höchstpersönlich gewesen, der ihn in Borsigs Obhut übergeben hatte. Als er vor einer Woche im Vorzimmer von Brunners Büro gewartet hatte, um sich vorzustellen, hatte sich bestätigt, was er zuvor über den Leiter des Anstaltswesens von Hessen-Nassau in Erfahrung gebracht hatte. Brunners Gebrüll hatte selbst die gepolsterte Eichenholztür durchdrungen. Kurz darauf war ein schmächtiges Männlein mit käsigem Gesicht herausgekommen und eingeschüchtert durch das Vorzimmer gehuscht.

      Obwohl Lubeck sich nicht für einen guten Menschenkenner hielt, hatte er gelernt, die gefährliche Sorte auf den ersten Blick zu erkennen. Bei Brunners Anblick schrillten sofort seine Alarmglocken. Er war ein herrschsüchtiger Despot, der keinen Widerspruch duldete. Eitel und empfindsam, was sein eigenes schwaches Ego anbetraf, dazu übermäßig hart zu Untergebenen mit einem Hang zur Grausamkeit. Gerüchten zufolge strickte er mit Vorliebe Intrigen. In einem Personalbericht der SS wurde er als ausgesprochener Willensmensch beschrieben, der selbst seinen Vorgesetzten oft zu weit ging.

      Erleichtert hatte Lubeck zur Kenntnis genommen, dass er überwiegend im Frankfurter Universitätsklinikum arbeiten würde, und somit nicht unter der unmittelbaren Kontrolle Brunners stand. Allerdings hatte er ihm jeden Freitag Bericht zu erstatten. In der Zwischenzeit begutachtete er Patienten mit geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen und entschied, was mit ihnen zu geschehen hatte. Als er sein erstes rotes Kreuz in einem Meldebogen vermerkte, hatte seine Hand gezittert. Er fühlte sich als Herr über Leben und Tod, als Richter, der bewusst ein Todesurteil fällt, aber zu seiner Überraschung fand er keinen rechten Gefallen daran. Am Abend betrank er sich bis zur Besinnungslosigkeit und konnte zwei Tage lang nicht zum Dienst erscheinen. Er schob eine Magenverstimmung vor, doch Brunner ließ ihm die Meldebögen nachschicken, damit er zu Hause weiterarbeiten konnte. Unter den T4-Gutachtern hatte sich inzwischen eingebürgert, die Patienten gar nicht mehr persönlich in Augenschein zu nehmen.

      Lubeck stellte fest, dass ihm die Entscheidung leichter fiel, Kranke ins Gas zu schicken, wenn er ihnen nicht ins Gesicht sehen musste. In den meisten Fällen entschied er nach den spärlichen Fakten auf den Meldebögen, die von niedergelassenen Ärzten und aus psychiatrischen Kliniken stammten. Als er sich verwundert über den ungeheuren organisatorischen Aufwand äußerte, zitierte Brunner: »All unsere Arbeit hat dem deutschen Volke zu dienen. Der Aufwand für Erbkranke und Asoziale ist so niedrig wie irgend möglich zu halten. Was wir jetzt tun, ist das einzig Richtige: lebensunwertes Leben zu beenden.«

      Heyde hatte recht, ihm, Lubeck, fehlte die nötige Härte. Aber die anstrengende Arbeit half ihm, sich diese Eigenschaft anzutrainieren. Er wusste, dass er sich zum Mordgehilfen herabließ, doch der Gedanke an einen Fronteinsatz fegte die quälenden Einflüsterungen seines Gewissens hinweg. Es war ohnehin zu spät, um umzukehren.

      Am frühen Nachmittag war er nach Wiesbaden gefahren, um seinen ersten wöchentlichen Rapport abzuliefern. Brunner bewohnte in Scheuerbach ein herrschaftliches Gutshaus. Immerhin war er mit dem Fortgang der Aktion T4 zufrieden und hatte ihm überraschend sein Faktotum Heinz Borsig vorgestellt.

      Borsig war ein vierschrötiger Kerl mit rotem Stoppelhaar, Aknenarben und Stiernacken. Er war kriegsuntauglich, weil ihm 1918 eine französische Granate die linke Hand abgerissen hatte. Nun saß er neben Lubeck und sollte ihm auf Brunners Geheiß das Frankfurter Nachtleben zeigen. Stolz hatte er ihm erklärt, dass er Brunners Mädchen für alles sei. Trotz seiner Behinderung war er offenbar ein geschickter Chauffeur und brutal genug, um mit den meisten Gegnern spielend fertig zu werden, von denen Brunner mehr als genug hatte. Es war kein Geheimnis, dass SS-Obersturmbannführer Fritz Brunner Schlägertrupps einsetzte, wenn er nicht bekam, was er wollte. Das hatte ihm bereits mehr als einmal Schwierigkeiten eingebracht, aber über seinen Hang zur Grausamkeit sah man höheren Ortes stillschweigend hinweg. Brunner war für T4 zu wichtig, um auf ihn verzichten zu können.

      »Kannst mal zusehen, wie ich den Gorillas aus der Pagode mit einer Hand die Fresse poliere!«, gab Borsig an. »He Fahrer, drücken Sie aufs Gas.« Er drehte sich zu Lubeck um. »Damit unser junger Freund hier endlich den richtigen Eindruck von Frankfurt bekommt.«

      Die Pagode war ein Nachtlokal in der Nähe des Bahnhofs. Stufen führten in ein Souterrain hinab, neben der Eingangstür leuchteten billige, chinesisch anmutende Lampions. Lubeck war froh, das Lokal in Begleitung zu betreten. Selbst der kantige Borsig wirkte neben dem Türsteher wie ein Zwerg. Der Riese mit dem vernarbten Gesicht und der Schiebermütze musterte sie kritisch, nickte stumm und ließ sie ein.

      Lubeck betrat hinter Borsig den niedrigen, schummerig beleuchteten Raum. Etwa zwei Dutzend Separees gruppierten sich um eine Tanzfläche, die aus einfachem Linoleum bestand. Die Sitzgruppen wurden von Stellwänden mit groben Schnitzereien getrennt, von denen ihr Schöpfer wohl angenommen hatte, sie entsprächen chinesischer Kunst.

      Am anderen Ende des kleinen Saals erhob sich ein Holzpodest, das als Bühne diente. Tabakqualm hing zum Schneiden dick in der verbrauchten Luft, es roch nach Alkohol und Schweiß. Auf der Bühne tanzten vier spärlich bekleidete Mädchen, denen ein gewisser Reiz nicht abzusprechen war. Borsigs Bemerkung über die Krankenschwestern in der Klinik kam ihm in den Sinn. In Lubecks Fantasie verwandelte sich eins der Tanzmädchen, ein mageres Ding mit langem schwarzem Haar, in die Frau, die ihn am frühen Abend mit ihrer Tochter aufgesucht hatte.

      Die meisten Frauen, denen er begegnete, weckten sein Interesse nur vorübergehend. Er hatte kaum Übung im Umgang mit dem anderen Geschlecht, und je älter er wurde, desto mehr hemmte ihn seine Unerfahrenheit. So hatte sich allmählich in seiner Vorstellung das Idealbild einer Partnerin herausgebildet, das er ständig mit seinen Bekanntschaften verglich. Keine der Frauen konnte diesem übersteigerten Ideal standhalten … bis auf das feenhafte Geschöpf, das vor wenigen Stunden sein Sprechzimmer betreten hatte.

      Brunner hatte ihm am Morgen durch Borsig einen Meldebogen zukommen lassen, den er vorrangig behandeln sollte. Ein Volksschullehrer hatte die vierzehnjährige Hannah Bloch gemeldet. Das Mädchen war durch einen epileptischen Anfall ebenso aufgefallen wie durch aufsässiges Verhalten. Es sollte Reichsminister Goebbels beleidigt und mit einem Ziegenbock verglichen haben. Es stand zu befürchten, dass das Mädchen andere Kinder verdarb. Da er neben seiner Tätigkeit als Gutachterarzt auch Politischer Leiter der NSDAP war, fiel die Angelegenheit in sein Ressort. Er war zuständig für die weltanschauliche Schulung und sollte die Bevölkerung politisch überwachen, wo er konnte. Die Verunglimpfung von Goebbels war eine ernste Sache, die nicht ungestraft bleiben durfte.

      Dr. Paul Rademann, der ursprünglich für Lubecks Arbeit vorgesehen gewesen war, hatte sich geweigert, bei T4 mitzumachen, und war kurzerhand seines Postens enthoben worden. So war es zu der verhängnisvollen Begegnung mit Malisha Bloch gekommen.

      Er wusste, dass er sie angestarrt hatte wie einen Engel, der vom Himmel herabgestiegen war. Diese Frau war die vollkommene Verkörperung seines Idealbildes: Die schlanke, hochgewachsene Gestalt, die aristokratischen, anmutigen Bewegungen, das volle Haar von der Farbe eines Rabenflügels und der unmerkliche, leicht aufwärts gerichtete Schwung der Augenbrauen. Intelligent musste sie noch dazu sein, denn sie hatte sofort gespürt, dass seine Anwesenheit für ihre Tochter nichts Gutes verhieß, und sich mit ihr aus dem Staub gemacht.

      Lubeck hatte sich unmittelbar nach ihrer Flucht ihre

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