Mord bei den Festspielen. Sibylle Luise Binder
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Читать онлайн книгу Mord bei den Festspielen - Sibylle Luise Binder страница 4
Der Polizist guckte uns an. »Frau und Herr Benning – können Sie sich die Attacke erklären? Kennen Sie den Bootsführer?«
»Nicht, dass ich wüsste«, erwiderte ich nachdenklich. Ich zerbrach mir ja selbst den Kopf!
»Haben Sie einen Feind, der Ihnen ans Leben will?« Der Polizist war hartnäckig.
Ich zog die Schultern hoch. »Nicht, dass ich wüsste …«
»Sind Sie in irgendetwas Kriminelles verwickelt? Als Zeugin, als Opfer …?«
Lucas und ich schauten uns an. Dann nickte er langsam und sagte: »Ja, kann man wohl so sagen. Sie haben wahrscheinlich mitbekommen, dass bei den Proben zu den Seefestspielen ein Sänger ermordet wurde?«
»Ja, klar! Hätte mir eigentlich gleich einfallen können, als Sie sagten, Sie arbeiteten bei den Seefestspielen.« Der Kommissar runzelte die Stirn. »Das war doch dieser Mario Miercoledi? Ganz bekannter Mann …«
»Richtig«, nickte Lucas. »Wir waren dabei, als die Leiche gefunden wurde und meine Frau hat Ihren Kollegen den Hinweis gegeben, der dazu führte, dass die den Mord als solchen erkannt haben.« Er räusperte sich. »Glauben Sie, zwischen diesem Mord und dem Anschlag auf meine Frau könnte ein Zusammenhang bestehen?«
»Aber Lucas! Woher hätten die, die Mario vergiftet haben, wissen sollen, dass ich heute Nacht in einer einsamen Bucht bade?«, warf ich ein.
»Das weiß ich nicht. Aber warum sollte jemand dich einfach so umbringen wollen?«
»Es gibt Spinner, die so was witzig finden«, begehrte ich auf. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Mord an dem Tenor und dem Anschlag auf mich gab. »Außerdem wird Kommissar Gerstenmeier ja nicht damit hausieren gehen, dass ich ihm die Geschichte mit der Eibe erzählt habe!«
Der Polizist hatte sehr interessiert zugehört, jetzt hob er die Hand. »Kommissar Gerstenmeier ist mit der Sache befasst?«
»Ja, er ermittelt wegen des toten Tenors«, antwortete ich.
»Ich denke, jetzt sollten Sie mir Ihre Geschichte von Anfang an erzählen!«, befand er.
Lucas streichelte über meine Schulter. »Hoffentlich schaffst du das bis Lindau!«
*
Zwei Stunden später lag ich in einem dieser bezaubernden Flügelhemdchen in einem Krankenhausbett und beneidete meinen Mann. Lucas schlief nämlich neben mir. Er gehört zu den Menschen, die immer schlafen können. Er geht ins Bett, sein Kopf trifft das Kissen und schon ist er weg.
Ich dagegen gehe hundemüde ins Bett, mache das Licht aus, drehe mich in meine Schlafstellung, schließe die Augen – und in dem Moment scheint mein Gehirn den Befehl »Alle grauen Zellen anschnallen! Es geht wieder rund!« auszugeben.
Zuhause stehe ich dann wieder auf. Bleibe ich nämlich liegen, habe ich innerhalb von ein paar Minuten alles, was in meinem Leben nicht optimal läuft, nach oben gegraben und sehe nur noch Probleme. Also gehe ich lieber an den Computer und spiele Candy Crush oder etwas ähnlich Dämliches oder ich arbeite. Arbeit lenkt ab und macht müde, und wenn ich da im richtigen Moment den Absprung finde, kann ich schließlich schlafen.
In meiner Krankenhausnacht konnte ich nicht in die Arbeit fliehen. Ich hatte mein Notebook nicht zum Baden mitgenommen. Also musste ich mir zur Unterhaltung ein paar Gedanken machen und erinnerte mich an die Nacht vom 14. Juli.
Da hatte ich auch nicht geschlafen. Es war ein sehr heißer Tag gewesen und mein Herr und Meister hatte die Klimaanlage in unserer Suite abgeschaltet. Wie die meisten Sänger verträgt er die trockene Luft nicht, die eine Klimaanlage fabriziert. Dabei war er eigentlich gar nicht als Sänger, sondern als Regisseur am See. Martin Haller-Rojas, der Intendant der Seefestspiele, hatte ihn und damit auch mich für die zweite Produktion, einen ›Don Carlos‹1 in Starbesetzung, engagiert. Und wie immer, wenn wir inszenierten, war Lucas vorwiegend auf der Bühne zugange, während ich am Regiepult saß. Wir haben eine klare Rollenverteilung: Lucas ist für die Personenführung und das Künstlerische zuständig, ich kümmere mich um Technik, Budget, Logistik und Papierkram.
Wir sind ein gutes Team und hatten uns auf den Sommer am Bodensee gefreut, wobei uns allerdings klar gewesen war, dass dieser »Don Carlos« kein Zuckerschlecken werden würde. Das von unserem Intendanten bei jeder Gelegenheit so hochgepriesene »Starensemble« umfasste nämlich nicht nur den kolumbianischen Tenor Cayetano Gutiérrez-Martin als Carlos und den brillanten Bass Rocco Banhardt als König Philipp, sondern auch Mario Miercoledi als Maquis de Posa. Und dieser Herr war ein Problem.
Vor einigen Jahren war Miercoledi in der Szene fast omnipräsent gewesen. Er sang an allen großen Opernhäusern; er beglückte seine Fans mit Konzerten in Fußballstadien; schmetterte italienisches in der Arena in Verona und jodelte im deutschen Fernsehen Weihnachtslieder; er produzierte CDs mit den »schönsten Lovesongs der Klassik« und Crossovers mit irgendwelchen Schlagerstars. Man musste den Fleiß und die Disziplin bewundern, mit denen er sein »Heute hier, morgen dort«-Jetset-Leben bewältigte. Insider und Kollegen bemerkten aber zunehmend, dass seine Stimme in der Höhe überanstrengt klang und in der Mittellage rau. Lange Legato-Linien konnte er nicht mehr »veratmen«, kurz und wenig gut: Wenn er schon zu Anfang seiner Karriere so gesungen hätte, wäre der knödelnde Gesangslehrer Alfred in der »Fledermaus« in Bad Kleinkleckersheim der Höhepunkt seiner Karriere gewesen.
Allerdings wunderte sich niemand über Miercoledis stimmlichen Abbau. Singen auf dem Niveau, auf dem Opernsänger an großen Häusern unterwegs sind, ist Hochleistungssport und strapaziert die Stimmbänder.
Dennoch staunte die Fachwelt, als Miercoledi vor drei oder vier Jahren verkündete, seine Stimme habe sich »gesetzt«. Darum sei er jetzt Bariton.
Ich hatte mir dabei übrigens vorgestellt, dass seine arme Stimme vor Erschöpfung in einen Sessel gefallen und zu müde gewesen war, sich wieder zu erheben.
Diesen postpubertären Zweitstimmbruch fanden Experten überraschend – vorsichtig gesagt. Stimmlage wird nämlich üblicherweise nicht durch die Höhen und Tiefen definiert, welche ein Sänger erreicht – das ist nämlich auch eine Frage seiner Technik –, sondern durch das Timbre. Von einem Tenor erwartet man zum Beispiel eine strahlende Höhe und einer eher »helle« Stimmfärbung, während der Bariton mit samtig-dunklen Tönen schmeicheln sollte.
Genug von der Stimmtheorie, zurück zu Miercoledi: Für mich klang er nicht nach Bariton, sondern nach alterndem Tenor. Aber diese meine Ansicht wurde von den Miercoledi-Fans nicht geteilt. Sie saßen offenkundig einem Phänomen auf, über das ich immer wieder staune, das aber zum Beispiel in der Werbung gut bekannt und erforscht ist: der Einfluss der Erwartung.
Das ist bekannt und nachgewiesen: Drückt man einem Kunden einen Joghurt in die Hand, auf dessen Becher Erdbeeren aufgedruckt sind, meint er, Erdbeeren zu schmecken – selbst wenn im Becher Zitronenjoghurt ist.
Bei Sängern funktioniert es offenkundig ähnlich. Wenn die Leute oft genug lesen und hören, dass XY ganz toll ist, meinen sie, einen Spitzensänger zu hören – auch wenn der Mensch auf der Bühne aus dem letzten Loch pfeift. Konkret: Wenn der Intendant des Bregenzer Opernfestivals, ein Mann mit 30-jähriger