Der Sommer mit Josie. Sandy Lee
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Sommer mit Josie - Sandy Lee страница 5
Barbara grübelte weiter. Da war die Sache mit Hendriks Autorennen.
Als Hendrik den Kleinen für seinen Modellauto-Sport begeistern wollte, zeigte Daniel überhaupt kein Interesse. Stattdessen setzte er sich hin und malte. Sie hatte das immer für eine künstlerische Neigung gehalten. Doch vielleicht steckte mehr hinter den Motiven, die sich der Junge aussuchte. Oft zeichnete er Mädchen. Hendrik und sie glaubten, das sei seine Cousine Charlene, die alle nur Charlie nannten. Was aber, wenn …
Ihr war damals aufgefallen, dass das nicht Charlie sein konnte. Auch nicht Sandy. Charlie war brünett, Sandys Haar war noch dunkler. Seine Mädchen hingegen malte er blond. Barbara sah die Zeichnungen auch jetzt vor ihrem geistigen Auge. Wie in einer Galerie zogen sie vorüber, immer wieder Mädchen … Das hatte sie seinerzeit stutzig gemacht. Hatte er eine Wunschvorstellung festgehalten? Quasi ein Abbild seiner kleinen Seele?
Barbara setzte sich im Bett auf. So konnte sie der Müdigkeit besser widerstehen.
Was gab es noch in der Kindheit ihres Sohnes? Wieder fiel ihr Charlie ein. War das immer eine Freude, wenn sie zu Besuch kam. Und dann waren die beiden weg, hockten in einer Ecke und erzählten sich stundenlang von ihren Erlebnissen. Über was sie genau sprachen, davon konnte sie nichts wissen. Sie war tolerant genug, nicht hinzuhören. Doch sie hatte darüber nachgedacht …
Jungen ergreifen oft die Initiative, wenn sie mit Mädchen spielen. Sie ziehen diese in ihr Spiel. Barbara glaubte zu sehen, dass sich Daniel eher auf Charlies Aktivitäten einließ. Er folgte ihrer Linie. Das hatte wohl nichts damit zu tun, dass Charlie ein Jahr älter als Daniel war. Er sah sie nicht als Spielgefährtin, sondern als Freundin. So, wie sie die meisten Mädchen haben. Der man alles erzählt, mit der man Geheimnisse teilt … Und Charlie fand nichts dabei. Sie war begeistert, jemanden zu haben, der so war wie …
… wie sie? All diese ›Unstimmigkeiten‹, die sie zwar bemerkt, denen sie aber keine Bedeutung zubemessen hatte, ergaben jetzt ein Bild. Sie hatte damals geglaubt, es wären nur kurze Episoden gewesen. Vielleicht hatte sie sich nur an sie gewöhnt, sie nicht mehr beachtet.
Barbara stand wieder auf, ging zum Fenster. Sie drückte die Jalousie etwas auseinander, um auf die Straße blicken zu können. Nachts sind Kleinstädte wie leergefegt. Nur selten verirrte sich ein einsamer Fußgänger auf die dunkle Straße, die von einzelnen Lichtflecken der Laternen erhellt wurde.
Einsam kam sich auch Barbara vor. Selbst, wenn sie ihren Alltag mit den Kindern allein meistern konnte – jetzt fehlte ihr Hendrik. Sie musste mit jemandem sprechen, damit sie in dieser Situation die richtige Entscheidung fällen konnte. Aber wer sollte das sein?
Barbara kroch wieder ins Bett. Obwohl es sehr warm war, zog sie sich die Decke über den Kopf. Die Gedanken kreisten weiter um Daniel, bis der Schlaf sie übermannte.
3
Der nächste Tag war zum Glück ein Samstag. Barbara brauchte heute nicht zu arbeiten, und Ilsa war mit Caro baden gegangen.
Sie fühlte sich nicht gut, das hatte Barbara sofort beim Aufstehen gespürt. Zu viele Fragen suchten nach einer Antwort. Das war wie auf einem Schiff: das Deck schwankt, und man wird seekrank. Sie hatte sich einen starken Kaffee gebrüht, der sie wieder etwas auf die Beine brachte. Gerade jetzt brauchte sie doch viel Kraft, und sie durfte Daniel nicht zeigen, wie groß die Last war, die sie bedrückte.
Langsam öffnete sich die Tür seines Zimmers. Daniel kam heraus, in kurzen Jeans und T-Shirt. Bedächtig setzte er einen Fuß vor den anderen, als überlege er noch, wie es nun weitergehen sollte.
»Morgen, Mama.«
»Guten Morgen, mein …«
Barbara fuhr unwillkürlich mit der Hand zu ihrem Mund. Was sollte sie denn nun sagen? Ging es denn in dieser Situation überhaupt noch, ihn ›Sohn‹ oder ›Junge‹ zu nennen?
Daniel musste die Unsicherheit bemerkt haben.
»Ist nicht so schlimm«, entgegnete er leise.
Seine Mutter atmete erleichtert auf. Sogar ein kleines Lächeln fand seinen Weg auf ihr Gesicht.
»Na komm, iss erst mal einen Happen!«
Daniel setzte sich an den Küchentisch, auf dem noch die Brötchen standen. Barbara holte Butter und Käse aus dem Kühlschrank.
»Was möchtest du trinken?«
»Nur ein Glas Mineralwasser, bitte.«
Barbara schenkte ein, dann setzte sie sich ihm gegenüber und wartete. Wartete, dass Daniel seine Sorgen vor ihr ausbreitete. Sie schaute auf den Tisch, auf Daniels Teller – sie schaute nicht in sein Gesicht. Vielleicht hätte er dass als Aufforderung zum Sprechen empfunden.
Ihr war klar, dass sie ihr Kind jetzt nicht in Watte packen konnte. Auch Daniel musste sich der Situation stellen, damit sie weiterkamen. Doch wenigstens am Anfang sollte er das Tempo bestimmen.
»Was willst du heute machen?«, fragte sie mit gedämpfter Stimme. Möglich, dass ein paar belanglose Fragen das Eis brechen könnten.
»Weiß ich noch nicht. Vielleicht lesen. Oder was am Computer.«
»Draußen ist es so schön. Hast du nichts mit Tom vor?«
»Nee, die fahren übers Wochenende weg.«
»Ruf doch Charlie an und frag sie, ob sie uns mal besuchen möchte!«
Bei der Nennung des Namens seiner Cousine wich die Gleichgültigkeit für einen Moment aus seinem Gesicht. Waren Barbaras Überlegungen von gestern doch nicht so abwegig?
Charlie war ein hübsches Mädchen. Mit ihren sechzehn Jahren zog sie die Blicke der Jungs auf sich, ohne jedoch Kapital aus ihrem Aussehen schlagen zu wollen. Die langen braunen Haare, die einen Hauch ins Rötliche schimmerten, wenn die Sonne darauffiel, die nussbraunen Augen, die immer zu lachen schienen. Wer Charlie sah, konnte einfach nicht mehr traurig sein.
Charlie wollte Journalistin werden. Dort zu sein, wo etwas passiert, das reizte sie. Über Sachen berichten, die nicht jeder erlebt, die aber durch ihre Arbeit Tausende erfahren würden – Charlie stellte sich das unheimlich spannend vor.
»Findest du, dass das jetzt eine gute Idee ist?«
Daniel versank wieder in sich.
Barbara riskierte einen Vorstoß.
»Daniel, gestatte mir eine Frage. Was wäre, wenn das gestern nicht passiert wäre?«
Er sah seine Mutter an, etwas irritiert davon, worauf die Frage abzielte. Dann überlegte er. Ja, was wäre geschehen, wenn seine Mutter erst zwei Stunden später gekommen wäre?
Die Antwort schien erst einmal einfach. Er hätte sich wieder umgezogen, und der Tag hätte einen ganz normalen Ausgang genommen …
Hätte er das wirklich? Jetzt erschloss sich ihm der Sinn erst richtig. Seine Mutter