So große Gefühle!. Anselm Grün

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So große Gefühle! - Anselm Grün

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Dann habe Annas Mutter sie – von oben herab – angelächelt und ganz cool gemeint: »Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Meine Anna darf natürlich schwitzen!« Das Kind würde jede Woche zum Ballett gehen: »Da schwitzt sie dann richtig!« Veronika wäre der Kinnladen heruntergefallen, als sie das vernahm: »So etwas hatte mir noch niemand gesagt! Ich konnte erst mal nichts erwidern!«

      Aber sie sei ja nicht unbedingt auf den Mund gefallen und als sie ihre Fassung wiedergefunden hatte, habe sie lächelnd gemeint: »Das ist für mich heute ein besonderer Tag!« »Wieso denn das?«, wollte Annas Mutter wissen. Veronika: »Heute habe ich gelernt, dass es ein pädagogisch wertvolles und ein anarchistisches Schwitzen gibt!« Nun habe Annas Mutter merkwürdig dreingeschaut, als wolle sie ausdrücken, was denn diese Bemerkung nun solle: »Und wissen Sie, was ich mehr mag?« Ohne eine Antwort abzuwarten, setzte Veronika noch einen drauf: »Das Anarchistische, weil es so streng riecht!« Denn alle Kinder wären nach dem Toben reif für eine Dusche gewesen … Die Mutter hätte sich kopfschüttelnd abgewendet und habe nie mehr mit ihr geredet.

      Man kann über diese Situation lachen oder auch den Kopf schütteln. Wer die Räume eng macht, so weiß jeder Fußballtrainer, macht es dem Gegner schwer, sein Spiel aufzuziehen. Wer die Spielräume der Kinder einengt, wer sie ständig mit wertenden Augen beobachtet und klassifiziert, beengt Kinder in ihrer Entwicklung und verhindert Gefühle von Glück und Ausgelassenheit.

      Vergleicht mich nicht immer!

      Wer viel beobachtet, kommt dazu, sein Kind mit anderen zu vergleichen – und wird ihm so nicht gerecht. »Vergleiche nie ein Kind mit einem anderen, es sei denn mit sich selbst«, formulierte Pestalozzi schon vor mehr als 200 Jahren, noch ohne Ahnung von entwicklungspsychologischen Erkenntnissen.

      Vergleiche führen allzu häufig dazu, Kinder unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, was sie nicht können. Man legt dann alle Energie darauf, mögliche Defizite oder sogar Störungen zu kompensieren. Alle Kompetenzen eines Kindes, alles, woraus es Selbstvertrauen und Glücksgefühle schöpfen kann, weil es bestimmte Fähigkeiten schon erworben hat und Tätigkeiten eigenständig erledigen kann, das alles bleibt außen vor. Wer Kinder nur als Ansammlung von Defiziten sieht, schwächt ihr Selbstbewusstsein.

      DAS KIND IN SEINER INDIVIDUALITÄT BETRACHTEN

      Kinder entwickeln sich unterschiedlich, das ist eine ganz banale Erkenntnis, die sich aber nicht immer im Alltagswissen von Erwachsenen niedergeschlagen hat. Die individuellen Unterschiede können groß sein, das kalendarische Alter sagt manchmal nur wenig aus: Da ist ein Kind vier Jahre alt, aber in emotionaler Hinsicht kommt es wie ein dreijähriges daher, während ein anderes wie ein fünfjähriges empfindet. Und dann sind da noch die individuellen Unterschiede zu berücksichtigen. Entwicklung stellt keine stete Aufwärtsentwicklung dar. Manchmal will ein Kind nicht groß werden, es möchte auf einer Stufe verharren, um sich möglicherweise anzusehen, ob es früher schöner war. Kinder vergleichen eben auch. Solch Vergleiche sind aber wertvoll und dienen ihrer Persönlichkeitsbildung.

      Kinder vergleichen sich auch untereinander. Dann tun sie dies häufig unter zwei Perspektiven: Was kann ich besser? Und: Was kann ich noch nicht? Einerseits hebt man sich ab und sieht sich in seinen Kompetenzen bestätigt, was das Selbstwertgefühl stärkt. Und die zweite Frage spornt das Kind an, eine weitere Fertigkeit zu erlernen. Kinder lernen viel durch andere Kinder. Gerade ältere sind Vorbilder, denen es nachzueifern lohnt. Auch wenn manche Eltern das nicht allzu gern sehen, wenn ihr Kind den etwas lebenserfahreneren Freund anhimmelt und ihm nachzueifern versucht.

      Lasst mir meine Zeit!

      Um einen zentralen Wunsch von Kindern zu beleuchten, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Vergleicht man einmal ein achtjähriges Kind von heute mit einem vor sechzig oder siebzig Jahren geborenen Achtjährigen, so fallen große Unterschiede auf. Die heutigen Kinder scheinen im Vergleich zu den Generationen davor körperlich stabiler, wirken größer, »erwachsener«, was sich nicht selten im Sprachgebrauch niederschlägt: Man spricht von »großen Kindern«, setzt die Eigenschaft »groß« gleich mit »vernünftig« und kommuniziert manchmal auch so mit ihnen.

      Manche Kinder werden wie kleine Erwachsene behandelt und manch Erwachsener wundert sich dann, wenn die Kleinen irgendwann ganz anders – eben entwicklungsgemäß – reagieren. Die Kinder von heute wissen auch mehr, sie wissen und erfahren durch die allgegenwärtige mediale Berieselung Dinge, die sie emotional oft überfordern. Nicht selten zerreißt es sie regelrecht, wenn sie mit Unglücken, Katastrophen und Kriegen konfrontiert werden. Mögen diese noch so weit entfernt sein, gefühlsmäßig gehen sie ihnen nahe. TEMPO und Beschleunigung scheinen ein Gebot der Stunde, Verschnaufpausen sind immer weniger gestattet. Wenn das Kind in den Kindergarten kommt, wird nach einiger Zeit das Augenmerk auf die Schule gelegt. Und besucht es dann die Grundschule, fällt der Blick auf den Übergang zur weiterführenden Schule. Schnell! Schneller! Am schnellsten!

      Doch bevor man jetzt in sentimentale Weinerlichkeit ausbricht und in den Trauergesang vom armen Kind einstimmt, vom Kind, das in ökonomische Verwertungszusammenhänge gepresst wird und darin aufgehen soll, da sei ganz schnell Einhalt geboten. Kinder sind eben auch geborene Anarchisten und wunderbare Widerständler.

       Weil ich ein Kind bin

      Kinder schaffen sich Räume, die nur ihnen gehören und die eng getakteten Zeitplänen ihr persönliches Zeitempfinden entgegensetzen.

       Wenn alle Erwachsenen in der Familie am Morgen vor der Arbeit durchdrehen, dann wird ein Kind vielleicht umso ruhiger, als wollte es ausdrücken: Wenn hier alle verrückt werden, bitte schön! Ich spiele jetzt in Ruhe noch mit meinen Socken und schau mal, ob ich meinen Fuß reinkriege!

       Wenn Mama und Papa mir ein tolles Buch über die Natur geschenkt haben, dann gehe ich lieber in den Garten, buddle im Boden oder sitze im Gras und schaue den Ameisen zu.

       Wenn Papa und Mama meinen, ich könne schon allein durchschlafen, weil ich vier und damit groß bin, dann zeige ich ihnen, wie es wirklich ist. Ich liege nachts allein im Bett. Papa und Mama liegen zu zweit im Bett und vergnügen sich. Die merken nicht mal, wenn das böse Krokodil kommt und mich frisst. Da nehme ich doch lieber meinen Kuschelhasen und mein Kopfkissen und lade mich bei ihnen ein.

       Wenn meine Eltern denken, ich bin jetzt acht und könne schon ganz allein im Haus bleiben, dann sage ich Nein! Ich bin zwar schon groß. Aber so groß auch schon wieder nicht. Und wer soll mir dann das Essen kochen oder mich in die Schule fahren? Keiner! Ich will, dass die bei mir bleiben!

      Und je mehr eine gesamtgesellschaftliche und individuell erzeugte Beschleunigung sich breitmacht, umso mehr praktizieren Kinder das Moment der Entschleunigung. Ein Kind redet nicht, es handelt, es zeigt den Erwachsenen: Macht langsam! Ich bin acht und noch nicht zwölf! Zudem kommt ein weiterer Gesichtspunkt ins Spiel: Entwicklungsphasen wie Trotz und Pubertät treten früher ein. Schon ein einjähriges Kind kann seine Autonomieanfälle haben und ein Schulkind mit neun Jahren pubertätsbedingte Aufwallungen zeigen.

      Schreibt mir keine Rollen zu!

      Die Feststellung, Kinder würden immer schlimmer werden, stimmt nicht. Sie handeln anders als Heranwachsende früherer Generationen, weil sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändern, die sich auf ihre Persönlichkeit und ihre Gefühlswelt auswirken. Diese Bewertungen lassen sich aus Aussagen heraushören, wenn Eltern ihre Kinder charakterisieren: »Felix ist aggressiv.« – »Julia ist so wehleidig.« – »Patricia ist ein Mittelkind.«

      Solche Feststellungen beschreiben natürlich

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