Tochter der Inquisition. Peter Orontes
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»Und wenn das Ganze nun doch kein Gerücht ist?«
Falk schüttelte unwillig den Kopf.
»Es gibt keinen Grund, sich über ungelegte Eier Gedanken zu machen. Außerdem sind wir vor Einbruch des Winters längst wieder im schönen Salerno.«
»Dein Wort in Gottes Ohr«, seufzte Christine.
Knapp eine Stunde später traten sie über die Schwelle des wohl prächtigsten Hauses, das den Stadtplatz zu Steyr säumte. Hier residierte der Mann, der weder Kosten noch Mühe gescheut hatte, sie in die Stadt zu holen. Vor drei Wochen hatte er einen Boten ins ferne Salerno geschickt, um Falkmar und Christine von Falkenstein darüber in Kenntnis zu setzen, dass Klara, seine Frau, einem heimtückischen Mord zum Opfer gefallen war, und Falk darum zu bitten, an der Aufklärung des Falles mitzuwirken. Die Nachricht hatte die beiden außerordentlich erschüttert. Mit der Ehefrau des Ternbergers hatte sie mehr als nur eine oberflächliche Freundschaft verbunden. Vor drei Jahren hatten sie Klara zusammen mit ihrer Tochter Sofia in Salerno kennengelernt. Da war sie noch die angesehene Kaufmannswitwe Chiara dal Como gewesen. Nach dem Tod ihres Gatten Lorenzo hatte sie mit viel Fleiß und Geschick dessen gut gehende Seidenmanufaktur weitergeführt und ausgebaut. Schnell waren weitere Filialen entstanden. Eine davon in Venedig. Dann, vor zwei Jahren, war Wernher von Ternberg in die Lagunenstadt gekommen, um sich des verwaisten Kontors eines ehemaligen Steyrer Handelshauses anzunehmen. Hier hatte er auch Falkmar wiedergetroffen, der ihm bei dieser Gelegenheit sowohl seine Frau Christine als auch Chiara vorgestellt hatte. Was nicht ohne Folgen geblieben war – Wernher und Chiara hatten sich prompt ineinander verliebt. Nur ein halbes Jahr später war Chiara, begleitet von ihrer Tochter Sofia, als Gattin Wernhers in das Ternbergsche Anwesen in Steyr eingezogen und hatte ihren Vornamen in Klara abgeändert …
»Christine! Falk! Seid von ganzem Herzen willkommen. Ich …«, die Stimme Wernhers geriet plötzlich ins Wanken, was ihm das Weitersprechen verwehrte. Hilflos hob er beide Arme.
Falk und Christine hatten den Ternberger stets als stattliche Erscheinung in Erinnerung gehabt. Doch der Mann, der da neben seinem Schreibtisch stand, schien ein völlig anderer zu sein. Fahl und mit eingefallenen Gesichtszügen, wirkte er trotz seiner imposanten Größe erschreckend alt und hinfällig.
Falk reichte ihm die Hand. »Auch uns fehlen die Worte, Wernher. Was gäben wir darum, wäre der Grund, weshalb wir uns sehen, ein freudiger. Nehmt unser aufrichtiges Mitgefühl entgegen«, kondolierte er mit heiserer Stimme.
Christine umarmte ihn. »Das Schicksal hat Euch eine furchtbare Last aufgebürdet, Wernher. Möge Gott Euch helfen, sie zu tragen«, schloss sie sich den Worten ihres Gatten an und wischte sich eine Träne von der Wange.
»Nun ja, mit dem Schicksal ist es so eine Sache«, räsonierte der Ternberger und sah Christine kummervoll an. »Schon als Euer Gatte und ich uns das erste Mal begegnet sind, geschah dies unter dramatischen Umständen, wie Ihr ja wisst. – Aber verzeiht, ich bin ein schlechter Gastgeber. Nehmt doch erst einmal Platz.«
Der Magistrat wies mit einer einladenden Geste auf zwei behäbige Stühle, die vor seinem Schreibtisch standen. Er selbst nahm dahinter Platz.
Mit seiner Bemerkung über das Schicksal spielte er auf ein Ereignis an, das sich vor siebzehn Jahren in einem dichten Waldstück am Fuß des Jauerling in der Wachau zugetragen hatte, etwa zwei Tagesreisen von Steyr und nicht weit vom Stift Melk entfernt. An einem heißen Juninachmittag war der Ternberger in Begleitung des Priors von Melk und dreier weiterer Mönche in einen Hinterhalt geraten und um ein Haar Opfer eines perfiden Mordanschlags geworden – wäre Falkmar von Falkenstein nicht zufällig zur Stelle gewesen. Ohne lange zu überlegen, hatte er sich beherzt in den Kampf gestürzt, der sich bereits zugunsten des mörderischen Gesindels zu neigen drohte, und hatte so mitgeholfen, das Blatt in letzter Minute zu wenden.
»So schmerzlich es ist, Euch unter diesen Umständen begrüßen zu müssen – ich bin froh, dass Ihr den Weg hierher gefunden habt«, sagte Wernher, nachdem man sich gesetzt hatte. »Klara hat Euch beide sehr gemocht. Sie sprach stets sehr gut und mit großer Anhänglichkeit von Euch. Ich denke, Ihr wisst, wie sehr auch ich Euch schätze, Falk. Ohne Euren furchtlosen Einsatz an jenem Tag vor siebzehn Jahren wäre ich wahrscheinlich nicht mehr am Leben.«
»Es war nicht allein mein Verdienst, Wernher. Ihr und der Prior habt Euch tapfer zur Wehr gesetzt«, versuchte Falk abzuwiegeln, doch der Ternberger schüttelte entschieden den Kopf.
»Keine falsche Bescheidenheit, lieber Freund. Prior Beda hatte recht, als er sagte, dass Ihr Eurem Namen alle Ehre gemacht hättet. Schnell und unerbittlich wie ein Falke wart ihr über das verbrecherische Pack gekommen und habt uns herausgehauen. Auch dass die Drahtzieher des Überfalls so schnell ausfindig gemacht werden konnten, hatten wir Euch zu verdanken. Und natürlich Eurem Scharfsinn.«
Falk ließ seine Gedanken schweifen. Er erinnerte sich noch gut an den Vorfall, der nun schon siebzehn Jahre zurücklag. Auch an das Gespräch mit Beda von Schachnitz, dem Prior zu Melk. Auf dessen Frage, wer er sei und welch glücklichem Umstand man seine Anwesenheit verdanke, hatte Falk sich ihm vorgestellt und ihn in kurzen Zügen über sein Schicksal informiert. Hoch oben im Norden läge seine Heimat, doch die habe er verlassen müssen. Ein mächtiger Verwandter seines verstorbenen Vaters habe ihn um sein Erbe gebracht und ihm nach dem Leben getrachtet. Hals über Kopf sei er in einer Gewitternacht geflohen und habe nur das nackte Leben retten können. Jetzt sei er auf der Suche nach neuen Aufgaben und Herausforderungen. Der Prior hatte ihn daraufhin nach Melk eingeladen und ihm die Gastfreundschaft des Stiftes zugesichert, was Falk dankend angenommen hatte. Tage später war es aufgrund einer Beobachtung, die Falk noch am Ort des Überfalls gemacht hatte, gelungen, der Hintermänner des Überfalls habhaft zu werden. Worauf Beda, beeindruckt vom Scharfsinn seines Gastes, diesem angeboten hatte, seine Fähigkeiten in den Dienst des Stiftes zu stellen. Falk hatte zunächst dankend abgelehnt, mit dem Hinweis, er wolle ein freier Mann bleiben. Den wahren Grund verschwieg er. Er hatte mit Klöstern nichts am Hut, alles, was nach Klerus und Kirche roch, war ihm suspekt. Was Gott und die Welt anging, hatte er seine eigenen Vorstellungen entwickelt. Und die waren so gar nicht im Sinne dessen, was die hohe Geistlichkeit von einem braven katholischen Christen erwartete. Doch als der Prior ihm eröffnete, er könne durchaus ein freier Mann bleiben, man werde ihn für seine Dienste bezahlen, wie man einen Kaufmann bezahle, hatte er eingewilligt.
Kurz darauf war Falk das Amt eines Jagd- und Forstaufsehers zu Melk übertragen worden; im Laufe der Jahre wurde er mit weiteren Aufgaben betraut, die Scharfsinn und Mut erforderten. Über vierzehn Jahre hinweg hatte er dem Kloster gedient und auf diese Weise sein Auskommen gehabt. Dann, vor drei Jahren, hatte er Christine kennen und lieben gelernt.
»Werdet Ihr mir dabei helfen, den Mörder meiner Frau zu finden, Falk ?«
Die Frage des Ternbergers riss Falk aus seinen Überlegungen.
»Das werde ich, Wernher«, versicherte er und sandte einen schnellen Blick zu Christine. In ihren Augen glaubte er Zustimmung – aber auch unverhüllte Sorge zu lesen.
»Allerdings … gibt es da noch etwas, was ich Euch fragen möchte«, fügte er darum etwas zögernd hinzu.
»Fragt ruhig zu.«
»Ich will offen zu Euch sein. Wir hörten davon, dass der Inquisitor Petrus Zwicker beabsichtigt, nach Steyr zu kommen. Ihr wisst, dass sich daraus für mich … sagen wir … ein gewisses Problem ergeben könnte. Als wir seinerzeit in Venedig über vergangene Zeiten plauderten, habe ich Euch davon erzählt.«
Der Ternberger runzelte