So große Gefühle!. Anselm Grün

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So große Gefühle! - Anselm Grün

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Hat man nun ein geschwisterloses Kind, so wird alles, was es tut, vor allem das, was man als Mutter oder Vater am Kind nicht so mag, vor der Folie »Einzelkind« betrachtet.

      Manches Kind hat früh den Stempel des »Problemkinds«, des »Sorgenkinds«, weg. Und zugleich hat es seine Zuschreibung weg – dieses Kind, dem viel Negatives passiert, das von einem Unheil ins nächste tappt, das nicht lachen und fröhlich sein kann, das so häufig wie ein Trauerkloß daherkommt, ein »ganz armes Kind«, dem man wohl schnell helfen möchte, das dann aber auch bitte schön dankbar für die Unterstützung zu sein hat.

      Und dann gibt es da noch die »Mittelkinder« oder auch »Sandwichkinder«, wie man sie gegenwärtig nennt. Auch hier geistert das Bild von einem Kind herum, das ständig für Unruhe sorgt, das auffällig ist und mit dem man nicht selten so seine Schwierigkeiten hat: »Sie ist eben ein Mittelkind!« Oder: »Er ist und bleibt ein Sandwichkind! Da kann man nichts anderes erwarten!«

      Also: Stempel drauf! Und in die passende Schublade gelegt. Doch aufgepasst: Stellt man sich ein Sandwich einmal ganz bildlich vor, dann liegt oben eine vertrocknete Brötchenhälfte, unten eine nasse, durchgeweichte. Und was ist in der Mitte? Eine leckere Füllung mit Ketchup und attraktiver Salatbeilage. Das Beste befindet sich also in der Mitte!

      ICH BIN SO, WIE ICH BIN!

      Zuschreibungen prägen Rollen, bestimmen Verhaltensmuster und irgendwann richtet man sich darin mehr oder minder frustriert ein.

       FALLGESCHICHTE

      Der sechsjährige Michi versucht, eine Glühbirne einzudrehen. Sie entgleitet seinen Händen und zerplatzt. Seine Mutter sieht das und kommentiert das: »Michi, du und deine linken Hände. Ganz wie der Papa!«

      Aus Michi ist irgendwann ein Michael geworden, er hat zwei Kinder und eine wunderbare Frau. Eines Tages versucht er sich wieder an einer Glühbirne, die ihm – verdammt noch mal! – aus seinen Fingern gleitet. Wieder steht eine Frau hinter ihm, aber die hat er sich diesmal selbst ausgesucht. Wieder zersplittert das Ding. Da kommt ein Satz, der ihm bekannt vorkommt: »Schatz, du und deine linken Hände. Wie dein Papa!« Als er das hört, schaut er seine Hände an: »Da ist eine rechte, da ist eine linke!« Und er denkt zugleich: »Jetzt haltet mal alle die Klappe!«

      Da ist die sechsjährige Paula, die älteste von zwei jüngeren Schwestern, die gerne rumblödelt, verspielt ist und die von ihrer Mutter häufig den Satz hört – mit einer Mischung aus Ermahnung, Vorwurf und Ernst: »Paula! Du bist doch Mamas Vernünftige, oder?! Ich kann mich doch auf dich verlassen, oder?!«

      Auch Paula ist mittlerweile Mutter von Töchtern, sie hat einen tollen Mann. Es läuft gut, doch manchmal, wenn sie ausflippen und sie Mann und Töchter auf den Mond schießen möchte, dann hört sie ihre Mutter sagen: »Paula! Du bist doch Mamas Vernünftige! Ich kann mich doch auf dich verlassen, oder?!« Dann wird sie schnell wieder brav und ruhig – und brodelt innerlich weiter.

      DU BIST GUT SO, WIE DU BIST

      Wer ein Kind durchs Leben begleitet, hat es immer mit zwei Kindern zu tun: dem Kind, das in einem selbst wohnt, welches man mal war und das immer noch da ist. Und jenem, welches vor einem steht. Je mehr man sich mit dem eigenen INNEREN KIND versöhnt hat, indem man weiß, was man im Leben bekommen hat, man akzeptieren kann, was man nicht erhalten hat und wohl auch nicht bekommen wird, umso authentischer kann man jene Kinder durchs Leben begleiten, die vor einem stehen. Man braucht an ihnen nichts wiedergutmachen – unter dem Motto: »Ich möchte nur dein Allerbestes!«

      Eben das wollen Kinder gar nicht. Sie sind auch keine übersättigten Konsummonster, denen man es nicht recht machen kann, die mehr für ein Schlaraffenland geboren sind als vorbereitet auf das Leben mit seinen gelegentlichen Unbillen. Ein Kind möchte einfach so angenommen werden, wie es ist, es wehrt sich gegen Zuschreibungen, weil die oft in einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung enden. Man schafft sich eine Rolle und handelt wie sie.

      NICHT IMMER DAS BESTE WOLLEN

      Je weniger INTUITIV ein Erziehungshandeln ist und je stärker von irgendwelchen Vorstellungen geprägt, desto häufiger werden aus unproblematischen Erziehungssituationen problematische.

       FALLGESCHICHTE

      Die Mutter von Clara meinte es besonders gut. Ihre Tochter war Einzelkind, knapp zwei Jahre, und die Mutter suchte für die Kleine eine anspruchsvolle Kindergruppe, in der sie optimal gefördert werden sollte – eine normale reichte offensichtlich nicht. Sie fand das Gewünschte und Clara fühlte sich dort überhaupt nicht wohl. Das Kind weigerte sich dort hinzugehen, blockierte und zeigte Widerstände, reagierte bockig und äußerst abweisend.

      Auf die Frage, wie ihre Tochter denn vorher beschäftigt wurde, antwortete die Mutter, das Kind hätte immer mit ihren beiden Großvätern gespielt. »Hat das Clara Spaß gemacht?« – »Na klar!«, kam die spontane Antwort. Warum hatte die Mutter diese Situation verändert? Sie schaute erstaunt: »Ja, aber Clara kommt in fast einem Jahr in den Kindergarten. Da kann sie doch heute nicht nur mit alten Menschen spielen!«

      Genau hier zeigt sich ein Problem: Ein Kind wird nicht mehr hier und jetzt begleitet, sondern auf eine imaginäre Zukunft hin erzogen, von der man nichts weiß, außer, dass sie eintreten wird. Aber Kinder leisten dann WIDERSTAND, wenn die Vorstellungen der Eltern nicht zu ihnen passen. Manche tun dies still, andere laut, manche treten ihren Eltern vors Schienbein, andere werden weinerlich, regredieren zum Kleinkind und einige machen eine solch seltsam beschleunigte Erziehung einfach nicht mit: Sie stellen sich auf die Hinterbeine. Entwicklungsstillstand und -verzögerungen sind die Folgen und keine Macht der Welt bringt diese Kinder in Bewegung.

      MITFÜHLEN STATT MITLEIDEN

      In der Erziehung kann man nicht alles planen. Vieles kommt eben anders, als sich Vater und Mutter das denken. Ein Kind kommt nicht als unbeschriebenes Blatt auf die Welt. Es bringt neurologische und genetische Strukturen, aber eben auch Defizite mit auf die Welt, die es zu respektieren gilt. Man muss mit ihnen leben, um dann das Buch des Lebens in entsprechende Kapitel aufzugliedern. Für manche Probleme, die sich aus einer individuellen Situation ergeben, gibt es keine schnellen Lösungen oder Heilung.

      Und wenn Eltern Hinweise auf mögliche Entwicklungsstörungen besorgt studieren und prompt das eine oder andere Kriterium bei ihrem Kind beobachten, schon wird aus Johannes ein entwicklungs-, aus Felix ein lerngestörtes, aus Nina ein hochbegabtes und aus Katinka ein ewig schüchternes Kind.

      Wer nur von Schwächen redet, macht seine Tochter oder seinen Sohn unsicher und schwach und erstarrt in einer Mitleidshaltung. Viel wichtiger und zielführender hingegen ist es, in leidvollen Situationen dem Kind STÄRKENDES Mitgefühl zu geben.

       FALLGESCHICHTE

      Die Eltern des dreijährigen Jonas, eines Adoptivkinds aus Bangladesch, stellten »ihr Sorgenkind« einem Erziehungsberater vor. Jonas sei, wie sie meinten, sprachlich wie emotional stark entwicklungsverzögert. Er könne nur Ein-Wort-Sätze formulieren und »fremdele« extrem stark. Darauf meinte der Berater, die Eltern hätten offenbar ein starkes Kind, das gut für sich zu sorgen wisse: »Jonas hat so laut gerufen, als er ein halbes Jahr war, dass Sie ihn in Europa gehört und zu sich genommen haben.« Vater und Mutter lächelten zunächst schüchtern, dann kam ein vorsichtiges: »Stimmt eigentlich auch!« Von diesem Punkt an ließen sie Jonas mehr Zeit, sich zu

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