Mord bei den Festspielen. Sibylle Luise Binder
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Lucas gab ihr nach, wobei er sich an mich erinnerte. Als er zur Tür ging, schaute er mich bedauernd an, deutete ein Schulterzucken an und öffnete. Ich wertete seinen Blick als Aufforderung, ihn zu begleiten, und wieselte hinterher.
Ich bereute meine Neugierde sofort, denn die Tür führte ins Schlafzimmer von Mario Miercoledi – und der Anblick, der uns da erwartete, ließ mich bedauern, dass hysterisches Kreischen in meinem Instinktprogramm nicht vorgesehen ist. Es soll ja angeblich bei der Verarbeitung von Traumata helfen – und das wäre bei mir sehr nötig gewesen.
Vor dem Bett im Zimmer lag nämlich Miercoledi – und eines war klar: Er würde uns nicht mehr nerven. Und was den »Dottore« anging, den Lucas für ihn bestellen wollte – ich war ziemlich sicher, dass der einzige Arzt, den Miercoledi noch brauchen würde, ein Pathologe war.
Miercoledi lag zusammengekrümmt in einer Lache von Erbrochenem, seine Pyjamahose war verschmutzt – anscheinend hatte er neben den Magenproblemen auch noch Diarrhö gehabt –, ungefähr zwei Meter von seinem zerwühlten Bett entfernt. Offenkundig hatte er versucht, ins Bad zu kommen, und war auf dem Weg zusammengebrochen. Dabei hatte er die Hände in den Teppich gekrallt, den Kopf zur Seite gedreht und zeigte uns sein kalkweißes Gesicht mit weit aufgerissenen Augen. Doch am schlimmsten fand ich, dass sein Mund gegen den schwarzgefärbten Bart in einem fast obszönen Rot abstach.
Und da war der Geruch und mein Magen hob sich. Ich flüchtete durch den Salon auf den Balkon, stützte mich mit beiden Händen auf das Geländer, schnappte nach Luft und sah auf den See hinaus, der im Morgenlicht so unschuldig aussah. In meinem Kopf purzelten die Gedanken durcheinander.
Miercoledi war tot. Daran konnte kein Zweifel bestehen. Und dem Zustand des Erbrochenen nach lag er schon eine ganze Weile als Leiche in seinem Zimmer. So wie sein Bett aussah, hatte ihn nicht einfach der Schlag getroffen. Vielmehr sah es aus, als ob er eine Weile gelitten hätte. Und er war nicht der Typ gewesen, der aus zarter Rücksicht auf den Schönheitsschlaf seiner Damen stumm gelitten hätte! Er hatte sicher um Hilfe gerufen, aber niemand hatte ihn gehört.
Warum? Seine Frau hatte das Zimmer gegenüber bewohnt, seine Töchter – nun, die waren entschuldigt, denn ihre Zimmer waren von dem ihres Vaters sowohl durch den Schlafraum der Mutter wie auch den großen Salon abgeteilt.
Aber woran war Miercoledi wohl gestorben? Was verursachte Erbrechen, Durchfall und brachte einen dann in kurzer Zeit um?
Lucas hatte die Damen wieder in den Salon gelotst und die Tür zu Miercoledis Zimmer geschlossen. Nun ging er zum Telefon. Seine Stimme klang sehr beherrscht und fast kühl, aber ich sah, dass er mit der freien Hand am Telefonkabel herumspielte. »Ja, Sie haben mich richtig verstanden. Signore Miercoledi ist tot – wir brauchen einen Arzt und …« Er überlegte einen Moment, dann schüttelte er unwillig den Kopf. »Der Arzt tut es erst einmal. Danach sehen wir weiter.« Er hörte zu, dabei runzelte er die Stirn. »Guter Mann, ich habe bestimmt Besseres zu tun, als die Presse zu informieren. Ich bin nämlich nicht nur der Regisseur auf der Seebühne, sondern auch ein langjähriger …«, er zögerte einen Augenblick, dann setzte er mit einem »Freund des Hauses« fort. Und ja, er kümmere sich jetzt um die Miercoledi-Damen, wäre dann aber um derentwillen dankbar, wenn der Arzt nicht zu lange auf sich warten lassen würde. »Und jetzt wäre es kein Schaden, wenn Sie uns eine große Kanne Kaffee heraufschicken lassen würden.«
Er legte auf, gönnte mir ein ganz kleines Lächeln und schaute zu Giulia und Mafalda Miercoledi, die auf dem Sofa saßen und sich aneinander schmiegten wie zwei verängstigte Kinder. Marietta Miercoledi hatte sich ihnen gegenüber in einem Sessel niedergelassen, den Blick zum Fenster gewandt. Dabei hatte ich aber den Eindruck, dass sie nicht einmal bemerkt hätte, wenn draußen auf dem See ein Raumschiff gelandet wäre.
Ich setzte mich auf den Klavierhocker, der vor dem Flügel stand und schlang die Arme um meinen Körper. Mir war kalt in meinem Bademantel und ich überlegte, ob ich nicht hinüber in unsere Suite gehen und mich richtig anziehen sollte. Doch dabei wäre ich mir vorgekommen, als wenn ich Lucas im Stich lassen würde. Ich hatte ihm doch versprochen, in guten und schlechten Tagen an seiner Seite zu sein – und heute war eindeutig einer von den schlechten Tagen.
Ich beobachtete ihn aus dem Augenwinkel. Er stand immer noch an dem kleinen Sekretär, auf dem das Telefon untergebracht war. Die tiefe, vertikale Falte über seiner rechten Augenbraue sagte mir, dass er intensiv nachdachte.
Mein Blick wanderte wieder über das Sofa zu dem Sessel, auf dem Marietta saß. Sie schien der Tod ihres Vaters am schlimmsten getroffen zu haben. Sie ließ sich die langen, kupferroten Locken wie einen Vorhang über das Gesicht fallen, dennoch konnte ich ihr Profil mit der etwas krummen Nase, die sie vom Vater geerbt hatte, erkennen. Bei ihm hatte die Nase männlich-markant ausgesehen, Marietta allerdings ließ sie streng aussehen. Dazu war sie fast so bleich wie ihr toter Vater, allerdings waren ihre vollen Lippen nicht rot, sondern fast farblos, obwohl sie daran herumnagte.
Niemand sprach, nur ab und zu schluchzte Giulia, worauf Mafalda ihr über den Rücken streichelte. Ich fragte mich, was den Frauen wohl durch den Kopf ging, als es endlich an der Tür klopfte. Lucas reagierte am schnellsten, eilte zur Tür, öffnete und ließ einen Kellner eintreten, der einen Servierwagen mit einer großen Thermoskanne, einigen Tassen, zwei Milchkännchen, eine Zuckerdose und einem Becher, in dem aufrecht einige Löffel standen, hereinschob. Außerdem brachte er einen Teller mit Keksen mit und baute alles auf dem runden Esstisch, der im vorderen Teil des Salons stand, auf.
Lucas signierte die Rechnung, fand ein paar Münzen in seiner Hosentasche, reichte sie dem Jungen und fragte: »Wer mag Kaffee?«
»Ich bitte!« Mafalda stand auf, ging zum Tisch und sagte: »Mutter sollte auch einen trinken.«
Lucas schenkte zwei Tassen für sie voll und schaute mich fragend an. Ich nickte, worauf er reichlich Milch und Zucker in eine Tasse gab, mit Kaffee auffüllte und mir die Mischung mit einem Keks auf der Untertasse reichte.
Mafalda hatte einen Schluck getrunken und es war, als ob damit die Schleusen ihrer Beredsamkeit geöffnet worden wären. »Ich verstehe das nicht. Ich meine, gestern Abend war er schon ein wenig angeschlagen, aber dennoch – wer rechnet denn mit so was?« Sie war aufgeregt und mir fiel auf, dass ihr italienischer Akzent stärker war, als ich ihn je von ihr gehört hatte. »Ihr habt ihn doch gestern Abend auch gesehen, Victoria und Lucas! Da hat er doch nicht ausgesehen, als ob er in der Nacht …« Sie schien das Wort »sterben« nicht aussprechen zu können, sondern schluckte und sprach weiter, wobei sie immer schneller und schriller wurde. »Er hat auf der Promenade am Jachthafen unten sogar noch Autogramme gegeben und diese Blondine mit den dicken Dingern angebaggert!«
»Ich glaube nicht, dass das jetzt ein passendes Thema ist!«, mahnte Lucas.
»Warum? Fangen wir jetzt schon an, so zu tun, als ob Vater ein Engel gewesen wäre? Er hat alles angegraben, was bei drei nicht auf dem Baum war!« Sie war aufgestanden und ging nervös im Raum auf und ab. »Schau mich nicht so an, Onkel Lucas! Du weißt so gut wie ich, dass er hinter jedem Rock her war und …«
Giulia schluchzte lauter, Lucas trat einen Schritt auf Mafalda zu und griff nach ihrem Arm. »Schluss jetzt, Mafalda!«, sagte er laut.
»Aber er ist tot!« Sie klang fast fröhlich. »Er ist tot!«, wiederholte sie. »Heißt das nicht, dass wir jetzt aufhören können, heile Familie zu spielen? Etta, du kannst …«
»Halt