Die Unwerten. Volker Dützer
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Читать онлайн книгу Die Unwerten - Volker Dützer страница 14
Er hatte bereits die Vermittlung angewiesen, ihn mit der Polizei zu verbinden, um Malisha Bloch festsetzen zu lassen, dann aber den Hörer auf die Gabel gelegt und gründlich nachgedacht. Hätte er sie denunziert und beschuldigt, ihrem Kind die notwendige medizinische Versorgung vorzuenthalten, hätte man sie ohne viel Federlesens eingesperrt. Selbst wenn Malisha Bloch die Lagerhaft überstehen würde, büßte er jede Aussicht ein, sie wiederzusehen. Und er musste diese Frau wiedersehen.
Borsig brüllte nach einem Kellner. Ober und weibliche Bedienungen flitzten zwischen den Tischen hin und her. Lubeck beobachtete zwei blutjunge Mädchen, die als Geishas verkleidet in einem Separee verschwanden. Kurz darauf hörte er sie kichern. Ihm wurde heiß, weil er nicht wusste, was Brunner Borsig aufgetragen hatte. Es war mehr als unklug, dessen Anweisungen nicht zu befolgen, schon gar nicht, wenn er sich so spendabel zeigte. Er hatte keine Ahnung, wie er reagieren sollte, wenn Borsig eins der Mädchen bezahlen würde, um mit ihm …
Lubeck schüttelte die Vorstellung von Nacktheit und Sex ab, weil er befürchtete, sich in seiner Unbeholfenheit schrecklich zu blamieren.
Ein Kellner nahm die Bestellung auf – eine Flasche Champagner. »Für den Anfang«, beeilte sich Borsig mitzuteilen.
Lubeck sah verkrampft der Darbietung der Mädchen zu, die zur Musik der Kapelle tanzten. Er verglich sie mit Malisha und fand sie billig und ohne Klasse.
Eine üppige Blondine, die mit Strapsen und einem knallengen Oberteil bekleidet war, näherte sich ihrem abgetrennten Bereich und setzte sich ungefragt auf Borsigs Schoss. Der gab ihr einen Klaps auf den Po. Ihre großen Brüste wackelten in dem knappen Mieder, was Borsig ungemein amüsierte. Lubeck wandte sich ab und gab vor, ganz von dem Treiben im Lokal gefangen zu sein.
Die ausgelassene, frivole Stimmung erregte und hemmte ihn zugleich. In der Pagode hatte man das Gefühl, auf einem Vulkan zu tanzen. Die Gäste schienen sich zu vergnügen, als gäbe es kein Morgen.
Ein neuer Schwall Besucher quoll in das Lokal. Eine Kellnerin balancierte geschickt ein Tablett mit einer Champagnerflasche in einem Eiskübel und zwei Gläsern durch die Menge. Sie bewegte sich elegant durch die Lücken und steuerte auf Lubecks Tisch zu. Ihr blauschwarz glänzendes Haar trug sie im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Lubecks Herzschlag setzte aus. Die Frau war Malisha Bloch.
Noch hatte sie ihn in dem Schummerlicht nicht erkannt. In seinen Tagträumereien nach ihrer Begegnung am späten Nachmittag hatte er sich ausgemalt, wie er seinen Einfluss gelten machen würde, um sie zu beeindrucken und für sich zu gewinnen. Nun, da er ihr in wenigen Sekunden in die Augen blicken würde, war sein Kopf so leer wie ein Blankomeldebogen.
Sie stellte das Tablett auf dem runden Tischchen ab, verteilte die Sektkelche und schenkte den Schampus ein. Von der drallen Blondine auf Borsigs Schoss schien sie keine Notiz zu nehmen.
Lubeck betrachtete Malisha Bloch verstohlen. Sie trug eine weiße, hochgeschlossene Bluse und einen schwarzen Rock. Damit unterschied sie sich deutlich von den Animiermädchen. Offenbar arbeitete sie hier nur als Bedienung.
»Lassen Sie es sich schmecken.«
Sie stellte die Flasche ins Eis zurück und griff nach dem Tablett. Borsig kniff dem blonden Mädchen in den Bauch, es quiekte wie ein rosiges Ferkel.
Malisha hob für einen Wimpernschlag den Kopf und sah Lubeck an. In ihrem Augenwinkel zuckte ein Nerv. Sie kniff die Lippen zusammen und erbleichte. Sie hatte ihn erkannt. Bevor ihm etwas einfiel, mit dem er ihr Vertrauen gewinnen konnte, hatte sie sich abgewandt und war in der Menge verschwunden. Mit wild schlagendem Herzen sah er ihr nach.
Liebe war es nicht, die ihn überflutete. Malisha erregte ihn auf eine rein körperliche Weise, und zwar so heftig, wie er es nie zuvor erlebt hatte. Diese Frau repräsentierte alles, was er sich je erträumt hatte.
Borsig schien seine Verwirrung zu bemerken und folgte seinem Blick.
»Wo hab ich nur meine Manieren?«, sagte er kopfschüttelnd und prostete dem Mädchen zu. »Die Schwarzhaarige gefällt Ihnen, was? Normalerweise bieten die Kellnerinnen in der Pagode keine Extradienste an. Aber für SS-Obersturmbannführer Brunner sollen sie in dem Laden gefälligst eine Ausnahme machen. Mein Chef verlangt schließlich, dass ich Sie mit allem versorge, was Frankfurt zu bieten hat.«
Er pfiff durchdringend auf den Fingern und winkte dem Barkeeper.
»Den alten Gaston kenne ich gut«, erklärte er augenzwinkernd. »Er versorgt mich mit Frischfleisch, außerdem ist er mir einen Gefallen schuldig.« Er machte eine eindeutige Handbewegung und deutete auf Malisha, die das leere Tablett auf dem Bartresen abstellte.
Sie drehte sich um. Durch das Lokal hinweg trafen sich ihre Blicke. Mein Gott, wie er diese Frau begehrte, sie besitzen und beherrschen wollte. Bei der Vorstellung, dass sie ihm gehorchen musste, weil ihr keine andere Wahl blieb, bekam er eine Erektion.
Der Barkeeper sagte etwas zu ihr, daraufhin nickte sie und überquerte die Tanzfläche.
»Na bitte, geht doch!«
Borsig beschäftigte sich wieder mit seiner Blondine und goss Schampus nach. Lubeck wollte verlegen den Blick abwenden, aber diese Frau hatte ihn verhext. Er konnte nichts anderes tun, als sie anzustarren. Sie blieb vor dem Tisch stehen. Wie einen Schild hielt sie schützend das Tablett vor den Bauch.
»Sie haben einen Wunsch?«, fragte sie.
Seine Kehle war trocken wie Sandpapier. Er räusperte sich umständlich.
»Wir sind nur zu dritt«, dröhnte Borsig, »zu viert wird’s lustiger.« Er zog ein Bündel Geldscheine aus seiner Hosentasche und warf es auf den Tisch. »Kümmere dich ein bisschen um meinen jungen Freund hier. Er ist neu in der Stadt und will was erleben.« Er klatschte der Blondine auf den Hintern. »Wie wär’s mit Gastons Spezialprogramm?« Das Mädchen kicherte.
»Ich arbeite hier als Kellnerin. Für Ihre Wünsche haben wir … anderes Personal.«
Borsig zog die buschigen Brauen zusammen. »Hab dich nicht so. Es soll dein Schaden nicht sein.«
Lubeck überlegte fieberhaft, was er tun sollte. Bisher war er passiv geblieben, aber eine bessere Gelegenheit würde er nicht bekommen.
»Ich bin sicher, dass es nur eine Frage des Preises ist.« Borsig lachte und fischte einen Zwanziger aus dem Bündel. »Mit den besten Grüßen von Obersturmbannführer Brunner. Heil!«
Malisha kehrte ihnen den Rücken zu und ging zur Bar zurück.
»Man kann nicht nur mit Geld bezahlen«, rief Lubeck. Er spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss.
Sie blieb kurz stehen, ging dann aber weiter.
Borsig schob grob das Mädchen von seinem Schoß. »Arrogantes Luder. Der werd ich Manieren beibringen.« Er stand auf und ballte seine Fäuste.
Lubeck war dankbar für das Rotlicht, das durch die Lampions sickerte. Es verbarg die Schamesröte in seinem Gesicht. Ich muss härter werden, dachte er. Viel härter.
Borsig hatte keine Chance, das Separee zu verlassen. Der Rausschmeißer mit dem Narbengesicht vertrat ihm den Weg.
Wie auf Kommando stimmte die Band einen hektischen Ragtime