Mord bei den Festspielen. Sibylle Luise Binder

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Mord bei den Festspielen - Sibylle Luise Binder

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gegeben – das volle Programm. Und, was Lucas stets amüsiert hatte: Beim Inspizienten stand dann Miercoledis Assistent, der nicht nur mitzählen musste, wie viele Vorhänge sein Maestro an diesem Abend hatte, sondern der es dann auch mit Datum und Ort hinten im Klavierauszug für die jeweilige Oper einzutragen hatte.

      Miercoledi genoss es aber auch, auf der Straße erkannt zu werden! Vor vier oder fünf Tagen war ich dazugekommen, als er in Bregenz vor der Seebühne stand und zwei ältere Damen, die ihn verzückt anstrahlten, mit Autogrammen beglückte. Er hatte nämlich immer einige Fotos von sich in der Brusttasche seines Sakkos gehabt, weil er die Fans, die ihn unterwegs erkannten, »nicht enttäuschen wollte«. Gleichzeitig klagte er manchmal darüber, wie »lästig« es doch sei, dauernd erkannt und angesprochen zu werden. Er könne nicht mal in Ruhe ein Eis essen!

      Ich riss mich aus meinen Gedanken und schaute Lucas an, der in Gedanken versunken sein inzwischen kaltes Rührei umstapelte. »Du, es ist vielleicht pietätlos, danach zu fragen«, fing ich an, »aber wie geht es jetzt mit unserer Produktion weiter? Müssen wir absagen?«

      Lucas runzelte die Stirn und die Ärgerfalte erschien über seiner Augenbraue. »Das glaube ich nicht. Wir sind hier ja nicht beim Miercoledi-Festival. Allerdings werden wir Posa ersetzen müssen.«

      »Hmm.« Ich kratzte mich hinter dem linken Ohr. »Andrew Payne? Er ist ein toller Posa.«

      »Dein Lieblings-Posa?« Lucas grinste – solange sein durchaus attraktiver englischer Kollege nicht in der Nähe war, amüsierte er sich gerne darüber, dass ich den ausgesprochen mochte und auch recht ansehnlich fand.

      »Du bist mein Lieblings-Posa!«, verteidigte ich mich. »Aber du willst ihn ja nicht mehr singen!«

      »Hase, liebster!« Er verdrehte die Augen. »Ich bin zu alt für Posa.«

      »Spaßvogel!« Ich schüttelte den Kopf. »Miercoledi fühlte sich mit 83 nicht zu alt – bei dem war Posa eben Carlos’ väterlicher Freund! Aber bei dir muss man nur die grauen Schläfen überfärben und ein bisschen schminken, dann gehst du auf der Bühne locker für 30 durch!«

      »Wenn du meinst …« Lucas klang ziemlich skeptisch. »Aber auf jeden Fall wäre ich nicht wild darauf, den Posa zu singen und die Produktion zu inszenieren.«

      »Das hast du mir schon vor Wochen erklärt, mein Goldstück!«, gab ich zurück. »Und deswegen habe ich eben Andrew Payne vorgeschlagen. Er ist für mich der zweitbeste Posa.«

      »Ist nicht zu haben!«, antwortete Lucas. »Er singt in Glyndebourne ›Billy Budd‹ – und wenn er damit fertig ist, macht er Familienurlaub mit Weib und Kindern. Den Urlaub brauchen er und seine Stimme dann auch – ›Billy Budd‹ ist verdammt anstrengend.«

      Ich stieg von Tee auf frisch gepressten Orangensaft um. »Dann fällt mir noch Alexej Kudrjawzew ein. Das würde Mischa freuen – der mag den sehr.«

      »Und noch mehr würde es unseren Intendanten freuen, denn mit dem schönen Alexej kriegt er die Bude mindestens so voll wie mit Miercoledi.« Lucas grinste.

      »Klar – wenn du dann noch eine Szene einbaust, in der er das Hemd auszieht und seine Muskeln und das Tattoo zeigt? Die muss dann in den Trailer zur Vorankündigung,«

      »Oh ja!«, stöhnte Lucas. »Dann bräuchten wir schon für die Proben verstärkte Security. Doch so sehr das dem Intendanten gefallen würde – Alexej ist auch nicht zu haben. Der singt in Salzburg den Scarpia.« Er trank einen Schluck Mineralwasser, dann stand er auf. »Aber du hast mich daran erinnert, dass ich jetzt unseren Herrn Intendanten in seinem Sonntagsfrieden stören muss. Dann können wir gemeinsam überlegen, wie wir Miercoledi ersetzen.«

      *

      Während Lucas mit Martin Haller-Rojas, dem Intendanten der Bregenzer Opernfestspiele, telefoniert hatte, war ich in unser Schlafzimmer ausgewichen und hatte meine Freundin Riikka angerufen.

      Das Gespräch mit ihr schockte mich. Meine warmherzige, sonst so liebenswerte finnische Freundin erwies sich nämlich als ausgesprochen kaltschnäuzig. Meine Mitteilung von Miercoledis Tod kommentierte sie mit »Du erwartest hoffentlich nicht, dass ich in Tränen ausbreche, oder?«

      Ich schluckte und sagte: »Bestimmt nicht. Er ist dir ja mindestens so schlimm wie mir auf die Nerven gegangen.«

      Riikka zögerte einen Augenblick und ich hörte, wie sie eine Tür schloss. Dann sagte sie: »Ich fürchte, mir ist er noch mehr auf den Geist gegangen – ich musste ja öfter mit ihm arbeiten und ich wusste schon lange, dass er ein ausgesprochener Kotzbrocken ist …« Sie korrigierte sich sofort zu einem »war« und meinte, daran müsse sie sich erst einmal gewöhnen. Das würde aber schnell gehen, denn: »Ich bin froh, dass er weg ist.«

      Das Thema schien sie mehr zu berühren, als ich es für möglich gehalten hätte, denn jetzt redete sie sich richtig in Rage. »Ich glaube nicht, dass irgendjemand in der Szene Miercoledis Ableben bedauern wird – außer vielleicht ein paar Kriecher, die er mitgezogen hat, weil er es genoss, wenn ihm jemand Zucker in die Kehrseite blies. Nein, ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass groß um ihn getrauert wird. Wahrscheinlich ist sogar seine Frau erleichtert, dass er endlich das Zeitliche gesegnet hat. Die hat er betrogen und gedemütigt und angelogen und behandelt, als wenn sie dennoch froh sein müsste, dass er sich zu ihr herunterlässt! Warte nur, bis sie über den ersten Schock hinweg ist! Dann wird sie feststellen, dass sie ohne ihn besser dran ist. Und mit dem Vermögen, das sie hoffentlich geerbt hat, kann sie als lustige Witwe gut noch ein paar schöne Jahre haben.«

      »Na ja.« Ich kam auch mal wieder zu Wort. »Vorhin wirkte sie sehr erschüttert.« Wahrscheinlich war es mal wieder mein ausgeprägtes Harmoniebedürfnis, das mich – bei aller Zuneigung zu Riikka – so sehr über ihren Ausbruch stolpern ließ. Wenn es nach mir ginge, müssten immer alle Menschen in meiner Umgebung bussi-bussi und lieb miteinander sein. »Die eine oder andere gute Eigenschaft wird er wohl gehabt haben – auch wenn wir beide wenig davon gemerkt haben.«

      Ich hörte, wie Riikka tief ausatmete. Sie schien sich wieder etwas beruhigt zu haben, als sie antwortete: »Er war eindeutig gut darin, die guten Eigenschaften zu verstecken. Ich habe bei ihm jedenfalls nur eine entdeckt: Er konnte jungen Kollegen als abschreckendes Beispiel dafür dienen, wie mies sich Ruhm und Reichtum auf den Charakter auswirken können. Aber mal abgesehen davon: Hast du eine Ahnung, wie es mit unserer Produktion weitergeht? Was sagt Lucas?«

      »Er telefoniert gerade mit Haller-Rojas«, erwiderte ich. »Er geht davon aus, dass die Produktion weitergeht und man einen anderen Bariton engagieren wird.«

      »Gute Idee! Dann wird’s besser«, fand Riikka ungerührt. »Weißt du, ich habe eh nie verstanden, warum Haller-Rojas überhaupt Miercoledi engagiert hat. Als Bariton war der doch ein Witz – und nicht mal ein guter!«

      »Stimmt«, gab ich zu. »Lucas war auch nicht eben glücklich über die Besetzung.«

      »Die letzten Proben waren die Pest!«, schimpfte Riikka.

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