Tochter der Inquisition. Peter Orontes

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Tochter der Inquisition - Peter Orontes

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Ihr mich für dumm verkaufen? Irmingard, die Obermagd, soll behauptet haben, dass man im Hause Ternberg meinen Honig mag?«, bellte er heiser. »Sie heißt doch Irmingard, nicht wahr?«

      Sofort wurde Christine bewusst, dass sie einen groben Fehler begangen hatte. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück.

      »Hat sie Euch auch erzählt, dass man mich vor über zwei Jahren wie einen räudigen Hund vom Ternbergschen Anwesen gejagt hat, nur weil ich darum bat, mir die Bienenstöcke zu ersetzen, die ein wild gewordener Hengst zerstörte, der dem Magistrat gehört hat? Ha, dass ich nicht lache; man mag dort meinen Honig!«, brach es aus Gundel Schreyer plötzlich voller Hass und Hohn heraus.

      Christines Gedanken überschlugen sich. »Nun das hat mir Irmingard nicht gesagt. Sie … sie beschrieb mir lediglich den Weg zu Euch«, erwiderte sie mit belegter Stimme.

      Die Augen Gundel Schreyers verengten sich. »Das heißt, sie weiß, dass Ihr hier seid?«, erkundigte er sich.

      »Nicht nur sie. Die halbe Dienerschaft weiß es. Ich wer­de in zwei Stunden zurückerwartet«, log Christine weiter.

      »Also dann will ich Euch nicht länger aufhalten. Ich denke, Ihr solltet jetzt gehen«, sagte Gundel und deutete zur Tür.

      Missmutig und verärgert über sich selbst, ritt Christine den Weg zurück, den sie gekommen war. Durch ihr unbedachtes Verhalten hatte sie die Gelegenheit, mehr aus dem Zeitler herausholen zu können, gehörig verpatzt. Der Mann war nun gewarnt und einer weiteren Befragung gegenüber gewappnet. Was Falk wohl zu ihrem Alleingang sagen würde? …

      Ich muss nach Ternberg. Eigentlich hätte ich schon längst weg sein müssen – schoss Christine die Bemerkung Gundels plötzlich in den Sinn.

      Abrupt brachte sie ihren Rappen zum Stehen. Vorausgesetzt, der Mann hegte immer noch die Absicht, sich auf den Weg nach Ternberg zu machen – bot sich dann nicht die Möglichkeit, die Kate in seiner Abwesenheit nach irgendeinem Hinweis zu durchsuchen?

      Christine überlegte nicht länger und schwang sich aus dem Sattel. Sie drang ein Stück weit in den Wald ein und band den Rappen an einem kräftigen Ast fest.

      »Sei brav, Schwarzer, ich bin bald wieder da«, murmelte sie. Dann eilte sie durch das Walddickicht wieder zu der Stelle zurück, wo sie vom Pfad abgebogen war, und wartete, gut verborgen, im Unterholz.

      Es dauerte nicht lange, bis sie das dumpfe Stapfen von Hufen auf dem Waldboden hörte, gleich darauf sah sie Gundel Schreyer auf einem alten Klepper den Pfad entlangkommen. Über dem Hals des Pferdes zusammengekauert, saß er mehr schlecht als recht im Sattel.

      Christine wartete, bis der Mann hinter der Wegbiegung verschwunden und das Geräusch trabender Hufe verklungen war. Dann schlug sie sich rasch zurück zu der Stelle, wo der Rappe auf sie wartete …

      Etwa eine halbe Stunde später zwängte sie sich erneut durch die Gatteröffnung. Das Pferd hatte sie diesmal außerhalb der Umfriedung hinter einigen Sträuchern festgemacht. Mit schnellen Schritten querte sie das Anwesen. Bei der Kate angekommen, drückte sie behutsam gegen die Tür – und atmete auf. Sie war nicht abgesperrt. Bevor sie sie ganz aufstieß, sah sie sich vorsichtig um. Unangenehme Überraschungen waren das, was sie jetzt am wenigsten gebrauchen konnte. Doch es lag ein einsamer Friede über dem Anwesen und ließ Christine die Befürchtung, dass Gundel Schreyer, aus welchem Grund auch immer, plötzlich auftauchen könnte, verdrängen.

      Langsam trat sie über die Schwelle und ließ die Tür einfach hinter sich zu­fallen. Aufmerksam glitt ihr Blick durch das Hütteninnere …

      … und ohne dass sie hätte sagen können, warum, schoss ihr plötzlich ein Gedanke durch den Kopf.

      Klaras Geldbörse!

      Sie musste sich im Besitz des Mörders befinden.

      Etwa im Besitz Gundel Schreyers?

      Christine spürte, wie eine eigenartige Erregung von ihr Besitz ergriff.

      Wenn es hier ein Versteck gab – wo hatte man es dann zu suchen? Von Falk hatte sie gelernt, wie man in solchen Situationen auch dem unscheinbarsten Hinweis nachging. Bedächtig schritt sie den Raum ab, während sie überlegte und kombinierte, in Gedanken jeden Winkel ausleuchtete und mit ihren Blicken Handbreit um Handbreit das Interieur abtastete.

      Den Tisch. Die Bettstatt. Das Regal.

      Und die gemauerte Feuerstelle.

      Ein Bündel Sonnenstrahlen fiel durch das Fenster …

      … und verlieh dem Gedanken, der im Bewusstsein Christines zunächst als verschwommenes Etwas aufgetaucht war, mit einem Mal eine klare Kontur.

      Die unter einem Rauchfang gelegene Feuerstelle war von einer etwa hüfthohen doppelten Mauer aus Backsteinen umgeben. In ihr steckte ein Ziegel, dessen untere Kante einen deutlichen Schatten warf; dennoch hätte Christine ihn wahrscheinlich gar nicht bemerkt, wäre das Licht der Sonne nicht darauf gefallen. So aber brachten sie wenige Schritte zum Herd, wo sie in die Hocke ging und die Stelle eingehend musterte. Sie hatte richtig vermutet. Der Ziegel ragte eindeutig ein kleines Stück weit aus der Mauer. Vorsichtig griff Christine danach, ruckelte daran – und stellte triumphierend fest, dass er sich tatsächlich bewegen ließ. Zuerst sanft, dann fester griffen Christines Finger zu und zogen den Stein mit leicht schürfendem Geräusch aus dem Mauerwerk. Vorsichtig legte Christine ihn auf den Lehm­fußboden, griff mit der Rechten in die entstandene Lücke und stellte überrascht fest, dass sie es mit einer verhältnismäßig geräumigen Höhlung zu tun hatte. Christine griff tiefer – und unterdrückte nur mit Mühe einen Ausruf der Überraschung. Ihre Finger hatten ein zusammengerolltes Pergament ertastet; ein Pergament allerdings, das sich etwas klebrig anfühlte. Im Nu hatte sie es zutage gefördert – und glaubte plötzlich, ihren Augen nicht zu trauen.

      »Mein Gott!«, stieß sie hervor.

      An der mit einer Hanfschnur zusammengehaltenen Rolle klebte ein Stück Stoff.

      Das abgerissene Stück eines Kleiderärmels!

      Christine spürte, wie ihr der Mund trocken wurde. Sie legte die Rolle beiseite und griff mit der Rechten noch einmal in die Höhlung, ohne allerdings von Neuem fündig zu werden. Keine Geldbörse! Dafür versuchte sie nun, die mit einem Knoten versehene Schnur von der Rolle abzustreifen, um das Pergament zu entrollen, hielt aber mitten in der Bewegung inne. Nein, jetzt nicht, später – verschwinde endlich, mahnte sie sich und steckte das Pergament unter ihr Wams. Zufall und Glück waren ihr bis jetzt hold gewesen, Letzteres weiter zu strapazieren, hätte bedeutet, das Schicksal über Gebühr versuchen zu wollen. Vorsichtig steckte sie den Ziegel in die Lücke zurück und spuckte einige Male kräftig in die Hand. Hastig tupfte sie mit der angefeuchteten Handfläche den weißen Staub auf, der beim Herausziehen des Ziegels auf den Lehmboden gerieselt war, und wischte sie an der Innenseite ihres Wamses sauber. Die klebrigen Finger vom Honig zu befreien, schaffte sie allerdings nicht ganz.

      Sie erhob sich. Prüfend musterte sie noch einmal die Stelle der Esse, an der sie sich zu schaffen gemacht hatte, und unterzog auch den Fußboden einem letzten kritischen Blick. Dann nickte sie befriedigt. Nichts deutete mehr darauf hin, dass jemand das geheime Versteck entdeckt und ausgeräumt hatte. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Natürlich bekäme Gundel Schreyer – sollte er, aus welchem Grund auch immer, sein Versteck inspizieren, – einen gewaltigen Schrecken, und unter Umständen schöpfte er auch Verdacht. Wie er dann wohl reagieren würde? Christine zuckte die Schulter. Dieses Risiko musste sie eingehen.

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