So große Gefühle!. Anselm Grün

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So große Gefühle! - Anselm Grün

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finden müssen, um im kindlichen Aufruhr der Gefühle richtig zu intervenieren. Dann gibt es auch solche, die erst in Gedanken einen Ratgeber durchgehen müssen, um sich die Stelle, die sie beim Lesen mit dem Wort »Wichtig« markiert haben, in Erinnerung zu rufen. Solche sehr überlegten Eltern werden von ihren Kindern in aller Regel gnadenlos geerdet, zunächst zu Hause und dann – sollten Vater oder Mutter die Lektion noch nicht kapiert haben – im öffentlichen Raum. Dabei können Kinder bei der Wahl des Ortes, der Eltern vor Herausforderungen bezüglich ihres Selbstbewusstseins und ihrer inneren Haltung stellt, ungemein einfallsreich sein.

      WARUM HOCHLEISTUNGSERZIEHUNG INS LEERE LÄUFT

      Und dann gibt es jene Eltern, die Erziehung als HOCHLEISTUNGSSPORT missverstehen. Diese Disziplin lässt sich anschaulich an der Verwendung der Worte »richtig« oder »schön« aufzeigen. Vor ein, zwei Jahrzehnten sollten Kinder »nur« aufräumen, wenn es um die Ordnung ging. Seit einigen Jahren heißt es: »Könnt ihr nicht mal richtig aufräumen?« Und was das Spiel anbelangt, durften Kinder früher »einfach nur« spielen, heute heißt es – meist mit unterdrücktem Zorn: »Könnt ihr nicht mal schön spielen?« Oder: »Geht das nicht mal leise?« Nein! Das können Kinder eben nicht: schön spielen.

      Man stelle sich mal vor, eine Vierjährige sagt zu ihrer Freundin: »Ich denke, wir spielen heute mal schön leise!« Spielen können Kinder aber immer nur mit vollem Einsatz, mit all den Gefühlen, und die sind nicht immer schön und leise. Die häufige Verwendung von Eigenschaftswörtern wie »richtig« oder »gut«, um Tätigkeiten von Kindern zu bewerten, zeigt, wie die Erziehung der Kinder zu Hochleistungsprodukten in den alltäglichen Sprachgebrauch eingesickert ist: Bloß nichts falsch machen! Bloß keine Fehler machen!

       Authentisch erziehen

      Das Loslassen fängt zunächst bei den Eltern an, es stellt sich als innerer Prozess dar. Also:

       Erziehung ist nicht die Vorbereitung auf ein Leben, das irgendwann stattfindet. Sie spielt sich im Hier und Jetzt ab. Wenn ein Kind vier Jahre alt ist, dann ist es vier und nicht fünf! Wenn es in die Tagesstätte kommt, besucht es diese und nicht in zwei Jahren die Schule. Wenn ein Kind nachts nicht durchschläft, dann schläft es noch nicht durch! Wenn es wütend ist, dann ist es nicht aggressiv, sondern es handelt so. Und auf die selbst gestellte Frage »Wo soll das alles nur enden?« lässt sich mit Udo Lindenberg antworten: »Hinterm Horizont geht‘s weiter«, oder wie es im Kölschen Grundgesetz verankert ist: »Et hätt noch immer jot jejange! « Untergangsszenarien lassen Erziehung und damit Erziehende so freudlos werden. Dabei wollen Kinder lachende, fröhliche Eltern! Freude vermissen Kinder an Erwachsenen, dabei ist es für sie so zentral, weil dieses Gefühl ihren Alltag erträglich macht.

       Kinder möchten Eltern aus Fleisch und Blut, mit einer authentischen Haltung, die auch erlaubt: »Ich weiß nicht weiter!« Dann erfährt ein Kind: Jetzt geht es denen wie mir! Sie sind Menschen und keine Maschinen. Kinder fordern von ihren Erwachsenen: Kehrt auf das menschliche Maß zurück!

      Die kindliche Entwicklung begleiten

      Es gibt einen anderen Gesichtspunkt, der häufig außen vor bleibt, wenn Eltern oder auch andere pädagogisch Handelnde das Verhalten ihrer Kinder deuten sollen. Das sind bestimmte Entwicklungsphasen im Heranwachsen. Zwar sprechen Väter und Mütter schnell vom Trotzalter oder der Pubertät, aber dieser Deutungsrahmen bleibt abstrakt oder wird nur zur vordergründigen Beschreibung genutzt: »Ist eben so im Trotzalter!« Was aber diese Phase mit ihren Zornesausbrüchen und überbordenden Schreiereien bedeutet, wird häufig verkannt – und in vielen Ratgebern meist nicht erwähnt. Der Trotz ist das lebendige Bild der UNABHÄNGIGKEITSERKLÄRUNG des Kindes und kein Machtkampf mit den Eltern. Es fehlt Eltern, aber auch Profis, eine inhaltliche positive Bestimmung des Trotzes, die sich im Übrigen auch nicht einstellt, wenn man meint, auf diesen Begriff ganz zu verzichten. Wenn Mütter und Väter die Bedeutung des Trotzes (eben: Unabhängigkeit des Kindes) verstanden haben, dann können sie die heftigen Gefühle dieser Entwicklungsphase akzeptieren lernen.

      Das heißt nicht, alles, was ein trotzendes Kind an den Tag legt, vorbehaltlos zu tolerieren. Man kann aber auf der Grundlage des Verständnisses angemessen handeln. Und das bedeutet, die Bedürfnisse aller Beteiligten zu achten und zu respektieren. Respekt für das Kind meint, sich seiner Erziehungsverantwortung als Erwachsener bewusst zu sein. Und damit seines Wissens, seiner Kompetenzen. Kinder müssen sich darauf verlassen können.

      ICH BIN BEI DIR, EGAL, WO DEIN WEG DICH HINFÜHRT

      Mehr Wissen bringt nur dann Probleme mit sich, wenn es als Besserwisserei missverstanden wird: »Ich möchte dir schlimme Erfahrungen ersparen!« Denn Erfahrungen bestehen meist aus Umwegen im Leben und Umwege erweitern die Ortskenntnis. Ein Umweg bedeutet: Entwicklung stellt keine stete Aufwärtsentwicklung dar. Entwicklung ist immer ein Gemenge aus Fortschritt, Stillstand und Rückschritt. Manchmal merkt ein Kind das, nimmt es wörtlich. So will vielleicht ein Kind, das schon seine ersten Schritte in die Welt gemacht hat und auf beiden Beinen stehen kann, mit einem Mal wieder getragen werden, weil es weniger anstrengend ist.

      Ein anderes Kind bleibt für einige Zeit in der Entwicklung stehen, blickt zurück und stellt fest: Früher hatte ich es einfacher, da hat man mich gefüttert, wurde mir jeder Wunsch von den Lippen abgelesen. Nun bin ich groß, muss alleine essen und muss das zu mir nehmen, was mir vorgesetzt wird! Gemein! Da bin ich doch lieber wieder klein!

      DAS VORWÄRTS-RÜCKWÄRTS-PRINZIP

      In jeder Entwicklung ist häufig ein solcher Widerspruch enthalten. Das zu verstehen ist wichtig, um sich auf die Gefühlswelten von Kindern einzulassen. Gefühle – wir werden es im Lauf dieses Buches noch erläutern – sind auch ein Zeichen von wachsender Reife und damit Anlass für ein Kind, immer wieder Unerwartetes oder auch etwas Ungewohntes, Anderes auszuprobieren.

      Es fällt Eltern nicht selten schwer zu akzeptieren, dass in jedem Entwicklungsschritt automatisch ein Widerspruch enthalten ist. Kinder sind neugierig, forschend, schauen hinter die Dinge. Das macht das Leben mit ihnen so spannend und manchmal eben nervend, zum An-die-Decke-Gehen. Sie zeigen uns das über ihr Handeln, über ihre Gefühle – von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt, von Wutausbrüchen bis zur liebevollen Anhänglichkeit. Die Aufgabe von Erwachsenen besteht nun darin, diese Botschaften genau zu verstehen und sie entsprechend zu ENTSCHLÜSSELN.

      »Warum«-Fragen helfen da nicht weiter (Warum macht mein Kind das nur?), sondern eine Frage, die man sich selbst stellen und beantworten muss: »Wieso macht mein Kind das? Was will es mir zeigen? Was hat es davon?« Und wie man auf diese Fragen verlässliche Antworten findet, davon handeln die nächsten Kapitel.

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      GEFÜHLE SIND LEBENSBEGLEITER

      Von der Freude, von Ängsten, vom Trotz und vom Zorn

      KINDER IN BIBLISCHEN GESCHICHTEN

      In den Evangelien des Neuen Testaments begegnet Jesus Kindern, auf die er sich einlässt und sie segnet. Erwachsene können dabei vom Kind lernen, wer sie sind. Und es gibt Heilungsgeschichten. In ihnen geht es vor allem um Gefühle, die Söhne und Töchter ihrem Vater und ihrer Mutter gegenüber haben. Jesus tritt hier wie der erste Familientherapeut auf: Er löst Verwicklungen auf, verteilt dabei aber keine Schuldgefühle. Es geht ihm um die Verwandlung von Eltern und Kindern, um Beziehungen, die es einem Kind ermöglichen, aufzublühen und

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