Tochter der Inquisition. Peter Orontes

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Tochter der Inquisition - Peter Orontes

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Ärger darüber, dass sich Mohr deswegen »besser vorkam wie andere«, wie Rieser behauptete

      »Ach was. Spiel nich wieder den Heiligen. Deine Familie kommt auch mal ohne dich zurecht. Gönn dir einen kühlen Schluck; komm mit«, forderte er ihn nichtsdestotrotz auf.

      »Lass gut sein, Johann. Bis nach Ternberg ist’s ein ordentliches Stück Weg. Ich will bald zu Hause sein. Wie gesagt: ein andermal«, entgegnete Mohr und wandte sich zum Gehen. Das letzte Mal, als er sich von Rieser zu einem Schwatz am Biertisch hatte überreden lassen, war er mit hämischen Bemerkungen und spöttischen Kommentaren geradezu überschüttet worden. Damals hatte er sich geschworen, solches in Zukunft bleiben zu lassen.

      Doch Johann Rieser ließ nicht locker. »Warte, Heiner; einen Augenblick noch. Was sagst du eigentlich dazu, wie’s mit dem Heiss ausgegangen is’? Der hat doch verdammtes Schwein gehabt. Wenn der Seimer hätt schwören können, wär’s vielleicht aus mit ihm gewesen. Dem Seimer hätten Richter und Ratsherren sicher eher geglaubt. Meinst du nich auch? Und überhaupt: Peter und du, ihr seid doch dicke Freunde. Hat er dir denn nichts von der ganzen Geschichte erzählt? Ich mein’, das mit den Maskierten und der Erpressung und so.«

      »Nein, hat er nicht«, gab Heiner geduldig zur Antwort. »Er hatte auch keine Gelegenheit dazu. Ich habe ihn … ich habe ihn schon länger nicht mehr gesehen.«

      »Ach, hör auf, Heiner, was heißt hier, schon länger nicht mehr gesehen. Er war doch erst vorgestern bei dir; spät des Nachts. Ich hab ihn gesehen. Und andere waren auch noch da – welche, die ich noch nie gesehen habe.«

      Heiner Mohr erschrak. Was der Rieser sagte, war richtig. Peter war mitsamt seiner Familie und dem Gesinde tatsächlich vorgestern Nacht bei ihm gewesen. Und nicht nur er. Einige andere aus der Gemeinde waren ebenfalls bei ihm gewesen. Und auch die beiden reisenden Meister, Bruder Rudlin und Bruder Heinrich. Sie alle hatten Peter für die vor ihm liegende Verhandlung Mut zugesprochen. Rudlin und Heinrich hatten der geheimen Versammlung aus dem Buch der Psalmen vorgelesen. Dann hatten sie zusammen gebetet und anschließend hatten die beiden Meister den Anwesenden die Beichte abgenommen.

      Allerdings hatte Heiner geglaubt, dass sie alle genügend Vorsicht hatten walten lassen und von niemandem gesehen worden waren.

      Doch das war offenbar ein Irrtum gewesen.

      Johann Rieser hatte sie beobachtet.

      Heiner Mohr lächelte gequält.

      »Ja, ja«, sagte er. »Du hast schon recht. Natürlich war Peter bei mir. Aber eben schon vorgestern. Darum sagte ich, ich hätte ihn schon länger nicht mehr gesehen. Zwei entfernte Verwandte waren bei ihm abgestiegen. Sie waren auf der Durchreise. Und da hat er uns eingeladen. Du verstehst schon. Wegen der Neuigkeiten und so. Unsereiner ist ja, wenn er erfahren will, was in der Welt passiert, auf durchziehende Reisende angewiesen. Aber von seiner Begegnung mit dem Maskierten hat er nichts erzählt. Wahrscheinlich wollte er seiner Aussage vor dem Stadtrichter nicht vorgreifen. Ist ja auch verständlich. Aber jetzt lass gut sein, Johann. Ich muss weiter.«

      »Mach’s gut, Heiner. Und sag dem Seimer, er soll mich das nächste Mal auch mit einladen, wenn er Besuch kriegt. An Neuigkeiten bin ich schließlich auch interessiert.«

      »Ich werd’s ihm ausrichten, Johann. Also dann – bis bald.«

      Während sich Mohr endgültig zum Gehen wandte, sah ihm Rieser mit verkniffener Miene nach.

      »Ich krieg dich schon, du scheinheiliger Tugendbold, dich und deine Freunde, verlass dich drauf«, murmelte er leise; der Verdacht, den er bereits über Jahre hinweg hegte, hatte heute neue Nahrung bekommen. Ein Hinweis, an der richtigen Stelle angebracht, würde die nötige Klärung bringen, da war sich Johann Rieser sicher.

      Ein gehässiges Lächeln spielte um seine Mundwinkel, während er zum Goldenen Krug hinüberging.

      *

      Die beiden Männer waren von tiefer Zufriedenheit erfüllt.

      Verschmitzt lächelnd, beobachtete der jüngere von ihnen die auseinanderstrebende Menschenmenge auf dem Platz vor dem Stadtrichterhaus.

      »Siehst du, Bruder Rudlin, die List hat sich gelohnt«, sagte er.

      Der Ältere lächelte still vor sich hin. »Ja, für diesmal hast du recht behalten, Bruder Heinrich. – Im Übrigen: Du musst sehr überzeugend gewirkt haben. Peter hat dich wirklich nicht erkannt, als du ihm den fingierten Drohbrief überreicht hast.«

      »Nun, das war schließlich auch der Sinn der Übung, nicht wahr?«, grinste der Jüngere.

      Der Ältere nickte. »Beten wir zum Herrn, dass deine List auch weiterhin erfolgreich sein möge, Bruder Heinrich«, entgegnete er, während das Lächeln in seiner Miene skeptischem Ernst Platz machte.

      »Ja«, bestätigte der Jüngere, ebenfalls ernster werdend, »beten wir darum.«

      *

      Zu denen, die den Platz vor dem Stadtrichterhaus recht nachdenklich verließen, gehörte auch Christine von Falkenstein. Während sie zum Haus des Ternbergers hinunterging, versuchte sie, die Verhandlung noch einmal an ihrem geistigen Auge vorüberziehen zu lassen. Sie hatte einen guten Platz in der vordersten Reihe der Zuschauer ergattern und die Protagonisten genau beobachten können. Auch Peter Seimer. Ein hochgewachsener, asketisch wirkender Mann, schlank, fast mager, der trotz der mächtigen Hakennase und der kantigen Gesichtszüge einen gütigen, fast vornehmen Eindruck machte. Obgleich sie seine Erklärung über die nächtliche Begegnung mit den zwei maskierten Männern als äußerst seltsam empfand, tendierte sie wie auch der Stadtrichter dazu, ihm zu glauben. Während des Verhörs durch Georg von Panhalm hatte sie auch die eine und andere aufschlussreiche Bemerkung aus dem Publikum über ihn aufgeschnappt. Die meisten zeugten durchweg von Respekt. Einige aber auch von gutmütigem, andere sogar von bösartigem Spott.

      Was Christine jedoch am meisten beschäftigte, war das, was Peter Seimer über seine Beziehung zu Gundel Schreyer, dem Zeitler, gesagt hatte. Irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass damit eine weitere Figur aus dem Dunstkreis der Beziehungen zwischen Seimer, Klara und Sofia Kontur bekommen hatte, die lohnte, einer genaueren Betrachtung unterzogen zu werden.

      Schade, dass du nicht dabei sein konntest, Falk. Christine dachte an ihren Gatten, der die Gelegenheit ihres Aufenthaltes genutzt hatte, um für einige Tage nach Melk zu reisen. Der Prior des dortigen Benediktinerstiftes, den er seit vielen Jahren kannte, war schwer erkrankt, und so hatte Falk beschlossen, ihm einen Besuch abzustatten. Übermorgen erst würde er zurückkehren.

      Christine verlangsamte ihren Schritt und grübelte …

      Peter Seimer und Gundel Schreyer. Zwischen ihnen herrschte ein nicht unerheblicher Streit, und zwar dergestalt, dass sogar der Stadtrichter damit beschäftigt war. Die Tatsache, dass Seimer Schreyer lediglich als Zeitler bezeichnet hatte, ließ den Schluss zu, dass dessen Hauptbeschäftigung den Bienen galt. Oder dem Flugvieh, wie die kleinen fleißigen Summer auch genannt wurden. Wer seinen Lebensunterhalt ausschließlich als Zeitler bestritt, verfügte in der Regel über bedeutend mehr Bienenstände als die normalen Bauern, die nur einige Schwärme nebenbei hielten. Dass er eifersüchtig über seine Völker wachte, verstand sich von selbst, entsprach der Kaufpreis zweier Bienenvölker doch dem einer guten Kuh!

      Aber dass Peter Seimer einen seiner Schwärme darauf abgerichtet haben sollte, die emsigen Honiglieferanten des Gundel Schreyer zu überfallen, das schien Christine nun doch sehr weit hergeholt.

      Honig!

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