Alles Geld der Welt. Gerhard Loibelsberger

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Alles Geld der Welt - Gerhard Loibelsberger

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wurde der zappelnde und sich verzweifelt wehrende Graf Latour gezerrt. Kaum war der Kriegsminister aus seinem Versteck heraußen, begann ein Mann mit einer Eisenstange, auf ihn einzuschlagen. Latour schrie wie eine Sau beim Abschlachten, die mit Orden geschmückte Uniform wurde zerfetzt und in Blut getränkt. Als sich der erste Furor gelegt hatte, schnappten die Revolutionäre den leblosen Körper und schleppten ihn durchs Treppenhaus hinunter auf den Platz. Die Menge tobte.

      »Jetzt häng’ ma die Kanaille auf!«

      »Aufg’hängt wird!«

      Atemlos folgte er den Männern, die den leblosen Grafen quer durch die Menge schleiften und ihn schließlich am gegenüberliegenden Ende des Platzes an einer Gaslaterne aufhängten. Als dies vollbracht war, wurde eine Freudensalve in den Oktoberhimmel geschossen. Immer wenn diese Szenen vor seinem inneren Auge abliefen, bekam er einen Schweißausbruch. Sein Körper begann wie bei einem starken Fieberanfall zu zittern. Er knirschte mit den Zähnen, ballte die Fäuste, das Gesicht zu einer Grimasse verzerrt. Minutenlang durchlebte er Spasmen des Hasses.

      *

      Meister Pöltl wartete unausgeschlafen und ungeduldig auf den Baron Strauch. Seine Alte hatte ihm am Vorabend die Ohren mit Vorwürfen vollgesungen. Eine endlose Suada über die Chancen, die er verpasste, weil er sich weigerte, sein Erspartes an der Börse zu investieren. Im Gesicht ganz blass vor Zorn hatte sie gekeift:

      »Wennst jetzt Effekten kaufst, kannst in kürzester Zeit zehnmal mehr verdienen als mit deiner nebbichen Friseur-Quetsch’n. Da! Da, lies!«

      Die Herabwürdigung seines meisterhaft betriebenen Handwerks hatte ihn wie ein Schlag ins Gesicht getroffen. Schlussendlich hatte er sich widerwillig einen Artikel auf der Börsenseite des »Illustrierten Wiener Extrablatts« angesehen:

      Der vorsichtige Kapitalist.

      Vom Geldmarkt. – Im Handumdrehen ist der Geldstand auf einmal ein überaus flüssiger geworden und unterstützte die wiedererwachte Haussetendenz in wirksamster Weise …

      Auf seine Frage, was Haussetendenzen denn bedeutete, antwortete seine Frau:

      »Das hat mir der Onkel Ferry erklärt: Eine Hausse ist dann, wenn die Kurse steigen. Wennst wirklich viel Geld an der Börse verdienen kannst.«

      Pöltl hatte genickt und weitergelesen:

      In dieser Woche alleine sind, zweier Subskriptionen nicht zu gedenken, die jungen Aktien der Industrial-Baubank, der Vorschußbank, der Pester Baubank, der Bau- und Parzellirungs-Gesellschaft und der Salzburger Bank zu beziehen; außerdem folgende Einzahlungen zu leisten: Innerberger Hauptgewerkschaft, Graz-Köflacher-Bahn, Türkenlose, Transportgesellschaft, Nordwestböhmische Kohlengewerkschaft, »Haza«, Hochofen-Gesellschaft, Eisen- und Stahlgewerkschaft in Komotau und Prag-Wiener Waggon-Fabrikgesellschaft …

      Seine Frau hatte also recht. An der Börse war die Hölle los. Alle Welt investierte und verdiente sich eine goldene Nase. Dieser Artikel war die Ursache für eine von wirren Träumen geplagte Nacht gewesen. Nun, am nächsten Morgen, steckte die Zeitung zusammengefaltet mit der Börsenseite nach oben in seinem weißen Arbeitsmantel. Mit Mühe konzentrierte er sich auf das Frühgeschäft, das aus Börsenleuten und hohen Beamten bestand, die sich vor dem Beginn ihres Arbeitstages rasieren ließen. Danach flaute, so wie an jedem Vormittag, der Kundenandrang ab. Nun war die Zeit gekommen, um die von seinem Lehrbuben Schurli gebrachte Melange zu schlürfen, darin ein mürbes Kipferl einzutunken und voll Ungeduld auf das Erscheinen des Herrn Barons zu warten. Endlich, gegen halb elf Uhr am Vormittag, betrat er das Geschäft und Pöltl atmete mehrmals kräftig durch. Als Heinrich von Strauch es sich auf dem Barbierstuhl bequem gemacht und er ihm einen frischen blütenweißen Umhang umgelegt hatte, fragte er leise:

      »Darf ich dem Herrn Baron etwas zeigen?«

      »Die neueste Bartmode aus Paris?«

      »Nein, nein! Ganz was anderes.«

      »Ein neues Rasierwasser?«

      Vorsichtig applizierte Pöltl die warmen, feuchten Tücher auf seinem Gesicht und flüsterte:

      »Es betrifft Ihr Gewerbe.«

      »Wollen S’ umsatteln und Bankier werden?«

      »Nein, um Gottes willen! Ich möchte Ihnen nur diesen kurzen Artikel zeigen. Der ist über die Börse.«

      Und schwuppdiwupp drückte Pöltl seinem überraschten Kunden das zusammengefaltete »Illustrierte Wiener Extrablatt« in die Hand. Heinrich von Strauch warf einen erstaunten Blick darauf, überflog den Artikel und legte das Blatt kommentarlos zur Seite. Dann lehnte er sich zurück, stieß einen kleinen Seufzer aus, schloss die Augen, und der Barbier begann mit dem Einseifen und mit dem Rasieren. Pöltl legte sich heute besonders ins Zeug. Mit noch mehr Sorgfalt, als er es normalerweise zu tun pflegte, schabte er Heinrich von Strauchs Bartstoppeln am Kinn und an den Wangen ab. Liebevoll schnipselte er den Moustache zurecht und fassonierte mit Bedacht die Koteletten des Herrn Baron. Als er schließlich dessen Gesicht mit kalten, feuchten Tüchern erfrischte, öffnete Heinrich die Augen und fragte lächelnd:

      »Sie wollen sicher wissen, was ich vom derzeitigen Börsenaufschwung halte. Nicht wahr?«

      »Genauso ist es. Weil … weil …«

      »Ihre Freunde und die Mitglieder Ihrer Familie alle an der Börse mitspielen. Ist Ihnen eigentlich das Prozedere der Gründung einer Aktiengesellschaft klar?«

      »Na ja … Es finden einige Personen zusammen, die die Idee zu einer Gesellschaft haben, einen Plan derselben ausarbeiten, einen Gesellschaftsvertrag entwerfen, die Gesellschaft mit Kapital ausstatten und …«

      »Langsam, langsam, mein lieber Maître Pöltl! Grundsätzlich haben Sie recht. Aber die Gründer oder Entrepreneurs, wie man zu sagen pflegt, sind heutzutage in den seltensten Fällen daran interessiert, das Aktienkapital selbst aufzutreiben, vollständig zu zeichnen und einzubezahlen. Heute wird meist folgender Weg beschritten: Die Entrepreneurs bringen kein oder minimal Kapital ein. Sie legen vielmehr das Aktienkapital ihres Projektes öffentlich zur Zeichnung auf, machen massiv Reklame und laden zum Beitritt der noch zu gründenden Gesellschaft ein. Eine auf diese Weise errichtete Aktiengesellschaft hat demnach zwei Gründungen durchgemacht: eine Primitivgründung unter den Entrepreneurs und die Zeichnung aufgrund des Projektes.«

      »Ja, aber wenn genug Kapital von den Anlegern eingezahlt wird, dann ist diese Gesellschaft doch lebensfähig und kann Gewinne machen, an denen dann die Aktionäre beteiligt sind.«

      »Theoretisch ja. In der Praxis geschieht Folgendes: Das Produkt der Gründung, die Aktie, wird zu einem Gegenstand der Agiotage. Schon der Gründer oder Entrepreneur trachtete – und das ist laut Gründervertrag völlig legal –, weniger für eine Aktie zu bezahlen als jeder fremde Aktionär. Dadurch gibt es eine Kursdifferenz, an der der Entrepreneur verdient. Er liefert weniger an die Aktiva der gegründeten Gesellschaft ab als die fremden Aktionäre. Die junge Aktie hat somit zwei verschiedene Kurse:

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