Der Sommer mit Josie. Sandy Lee

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Der Sommer mit Josie - Sandy Lee

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      »Die anderen haben fast alle eine Freundin. Wenn ich ein Mädchen sehe und es gefällt mir, wünsche ich mir nur, auch so auszusehen. Ich will nichts von ihr. Ich will einfach nur so sein wie sie!«

      Daniel war bei diesen Worten immer lauter geworden. Seine Mutter spürte, wie ihn der Schmerz buchstäblich zerriss.

      Seine Augen füllten sich mit Tränen.

      »Verstehst du! Ich will doch nur so sein …« Er riss die Hände vors Gesicht und weinte bitterlich.

      Seine Mutter stand auf. Sie streichelte ihren Sohn über den Kopf, dann ging sie leise hinaus.

      Barbara fühlte sich hundeelend.

      Kurz nach fünf kam Ilsa nach Hause. Sie ging ins Bad, um die nassen Badesachen zum Trocknen aufzuhängen. Dann lief sie in die Küche.

      »Ist Daniel nicht da?«, fragte sie schon auf dem Wege.

      Barbara antwortete leise: »Doch. Er ist in seinem Zimmer.«

      Ilsa drehte sich um.

      »Nicht! Lass ihn!«, hielt sie ihre Mutter zurück.

      Ilsa sah die Sorge in ihrem Gesicht.

      »Geht es ihm nicht gut? Ist er krank?«

      Barbara musste diplomatisch sein. So sehr sie dieses Damoklesschwert verwünschte, aber sie durfte ihrer Tochter jetzt nicht die Wahrheit sagen – noch nicht.

      »Nein, nicht krank. Er hat Probleme. Aber«, fuhr sie fort, als sie Ilsas Frage auf den Lippen sah, »davon reden wir später. Nicht heute, und nicht morgen. Aber ich verspreche dir, wir reden darüber. Alles klar, mein Schatz?«

      »Alles klar, Mama.« Ilsa gab sich gelangweilt.

      Barbara stöhnte. So eine Situation ging an die Substanz. Sie musste die Familie zusammenhalten und doch verhindern, dass alles im Chaos endete. Sie durfte keinen ausgrenzen und musste dennoch im Augenblick Distanzen schaffen.

      Was sollte sie als erstes tun?

      ›Ich muss mehr wissen‹, schoss es ihr durch den Kopf. ›Ich kann das nur in den Griff bekommen, wenn ich mehr über Transgender weiß. Mit den paar Brocken Allgemeinbildung komme ich nicht weiter. Also …‹

      »Ilsa, kann ich mal dein Notebook haben? Oder brauchst du es selber?«

      Die Zimmertür ging auf.

      »Hat es Zeit bis morgen? Da bin ich wieder baden.«

      »Natürlich. Es eilt nicht.«

      Barbara sah die nächste Hürde direkt vor sich. Zum Abendessen würden sich die Geschwister auf jeden Fall sehen. Das zu verhindern, wäre ausgesprochen dumm. Aber auch so dürfte es der Aufmerksamkeit einer Dreizehnjährigen nicht entgehen, dass es sich hier nicht nur um ein einfaches Problemchen handelte. Sie hatte ihrer Tochter zwar ein Versprechen abgerungen, doch das war nur Fassade. Sie kannte ihr Kind gut genug, um zu wissen, dass Ilsa, wenn es die Situation erforderte, eine geradezu kriminelle Energie entwickeln konnte.

      Leise klopfte sie an Daniels Tür. Nichts rührte sich.

      Sie versuchte es ein zweites Mal. »Ich bin’s.«

      »Komm rein, Mama«, hörte sie. Die Stimme klang müde.

      Barbara schlüpfte leise durch die Tür und schloss sie schnell hinter sich.

      Daniel lag auf seiner Liege. Das Kopfkissen war zerknüllt, die Decke am Fußende.

      »Wie geht es dir?«, fragte sie, etwas besorgt.

      »Ging schon mal besser.«

      »Daniel, du weißt, was ich dir heute gesagt habe. Und dazu stehe ich. Was ich dir nicht versprechen kann, ist, wie es deine Schwester aufnehmen wird. Deshalb wollte ich ihr vorerst nichts sagen. Leider leben wir alle zusammen in dieser Wohnung, und ich habe keine Ahnung, welches Bild von dir sich gerade in Ilsas Kopf zusammensetzt. Ich weiß, ich sollte das nicht tun – aber ich frage dich jetzt: Was machen wir?«

      Daniel setzte sich auf.

      »Ganz schön blöde Situation, nicht wahr?«

      Beide schwiegen. Für diesen Fall fehlte ihnen die Erfahrung, was im Augenblick das Richtige wäre.

      Da kam Barbara ein Gedanke. Erfahrung! Sie hatten keine, aber ihr fiel in diesem Moment jemand ein, der weiterhelfen könnte.

      »Sag mal, Daniel, ihr habt doch an eurer Schule so was wie einen Schulpsychologen oder Vertrauenslehrer. Wer ist das?«

      Daniel überlegte kurz.

      »Frau Richter, unsere Kunst-Lehrerin, ist Vertrauenslehrerin.«

      »Gut. Sehr gut. Sie könnte doch wissen, was zu tun ist.«

      Daniel zeigte auf den Kalender an der Wand.

      »Es sind Ferien!«

      Seine Mutter überhörte den Hinweis.

      »Hast du ihre Telefonnummer?«

      Daniel stand auf und kramte in einer Schublade des Schreibtisches. Schließlich hielt er einen gelben Zettel hoch.

      »Den haben wir mal bekommen. Stehen alle wichtigen Leute drauf.«

      Barbara nahm den Zettel. Schulleiter, Sekretariat, … Ihr Blick flog über das Papier. Da …

      »Anka Richter, Vertrauenslehrerin. Gutenbergstraße 17. Die meinst du doch?«

      »Ich glaub, sie heißt Anka. Ja.«

      Barbara schaute ihren Sohn an.

      »Daniel, wir müssen jetzt zusammenhalten und jede Chance nutzen. Wir brauchen Hilfe, verstehst du?«

      »Ist ja in Ordnung. Mama.« Und als sie sich schon anschickte, das Zimmer zu verlassen, sagte er noch leise: »Ich find dich toll. Ehrlich …«

      Seine Mutter drehte sich noch einmal um.

      »Ich dich auch. Ehrlich!«

      Barbara schnappte sich ihr Handy. Dann klopfte sie bei Ilsa.

      »Schatz, ich geh noch mal kurz Luft schnappen. Wenn ich wiederkomme, gibt es Abendessen.«

      Dann verschwand sie nach unten.

      Ilsa musste nicht hören, was sie am Telefon zu sagen hatte. Deshalb ging sie ein Stück die Straße entlang und bog in die enge Gasse ein, die dort einmündete.

      Der Zettel! Barbara griff in die Tasche und holte das farbige Papier heraus. Sie wählte die Nummer.

      »Richter.«

      »Hier ist Barbara Wegener, Daniels Mutter. Klasse 8b.«

      »Ja, ich weiß. Guten Abend, Frau Wegener.

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