Alles Geld der Welt. Gerhard Loibelsberger
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»Mit der Alten meine ich meine Heimatstadt Wien.«
1 Staat
2 Zylinder
3 circa 31 Meter
4 Brüste
5 fesche
6 Pfannkuchen
7 Spätzle
Jänner
Die Messerklinge näherte sich schwungvoll seinem Hals. Nur nicht bewegen. Nicht zucken. Nicht durchatmen. Das kalte Metall setzte oberhalb des Kehlkopfs an und glitt dann energisch seinen Hals hinab. Brennender Schmerz.
»Hab’ ich Ihnen weh’tan? Nix is g’schehn. Ein kleines Ritzerl nur. Ein bisserl einen Schwamm drauf, und das Bluten is augenblicklich gestillt. So. Is’ schon wieder in Ordnung.«
Heinrich von Strauch atmete tief durch, bevor er seinen Hals aufs Neue darbot und es ihm schien, dass er sich dem Barbier auf Leben und Tod überantwortete.
»Und, Herr Baron, wie laufen die Geschäfte?«
»Ausgezeichnet. Danke der Nachfrage.«
»Ich hätt’ a bisserl was auf die Seite gelegt. Wollen der Herr Baron mir nicht endlich einmal ein paar Aktien verkaufen? Ich hab’ Sie ja schon vor einigen Monaten einmal g’fragt. Aber da haben Sie sich taub gestellt.«
Strauch musste sich eisern beherrschen, um nicht das Gesicht zu verziehen und dadurch ein neues Ritzerl zu riskieren. Nein, seinem Barbier würde er auch in Zukunft kein einziges Wertpapier verkaufen. Da konnte er ihn noch so anflehen. Vor drei oder vier Jahren wäre das vielleicht erwägenswert gewesen, aber nicht heutzutage. Die Lage an der Börse war viel zu instabil. Dazu kam, dass die allermeisten Wertpapiere, mit denen an der Börse gehandelt wurde, nur einen Bruchteil ihres derzeitigen Kurses wert waren. Ein Faktum, das für ihn als Börsenfachmann und Spekulant evident, das aber dem normalen Bürger, der ein bisschen Erspartes im Sparstrumpf hatte, völlig unklar war. Also würde er dem Mann, dem er mehrmals in der Woche seinen nackten Hals zum Rasieren darbot, keinesfalls etwas verkaufen. Mochte der ihn noch so bedrängen. Es war lachhaft, dass die einfachen Leute glaubten, die Bäume der Börse würden ad infinitum in den Himmel wachsen. Mit diesen Deppen, er konnte kein anderes Wort für sie finden, hatte er seit Jahren ein beachtliches Vermögen verdient. Wobei die Deppen, die vor etlichen Jahren eingestiegen waren, bis zum heutigen Tage erstaunliche Gewinne erzielen konnten. Ihrer Gier verdankte er seinen Erfolg. Denn seine Klienten gaben sich mit einmal erzielten Gewinnen nicht zufrieden. Im Gegenteil, sie konnten den Hals nicht voll genug bekommen. Und das hatte ihn dazu veranlasst, die Schlagzahl seiner geschäftlichen Aktivitäten zu erhöhen. In den letzten Jahren hatte er immer wieder neue Gesellschaften gegründet, deren Aktien er umgehend an die Börse gebracht und mit einem saftigen Emissionsaufschlag verkauft hatte. Obwohl die meisten dieser Gesellschaften vorerst keinerlei nennenswerte Geschäftstätigkeit vorweisen konnten, waren ihm ihre Aktien aus der Hand gerissen worden. Wie die warmen Semmeln dem Bäcker in der Morgenstunde. Warum er diesen Irrwitz betrieb? Nun, er hatte bisher Glück gehabt. Die von ihm gegründeten Aktiengesellschaften entwickelten sich recht respektabel, obgleich ihre Gründung vorerst auf reiner Spekulation beruht hatte und sie anfangs meist über kein solides finanzielles Fundament verfügt hatten. Was ihn aber wirklich antrieb, war das Ausreizen der Möglichkeiten im großen Börsen-Spekulationsspiel. Er beherrschte nicht nur die Regeln, nach denen dieses Spiel ablief, er bestimmte sie zum Teil auch mit. Das gab ihm in guten Stunden ein Gefühl von Größe, Überlegenheit und Macht. In weniger guten Stunden, wenn der Gewissenswurm zu nagen begann, erschien ihm seine Tätigkeit eine perfide Rosstäuscherei zu sein, bei der er Gott und die Welt betrog. Aus seinem Beuschel8 kroch in solchen Momenten ein unbehagliches Gefühl hinauf ins Gehirn, das ihn ganz desperat machte. Eine Verstimmung des Gemüts, die ihn im Laufe der letzten Monate immer öfters ereilte. Genauer gesagt seit dem Herbst letzten Jahres, als zahlreiche börsennotierte Werte zu wanken begonnen hatten und ein Zusammenbruch vor der Tür zu stehen schien. Doch plötzlich hatte sich das Blatt gewendet. Die kommende Weltausstellung und die damit verbundene Euphorie hatten die düsteren Wolken vertrieben, und er hatte die Anteile an einigen der von ihm gegründeten Gesellschaften mit stattlichem Gewinn verkaufen können. Trotzdem hatte Heinrich von Strauch seit damals immer wieder schlaflose Nächte. Er träumte, dass er völlig mittellos in einem Erdloch hauste und hungerte. Ungewaschen, in Fetzen gehüllt, mit wild wucherndem Haupt- und Barthaar. Wenn er aus diesem immer wiederkehrenden Albtraum hochschreckte und sich danach bis zum Morgengrauen im Bett hin- und herwälzte, beherrschte ihn ein Gedanke: Dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis all die an der Wiener Börse notierten windschiefen, unterkapitalisierten Aktiengesellschaften als Leichen die Donau hinunterschwimmen würden.
*
»So da! Fertig samma. Guad is gangen, nix is g’schehn.«
Er schreckte aus seiner Grübelei hoch. Mit Wohlgefallen registrierte er, dass die Haut seiner Backen glatt wie ein Kinderpopo war. Es folgte ein Seufzer der Entspannung, als der Barbier sein Gesicht zuerst mit kühlen Tüchern und dann mit Rasierwasser erfrischte.
»Und, Herr Baron, wollen S’ mir nicht endlich einmal einige Ihrer an der Börse so erfolgreichen Papiere verkaufen?«
Heinrich von Strauch lächelte freundlich. Er erhob sich, gab dem Barbier ein großzügiges Trinkgeld, schlüpfte in seinen Überzieher, setzte den Hut auf und verabschiedete sich mit folgenden Worten:
»Legen S’ Ihr Erspartes unter die Matratze. Da können S’ ruhig schlafen. Und ein ruhiger Schlaf ist wichtig für eine ruhige Hand beim Rasieren. Beherzigen S’ meinen Rat: Lassen S’ die Finger von Börsenpapieren. Habe die Ehre!«
*
Dichtes Gedränge. Bettler, Dienstmädchen, noble Herren, Schusterbuben, Dienstmänner, Handwerker, Kleriker, freche Rotzer, gnädige Frauen, eitle Gecken, Blumenmädeln und Tagträumer. Zwischen ihnen bahnten sich Pferdefuhrwerke und Fiaker ihren Weg. Das Gedränge machte die Gäule nervös, und infolgedessen ließen sie jede Menge Pferdeäpfel fallen. Heinrich von Strauch war peinlich bemüht, in keine dieser übel riechenden Hinterlassenschaften hineinzutreten. Es wäre ja auch wirklich schade gewesen, seine Maßschuhe solchermaßen zu beschmutzen. Wo er doch auf dem Weg zu einem Termin in das Büro seiner Wohnbaugesellschaften, das in der Goldschmiedgasse lag, war. Nein, mit Pferdedung an den Sohlen wollte er ihn keinesfalls wahrnehmen. Deshalb tänzelte er wie ein junger Hupfer hin und her, wich einem Fuhrwerk aus, vermied mehrere Haufen von Pferdeäpfeln, rammte um ein Haar den üppigen Busen einer gnädigen Frau und hatte trotz all dem ein fröhliches Lächeln auf den Lippen. Ja, dieses Gedränge war ihm recht. Sehr recht sogar. Es war die Bestätigung dafür, dass seine Tätigkeit als Entrepreneur nicht nur äußerst gewinnbringend, sondern für die Stadt auch unverzichtbar war. Schließlich war er neben Bankier auch Bauunternehmer. Und sein Bestreben war es, ein neues Großwien zu erbauen. Mit mehr als einem Dutzend Bauprojekten, die er initiiert hatte, wollte er dazu beitragen, die Grenzen der Stadt