Mord bei den Festspielen. Sibylle Luise Binder

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Mord bei den Festspielen - Sibylle Luise Binder

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die sich gegenüberstehen, die aber weicher als zum Beispiel Fichtennadeln sind. Aber mit Eiben musst du aufpassen. Die Nadeln, die Rinde und die Samen sind so giftig, dass eine Handvoll ein Pferd – und natürlich auch einen Menschen – umbringen kann.«

      Der Aufzug war oben angekommen und ich rannte über den Flur zu unserer Suite. Eine Idee geisterte durch meinen Kopf und ich wollte sie so schnell wie möglich überprüfen.

      Angekommen, an den Schreibtisch. Ich zappelte vor Ungeduld, während der Computer bootete und sich im WLAN des Hotels anmeldete. Erst einmal Wikipedia zum Thema Eibe – Inhaltsstoffe: »Die meisten Eibenarten, wie die Europäische Eibe (Taxus baccata), enthalten sehr giftige Inhaltsstoffe wie Taxin B … Giftig sind Rinde, Nadeln und Samen. Der rote Samenmantel enthält jedoch keine Giftstoffe. Fälle von tödlichen Vergiftungen durch Eiben sind von Menschen, Rindern und Pferden bekannt.«

      Tja – genau wie’s der Opa erklärt hatte. Und damit waren meine Befürchtungen nicht erledigt. Ganz im Gegenteil. Also weiter mit »Vergiftung durch Eibe«. Welche Symptome werden dadurch ausgelöst?

      Während die Seite lud, hatte ich immer noch die Hoffnung, dass sich meine Idee als eine Ausgeburt überhitzter Fantasie nach einem langen, aufregenden Tag erweisen würde. Doch dann war die Liste der Symptome auf meinem Monitor: »Mundtrockenheit, Rotfärbung der Lippen, Pupillenerweiterung, Blässe, Übelkeit, Leibschmerzen, Schwindel, Diarrhö, Herz- und Kreislaufstörungen, Leber- und Nierenschäden, Krampfanfälle, Tod.«

      Meine erste Reaktion war ein herzhaftes: »Verdammte, elende Sche…!«

      Ich war Journalistin gewesen und hatte ein Volontariat absolviert. In dem hatte man mir beigebracht, nicht einfach loszuschießen, sondern erst einmal so viele Fakten wie möglich zu sammeln.

      Meine nächste Frage war: Wie viel Eibe brauchte man, um jemanden umzubringen? Und wie brachte man jemanden dazu, so viel Eibe zu sich zu nehmen?

      Ich las mich durch verschiedene Seiten und lernte dabei, dass das Eibengift Taxin B sehr wirksam ist. Bei Kühen reichen zehn Gramm Eibe, um sie innerhalb von 48 Stunden umzubringen. Werden sie in diesen 48 Stunden gemolken, ist das Taxin B auch in der Milch und wer genug davon trinkt, ist dann auch erledigt.

      Pferde reagieren auch sehr empfindlich auf Eibe. 100 Gramm reichen und sie legen sich innerhalb von fünf Minuten hin, strecken alle viere von sich und sind tot.

      Menschen sind anscheinend härter im Nehmen. Während bei Pferden 0,2 bis 0,4 Gramm Eibe pro Kilogramm Körpergewicht ausreichen, braucht es bei Menschen zwischen 0,6 und 1,3 Gramm.

      Miercoledi war herzkrank gewesen. Bei ihm hatte es sicher nicht die Höchstmenge gebraucht. Also eher ein Gramm pro Kilogramm Körpergewicht – und gewogen hatte er wohl um die 95 Kilogramm. Machte also rund 100 Gramm Eibe – eine Handvoll Eibennadeln oder Samen.

      Aber wie hatte ihn jemand dazu gebracht, diese 100 Gramm zu schlucken? Erst eine Kuh damit zu füttern, dann zu melken und ihm die Milch in den Kaffee zu rühren, wäre wohl zu aufwändig gewesen. Aber vielleicht ein Teechen? Ich hatte gelesen, dass Gift auch in getrockneten Eiben enthalten ist und in einem meiner Texte stand: »Schon die Einnahme eines Tees von wenigen zehn Gramm Eibennadeln reicht aus, um die Symptome hervorzurufen. Im Falle einer Heilung bleibt auf jeden Fall ein Leberschaden zurück.«

      Einem Sänger einen Tee einzuflößen, ist eine leichte Übung. Die meisten sind ziemlich hysterisch, wenn es um ihre Stimme geht, und sie hoffen immer darauf, das Wundermittel zu finden, das aller Malaisen Herr wird und mit dem sie zwitschern können wie die Vögelein im Frühling.

      Unser Bass Rocco war dafür ein Paradebeispiel. Der ging nicht nur mit einer halben Apotheke auf Reisen, sondern kam mit einer Thermoskanne voll Kräutertee zur Probe und pries sein jeweiliges Hexengebräu an, als ob es alle denkbaren Wehwehchen kurieren könnte. Lucas kommentierte das üblicherweise mit: »Jaja, dein Tee gibt dem Gesäß eine gesunde Gesichtsfarbe!«

      Mir war inzwischen richtig kalt geworden, aber ich war überhaupt nicht mehr müde, im Gegenteil. Mein Hirn arbeitete auf Hochtouren und die Gedanken purzelten durcheinander wie die Socken in meiner Kommode. Dabei sah ich immer wieder Miercoledis Leiche vor mir, die obszön roten Lippen, das in Panik verzerrte Gesicht. Nein, ich hatte ihn nicht gemocht und ich hatte bestimmt nicht vor, jetzt etwas anderes zu erzählen. Dennoch: Einen so erbärmlichen Tod hätte ich ihm nicht gewünscht. Und ich bin eine Gegnerin der Todesstrafe, also kann mir keiner erzählen, dass ein anderer den Tod »verdient hätte«. Ich denke, dass niemand das Recht hat, über das Leben eines anderen Menschen zu entscheiden. Auch wenn er wie Miercoledi seine Frau belogen, betrogen und gedemütigt hatte – es wäre an ihr gewesen, ihn zu verlassen. Eventuelle Rachegelüste hätte sie mit ihrem Anwalt austoben können. Dann vielleicht noch das eine oder andere Interview darüber, wie sehr sie in ihrer Ehe gelitten hatte – als Schulung dafür hätte sich das berühmte »Wir waren zu dritt in der Ehe«-Interview der Princess of Wales empfohlen – und Giulia hätte darauf hoffen können, dass der Ex-Gatte, der doch so gerne einen auf allgeliebter Patriarch und Musterbürger machte, vor Zorn platzen würde.

      Jetzt sah es aus, als ob jemand beim Ableben des Herrn Superstar nachgeholfen hatte – und das wiederum bedeutete, dass jemand den Bestatter aufhalten musste. Miercoledis Leiche durfte nicht einfach verbrannt werden, denn das hieße ja, dass man den Mörder davonkommen lassen würde. Wenn Miercoledi nicht obduziert wurde, fehlte der Nachweis, dass er eben nicht an einem Infarkt gestorben war.

      Andererseits: Was, wenn ich mich in meiner Mordtheorie total verstiegen hatte? Der Samstagabend und die dunkle Gestalt im Park fielen mir ein. Ich war mir nicht einmal sicher, ob sie wirklich Eibe geschnitten und in der Hand gehalten hatte. Dafür war ich sicher, dass die Gestalt eine Rose gepflückt hatte.

      Die Vorstellung, dass die Gestalt der Mörder gewesen war und dass er erst die tödliche Eibe und dann eine Rose geholt hatte – nein, das war zu morbid! Und überhaupt: Wenn ich jetzt meine Mordtheorie in die Öffentlichkeit tragen würde, würde die Polizei aktiv werden. Dann würde Miercoledi obduziert werden – welch eine schreckliche Vorstellung für seine Familie! Und schlimmer noch: Wenn er obduziert werden würde, würde es mindestens zwei Wochen dauern, bis die Pathologie die Leiche zur Beerdigung freigegeben hätte. Ich aber wusste aus Erfahrung – meine Eltern waren ein paar Jahre zuvor gestorben – wie wichtig die Trauerfeier für die Angehörigen war. Vor allem bei meiner Mutter, an der ich sehr gehangen und mit deren Tod ich nicht gerechnet hatte, war es so gewesen, dass ich erst in der Kapelle beim Anblick der Blumen und ihrem Bild mit dem Trauerflor begriffen hatte, was geschehen war. Damit hatte dann die Trauer angefangen und nur durch sie war ich am Ende dazu gekommen, mein Leben ohne die Mutter leben zu können.

      Familie Miercoledi würde mich verfluchen, wenn sie erfahren würde, dass ich die Mordtheorie aufgebracht hatte! Und der Rest der Truppe unter Garantie auch, denn wenn die Polizei meine Idee ernst nahm, würden wohl alle, die mit Miercoledi am letzten Abend Kontakt gehabt hatten – und das war bis auf Ileana und Cayo das ganze Ensemble gewesen –, verhört werden.

      Ach, verdammt! Wieso war mir die abgeschnittene Eibe aufgefallen?

      Mein Mund war trocken und ich hatte Durst, also trollte ich mich in die Küche und fischte eine Flasche Zitronensprudel aus dem Kühlschrank. Als ich sie ansetzte, hörte ich leise Schritte und dann stand Lucas, nur mit dunkelgrünen Boxershorts bekleidet, in der Tür. Er gähnte hinter vorgehaltener Hand, schob sich wortlos an mir vorbei, schaltete die Kaffeemaschine ein, füllte ihr Wasserreservoir, fütterte sie mit zwei Pads und stellte einen großen Becher unter den Ausguss. Ich wartete, bis die Maschine einen doppelten Espresso in die Tasse gespuckt und Lucas den ersten Schluck getrunken hatte.

      Erst dann legte ich die flache Hand auf seine Brust und schaute in seine immer noch sehr müden Augen. »Lucas,

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