Tochter der Inquisition. Peter Orontes

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Tochter der Inquisition - Peter Orontes

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dem Holzhammer klopfte der Stadtrichter dreimal kräftig auf die Tischplatte.

      »Hiermit gibt das Gericht der Klage gegen Jobst Heiss statt«, eröffnete er die Verhandlung, und fuhr fort: »Er wird beschuldigt, den Tod von Dietrich Pützer verursacht zu haben. Ich fordere alle Anwesenden auf, während des Verfahrens Ruhe und Ordnung zu wahren.« Dann wandte er sich an den Gerichtsschreiber. »Gerichtsschreiber, lest die Klageschrift vor.«

      Der Aufgeforderte erhob sich. Er räusperte sich, entrollte ein Pergament und brachte mit lauter Stimme den genauen Ablauf des verhängnisvollen Abends der aufmerksam lauschenden Zuhörerschaft zur Kenntnis. Anschließend verlas er die Namen der zwölf Genannten und schloss mit der Aufforderung: »Ehrwürdiger Herr Stadtrichter, waltet Eures Amtes.«

      Spätestens als der Schreiber begonnen hatte, die Klageschrift vorzulesen, war Ruhe auf dem Platz vor der Laube eingekehrt. Als er die Stelle verlas, in der erwähnt wurde, wie der Beschuldigte dem am Boden liegenden Opfer nachträglich ein Messer in die Hand gedrückt hatte, war ein empörtes Raunen durch die Menge gegangen. Es war schließlich jedermann klar, aus welchem Grund Jobst Heiss das getan hatte. Jobst spürte, wie sich die Stimmung gegen ihn zu richten begann. Es lief ihm kalt den Rücken hinunter.

      Georg von Panhalm wandte sich zunächst an ihn. »Ihr seid Jobst Heiss?«, fragte er formell.

      Jobst nickte nur. Er brachte keinen Ton hervor.

      »Ihr habt gehört, was Euch zur Last gelegt wird. Was habt Ihr dazu zu sagen?«

      Jobst schwieg. Zerknirscht und furchterfüllt blickte er zu Boden.

      »Nun, was ist, Jobst Heiss?«, fragte von Panhalm ungeduldig. »Habt Ihr denn nichts zu Eurer Verteidigung vorzubringen?«

      Jobst hob den Kopf. »Doch, Herr Stadtrichter. Es war ein dummer Streit. Es tut mir leid. Aber er hat damit angefangen«, Jobsts Stimme verriet zwar eine gehörige Portion Furcht, doch es lag auch ein gewisser Trotz darin.

      »Wer, ›er‹?«, fragte der Richter. Obwohl er natürlich wusste, wer gemeint war.

      »Na, der Dietrich.«

      »Ihr meint: Dietrich Pützer? Er hat also den Streit begonnen? Um was ging es denn dabei?«

      Jobst trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Na ja – das lässt sich … schlecht sagen. Es ging um … es ging um … Jungfer Luzia.«

      Aus den Reihen der Zuschauer klang verhaltenes Lachen herauf.

      Panhalm blickte streng in die Menge hinunter, bevor er sich wieder an Jobst wandte. »Aha, es ging um Jungfer Luzia. Ihr meint die Tochter des Wirts, Jakob Rabener? Sie war der Grund Eurer Auseinandersetzung? Inwiefern?«

      »Nun …«, wieder zögerte Jobst mit der Antwort. »Es ging … es ging eigentlich nur um ihren … um ihren Hintern.«

      Jetzt lachte die Menge aus vollem Hals. Sogar in der Miene des Stadtrichters zuckte es verdächtig.

      Doch er hatte sich gleich wieder in der Gewalt. »Könntet Ihr das etwas näher erklären?«

      »Luzie – äh, ich meine Jungfer Luzia – ich mag sie eben. Und sie mich auch, glaube ich. Und immer, wenn sie dem Dietrich seinen Humpen brachte, … klopfte er ihr … klopfte er ihr auf den Hintern, einfach so. Und das hat mir … hat mir eben … nicht gefallen. Und da habe ich ihm gesagt, er soll … er soll … das bleiben lassen. Aber er sagte, das ginge mich nichts an. Er sagte auch, er habe die gleichen … die gleichen Rechte wie ich … Und da bin ich eben einfach fuchsteufelswild geworden, und dann gab ein Wort das andere, … und dann … und dann…«, Jobst wusste nicht mehr weiter und blickte hilfesuchend in die Runde.

      »Und dann sprachen Eure Fäuste«, vervollständigte der Stadtrichter den angefangenen Satz.

      Wieder lachten die Zuschauer.

      »Ja, ja, … genauso war es. Aber es wäre alles nicht geschehen, … wenn wir nicht … wir waren … wir hatten ja auch …«, abermals suchte Jobst nach Worten, ohne die richtigen zu finden.

      Erneut kam ihm der Stadtrichter zu Hilfe. »Ihr meint wohl, Ihr hattet so etwas wie einen Rausch?«

      »Richtig, Herr Stadtrichter, Ihr sagt es. Das viele Bier. Wir … wir hätten etwas weniger davon kosten sollen.«

      »Hattet Ihr eben ›kosten‹ gesagt? Ich nenne das ›saufen‹«, gab der Stadtrichter trocken zurück.

      Der Gerichtsschreiber ergriff das Wort. »Soll ich diesen Euren Satz in das Protokoll mit aufnehmen?«, fragte er gewichtig.

      »Natürlich nicht, Ihr Narr«, antwortete Panhalm.

      Die Zuhörer amüsierten sich köstlich. Die Verhandlung schien ganz nach ihrem Geschmack zu laufen. Nicht wenige begannen, flachsige Kommentare von sich zu geben.

      Energisch klopfte Panhalm mit seinem Hammer auf den Tisch. »Ich bitte mir Ruhe aus. Und ein wenig mehr Respekt«, polterte er los.

      Dann wandte er sich wieder an Heiss. »Wie kamt Ihr eigentlich dazu, plötzlich auf den Pützer einzustechen?«

      Jobst hatte diese Frage erwartet. So unbeholfen, wie er bis jetzt gesprochen hatte, so überlegt und bewusst setzte er nun zur Antwort an. Er wusste, dass er in diesem Augenblick absolut glaubwürdig wirken musste; sein Leben hing davon ab.

      »Ich hätte niemals mein Messer gezogen. Er hat es zuerst getan. Ich musste mich gebührlich verteidigen. Ich zog mein Messer in Notwehr«, sagte er mit fester Stimme.

      Peter Seimer, der zusammen mit den anderen Zeugen auf dem Podest stand und bis jetzt aufmerksam der Verhandlung gefolgt war, zuckte ob dieser groben Lüge zusammen. Balduin den Schweinehirten schien die Antwort Jobsts gleichgültig zu lassen; er schwankte wie ein Ast im Wind. Die Bierfahne, die vor ihm herwehte, ließ den Schluss zu, dass ihm die Tragweite dieser Aussage verborgen blieb.

      »Ihr behauptet also tatsächlich, dass der Pützer zuerst das Messer zog?«, vergewisserte sich der Stadtrichter. »Ihr wisst, dass Ihr darauf den Schwur zu leisten habt!«, fügte er mahnend hinzu.

      Jobst Heiss wusste dies. Doch was nützte es ihm, wahrheitsgemäß zu antworten, wenn ihn dies den Kopf kostete? Andererseits war ihm klar, dass seine Darstellung der Dinge in direktem Widerspruch zu der Aussage der beiden Zeugen stand. Was Balduin den Schweinehirten anging, brauchte er sich da keine allzu großen Sorgen zu machen. Denn dass Balduin als Zeuge so viel wert war wie ein durchlöchertes Wams bei heftigem Regen, wusste schließlich jeder. Die Glaubwürdigkeit Peter Seimers zu erschüttern, würde dagegen weitaus schwieriger sein. Dennoch – er musste es versuchen, es ging ums Überleben.

      »Ich weiß sehr wohl, dass Ihr mich vereidigen werdet, Herr Stadtrichter. Doch ich bleibe dabei – der Pützer zog das Messer als Erster.« Die Stimme Jobsts klang trotzig, fast herausfordernd.

      Während der Stadtrichter daraufhin nur nickte, sah Peter Seimer abermals empört zu Jobst hinüber. Gleichzeitig lastete die Ungewissheit über das, was ihn selbst erwartete, wie ein schwerer Stein auf seiner Seele. Er wusste, dass der Stadtrichter auch ihn dazu auffordern würde, seine Aussage zu beeiden. Aber er würde dies ablehnen. Er durfte nicht schwören. Weil er sein Leben dem Herrn geweiht hatte. Als einer der Angehörigen der Gemeinde der »Armen Christi« zählte er zu denjenigen, die niemals einen Eid ablegten. Selbst nicht angesichts des Todes. Denn

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