Gekaufte Wissenschaft. Christian Kreiß
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Drittmittel sind nicht gleich Drittmittel. Nicht alle Drittmittel sind falsch oder gar schlecht. Bei Drittmitteln aus börsennotierten Großkonzernen wäre ich aber grundsätzlich vorsichtig.
Beispiele für echtes Mäzenatentum durch Unternehmer
Ernst Abbe und die Carl-Zeiss-Stiftung
1889 gründete der genialer Forscher und Unternehmer Ernst Abbe die Carl-Zeiss-Stiftung. Er war damals Eigentümer des Unternehmens und hatte es nach der Übernahme von Carl Zeiss zu enormem Wachstum und Erfolg geführt. Über die Motive für die Stiftung kann man nur mutmaßen. Aber es gibt eine bewegende Stelle aus der Jugendzeit des 1840 geborenen Ernst Abbe: „Bis Anfang der 50er Jahre hat der Vater [von Ernst Abbe] 14 bis 16 Stunden lang täglich zu arbeiten. Ernst wechselt sich mit seiner Schwester Sophie darin ab, dem Vater das Essen im Kochgeschirr zu bringen […]. So erlebt der Junge, wie sein Vater oft, an eine Maschine gelehnt, in aller Hast das mitgebrachte Essen herunterschlingt und sofort weiterarbeitet, nachdem er das geleerte Geschirr dem Kind zurückgegeben hat. Der erwachsene Abbe berichtet über diese Zeit, dass infolge des kräftezehrenden Arbeitslebens der Vater mit 48 Jahren bereits in Haltung und Aussehen wie ein Greis wirkte. Kollegen von weniger robuster Konstitution ereilte dieses Schicksal bereits mit 38 Jahren.“9
„Aus solchen Schilderungen kann man erahnen, welche Motive Ernst Abbe dazu bewogen haben mögen, später als steinreicher Mann diesen Reichtum mit anderen teilen zu wollen und eine Stiftung zum Wohle der Mitarbeiter, der Wissenschaft und der Umgebung von Zeiss einzurichten, statt das Vermögen allein für sich und seine Familie zu behalten.“10 Ernst Abbe war so selbstlos, dass er nicht einmal seinen Namen für die Stiftung verwendete, sondern den Namen des ursprünglichen Unternehmensgründers. Bis heute glauben die meisten Menschen irrtümlich, dass die Stiftung auf Carl Zeiss zurückgeht.
Emil Molt und die Waldorfschulen
Mit Geldern des Industriellen Emil Molt wurde 1919 die erste Waldorfschule begründet. Heute gibt es über 1100 davon, es ist die größte Privatschulorganisation der Welt. Der Name kommt von der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik, die Emil Molt gehörte. Aber an den Waldorfschulen ist nie Reklame für Zigarren oder Zigaretten gemacht worden. Emil Molt hat seine Gelder völlig in den Dienst der Sache gestellt und keine Rendite-Zwecke damit verfolgt. Als es nach 1933 darum ging, Vertreter des Nationalsozialismus oder nationalsozialistisches Gedankengut in die Schulen einzulassen, weigerte sich Emil Molt. Er schrieb in einem Brief 1935: Die Verantwortung „verpflichtet uns, die geistigen Grundlagen dieser Pädagogik rein zu halten. Würden wir sie verleugnen, so würden wir nicht nur unwahr werden, sondern würden die Schule selbst schädigen und zerstören.“11 Emil Molt waren Freiheit und Unabhängigkeit der Schulen so wichtig, dass er sie lieber schließen als externen Einflüssen nachzugeben. Und so wurden die Waldorfschulen unter den Nazis auch verboten und geschlossen.
Zweifelhafte Geldgeber
John Pierpont Morgan und die Weltwirtschaftskrise von 1907
Nach Schilderung von drei Zeitzeugen hat John Pierpont Morgan mit seinem mächtigen Bankenimperium den Finanzcrash von August bis Oktober 1907 und die anschließende schlimme Weltwirtschaftskrise bewusst und vorsätzlich herbeigeführt.12 Dadurch konnte er missliebige Konkurrenten ausschalten und sich enorm bereichern, indem er im Tiefpunkt der Krise billig konkurrierende Unternehmen aufkaufte. Mit Erfolg: 1913 kontrollierten JP Morgan und Rockefeller 341 Großunternehmungen bzw. 20% des US- Volksvermögens.13
Trotzdem wird JPMorgan bis heute in der gängigen Geschichtsschreibung ganz überwiegend als Wohltäter und Retter aus der Finanzkrise von 1907 geschildert.14 Wie kann das sein? Das liegt zum einen daran, dass er am 24.Oktober 1907, als die Finanzkrise in eine Depression abzugleiten drohte, einen Kredit über 10 Millionen Dollar an die US-Regierung organisierte (mit einem sehr hohen Zinssatz). Dadurch gilt er bis heute als „Retter des Vaterlandes“. Interessant. Ein Mensch, der ein ganzes Land, ja die ganze damalige westliche Welt in eine ungeheure Krise stürzt, wird dann zum Retter daraus umbenannt.15
Zum anderen hat John Pierpont Morgan einen Teil seines Geldes gezielt als Mäzen eingesetzt. Er trat stark als Wohltäter in der Öffentlichkeit auf, indem er seine Episkopal-Kirche, Schulen und Spitäler unterstützte, Universitäten Zuwendungen zukommen ließ sowie als feinsinniger Kunstliebhaber auserlesene Kunst- und Buchsammlungen anlegte und später der Öffentlichkeit stiftete. Doch woher stammten die finanziellen Mittel für seine Wohltätigkeit? Aus einem „Gaunerstreich“.16 Diese einseitige Geschichtsdarstellung verzerrt die Wirklichkeit bis heute massiv zu Gunsten des Großvermögensbesitzers. Das dürfte stark an den Zuwendungen Morgans an die Universitäten liegen. So beeinflusst man langfristig die Geschichtsschreibung am wirksamsten.
Kurz: Man kann Mäzenatentum auch dazu nutzen, von eigenen Verbrechen abzulenken17 und sich stattdessen als Wohltäter feiern zu lassen. Geld an Universitäten zu „schenken“ kann daher mit die beste Geldanlage überhaupt sein. Das Mäzenatentum und die Spenden an Universitäten durch Morgan dürften dazu beigetragen haben, dass beispielsweise eine solche Farce von einem Buch entstehen konnte wie das der beiden US-Ökonomen Prof. Dr. Robert F. Bruner (Jahrgang 1949) und Dr. Sean D. Carr (Jahrgang 1969), die 2007 das Buch “The Panic of 1907. Lesson’s Learned from the Market’s Perfect Storm“ veröffentlichten. Das Buch hat ist ungefähr so ehrlich wie eine VW-Studie über Dieselabgase oder eine wissenschaftliche Untersuchung von Facebook über Wirtschaftsethik.
Geldflüsse in Universitäten können langfristig gesehen die lukrativsten Investitionen mit den höchsten Renditen überhaupt sein.
Alfred Pritchard Sloan jr. (1875-1966) als Philanthrop
Der oben erwähnte frühere Chef von General Motors, der sowohl maßgeblich dafür verantwortlich war, dass Straßenbahnlinien in den USA massenweise stillgelegt wurden und dass geplanter Verschleiß in großem Umfang in die Welt kam, trat ebenfalls stark als Philanthrop auf. “Noch zu Lebzeiten setzte er sich für Wissenschaft und Forschung ein, schuf die Alfred P. Sloan Foundation und rief das Sloan Fellows Programm ins Leben“, lesen wir bei Wikipedia.18 Die Sloan Foundation verwaltete 2015 beachtliche 1,77 Milliarden Dollar Stiftungskapital.19 Nun, Geld stinkt nicht, pecunia non olet, wie schon die Römer zu sagen pflegten. Ich gehe davon aus, dass die vergleichsweise wohlwollende Darstellung von Alfred Sloan auf Wikipedia und die meiner Empfindung nach relativ wohlwollende Wahrnehmung Sloans in der Öffentlichkeit oder bei Kollegen auch damit zu tun hat, dass er viel Geld für Philanthropie zur Verfügung gestellt hat. Dadurch hat er vermutlich erfolgreich von seinen Umweltverbrechen abgelenkt.
Drittmittelkategorien
Ich möchte versuchen, Drittmittel mit dem folgenden Schema zu kategorisieren.
Erstens: Echte Philanthropie, Schenkungen an Hochschulen aus Liebe zur Wissenschaft, als echter „Menschenfreund“
Der Begriff Philanthropie kommt von den beiden griechischen Worten Philos = Freund und Anthropos = Mensch.