Die Prometheus Initiative. T. K. Koeck
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Auf jeden Fall kannten sie sich vom Thüringer Wald über den Frankenwald bis hin zum Erzgebirge aus wie niemand sonst und ihre Spezialität waren einige MfS-Schleusen durch die innerdeutsche Grenze, welche sogar Durchfahrten mit motorisierten Einheiten erlaubten. In besten Zeiten unterlagen ihnen knapp 80 der über 500 geheimen Übergänge an der deutsch-deutschen Grenze. So war es ihnen in jedem Fall einfach zu verschwinden, wann immer sie wollten, erstrecht in den Ostblock. Übrigens waren sie zwar in exponierter Lage, aber in guter Gesellschaft. Verdient haben viele Städte im Süden der DDR.
Jetzt aber, da Ostdeutschland endgültig abgeriegelt war und von allen Seiten her kontrolliert wurde, hatte sich die Situation erneut gedreht.
Jetzt gab es gar nichts mehr.
Die, die noch da waren, wurden also richtig sauer. Weil man sie von allen Seiten her allein lies und weil man ihnen ihre guten Verdienste genommen hatte. Weil sie wussten, dass es nichts zu holen gab, dass die DDR pleite war und dass sie sich nur noch mit Manipulation, Konkursverschleppung, Devisenschinderei und der massiven Abzocke Westdeutschlands über Wasser hielt. So waren die Plauener einer der vielen Menschen der DDR, welche am anstehenden 40. Geburtstag der DDR garantiert nicht feiern gehen würden. Ganz im Gegenteil, diese Feierlichkeiten brachten die Leute zur Weißglut. Sie waren stinksauer auf dieses Theaterstück.
Ich selbst arbeitete in einer Maschinenfabrik und einer kleinen Unternehmung, die Waren über alle naheliegenden Grenzen brachte. Sozusagen ein Transitunternehmen auf Rücken von Menschen und Tieren, auf kleinen Trampelpfaden, die zum Teil bis auf tausend Meter hinauf gingen. Aber es gibt eben Dinge, die es Menschen wert sind, diesen Kraftaufwand zu betreiben und so viel dafür zu bezahlen, erstrecht, wenn derjenige dann neben einem herläuft. Bei gewissen Dingen kannten die Preise kein Limit. So war ich in einer besonderen Lage und konnte mich freier bewegen als andere, wir wurden grundsätzlich nicht von der Stasi kontrolliert, sowieso gab es nur zwei offizielle Hanseln im Ort, die nahm keiner Ernst, sie waren da, um das Gesicht zu wahren,… und sie gingen abends brav nach Hause. Besser für sie, das wussten sie. Grenztruppen gab es nur in Schneeberg und der umliegenden Region. Sie waren hauptsächlich an der innerdeutschen Grenze, also in Erfurt, Stendal, Schwerin, Rostock. Und die russischen Militärs in Plauen, der Verband der 20. Garde-Motorisierte Schützendivision, das waren nicht mehr als permanent betrunkene Komparsen. Mal davon abgesehen trainierten die Gardisten gerade in Berlin für den großen Geburtstag.
Tja und als sich die Lage dann dieses Jahr zuspitze, verfasste ich im Frühjahr das erste Mal Handzettel, um zur Demonstration aufzurufen. Aber meine Aktion brachte gar nichts, es wurde nur wenig demonstriert. Die Leute hatten noch Reserven und hofften darauf, dass wieder alles so werde wie früher, wo sie einfach ihr Ding hatten machen können. Es gab eine Lethargie, man wartet auf etwas, dass etwas passiert, in irgendeine Richtung. Klar war, dass man nicht mehr einfach so weiter machen konnte wie bisher, aber keiner hatte eine Ahnung, was zu tun war, nicht gegen einen Staat, nicht gegen die Stasi und deren düsteren Schergen, die dann kommen würden. Sich zu bewaffnet stand außer Frage, nein, das stand niemals zur Diskussion.
Ich hatte beschlossen, am 7.Oktober zu den Feierlichkeiten für das 40-jährige Jubiläum der DDR es wieder mit Flugblättern zu versuchen. Die Handzettel waren bereits gedruckt. Am Sonntagvormittag machte ich mich also auf den Weg, von Haselbrunn nach Plauen, die Tasche voller Reißnagel und Flugblättern, warm eingepackt, weil es plötzlich Herbst wurde. Da ich in gerader Luftlinie nach Plauen gehen wollte, nahm ich von Haselbrunn aus dem Waldweg dorthin. Er führte vorbei am Vogtlandstadion und dann direkt in die Wohngebiete, ideal also. Voller Ungewissheit, ob meine Aktion diesmal Erfolg haben würde, ging ich mäßig schnell, in Gedanken versunken, durch den Wald und kam erst nach einer viertel Stunde am Sportgelände des Vogtlandstadions vorbei. Ich war so im inneren Dialog, dass mir lange gar nicht auffiel, dass hier nichts stimmte.
Erst gut auf der Hälfte des Geländes, an dessen südlichen Ende ich entlang des Waldrandes lief, blickte ich erstmals mit der nötigen Aufmerksamkeit nach links. Angewurzelt blieb ich stehen
und glotze mit offener Mund.
Das sonst oft verwaiste und leere Leichtathletik-Gelände war voll mit Militärgerät. Wo sonst der VFC Plauen mit Jugend trainierte standen jetzt Panzer, Geschütze, Laster, Jeeps und vieles mehr. Ich hatte noch nie so viel militärisches Material auf einem Haufen gesehen! Es war als hätte ein Bienenvolk auf der Wanderung sich hier niedergelassen. Überall wurlerte es, es wurde geschoben, gemacht, getan. Auf den zweiten Blick dann das noch viel Unglaublichere: Sie trugen Camouflage und reguläre westdeutsche Bundeswehr-Uniformen, in jedem Fall aber nicht die der DDR. Auch ihr Material war ganz offensichtlich westlich. Sie wirkten aber ehrlich gesagt auch wie Fußball Hooligans oder windige Komparsen in Uniform.
Ehe ich länger darüber nachdachte, machte ich mich einfach zum Eingang des Geländes auf, da wo der Fußballplatz keinen Zaun hatte und sie keinen provisorischen Zaun hinzugefügt hatten. Zwei Bewaffnete hielten mich auf. Ohne Umschweife fragte ich die: „Hallo? Was machen sie bitte hier?“ Der Soldat antwortete nur: „Wer sind sie?“ Ich antwortete: „Mein Name ist Jörg Schneider, ich bin hier aus dem Ort.“ Die Beiden glotzten sich verdutzt an, dann packten sie mich, der eine nur so: „Mitkommen!“ und schon schleiften sie mich unaufgefordert Richtung Stadion. Ängstlich rief ich: „Hey!“, aber eigentlich war ich ganz still. Es waren ja Westdeutsche. Was konnte schon passieren? Ganz im Gegenteil, konnte das die ersehnte Befreiung sein?
War etwas Geheimes im Gange?
Sie mussten mich also nicht zerren, ich ging ja mit. Ich sagte es ihnen auch: „Ihr müsst mich nicht zerren, ich komme ja mit!“ aber es interessierte sie nicht, sie waren ganz versessen. Im schnellen Schritt betraten wir das Vogtlandstadion, das ich nicht mehr wiedererkannte, denn es war voller Mannschaftszelte und Geschützstellungen, die mit Sandsäcken ummauert waren. Ohne Worte spähte ich nach links, dann nach rechts, versuchte alles aufzunehmen. Es mussten hunderte Soldaten sein. Unglaublich. Die Männer führten mich direkt ins Zentrum, zu einem kleineren Zelt, ebenfalls mit Sandsäcken geschützt und bereits mit einem Tarnnetz abgedeckt, offensichtlich die Kommandantur.
Im Zelt angekommen erkannte ich allerlei Offiziere, Männer an Funkgeräten und allerlei Landkarten von Sachsen.
Und das in Plauen!
Der offensichtliche Befehlshaber, der in der Mitte stand, mit einer pompösen Uniform, sah uns fragend an. Er hatte einen breiten, weißen Spitzbart und unter seiner Schirmmütze schimmerte leicht seine Glatze. Unter seinen ebenfalls breiten, blauen Augen lagen tiefe Augensäcke. Als er uns ansah, hob er die Augenbrauen und runzelte die Stirn. Der Soldat neben mir salutierte, nannte den Befehlshabenden »Major Hoffmann«, berichtete ihm, dass ich hier aus dem Dorf sei und am Eingang gestanden hätte. Der Vorgesetzte beriet sich sogleich mit den Anwesenden. Absicherung der Waldseite, noch offen. Einsetzen von Zaunwachen und Patrouillen im Wald.
Dann fragte er mich, wer ich sei. Erneut berichtete ich, dass ich der Herr Jörg Schneider aus Plauen sei und erneut fragte ich: „Wer sind sie?“ Doch dieser Hoffmann besprach sich nur erneut mit allen Anwesenden, als hätte ich eine Top Information geliefert!
Er antwortete auch weiter nicht auf meine Frage, wollte nur allerlei zu Plauen, zu den Plauenern und das südliche Sachsen wissen. Ich antwortete, so gut ich konnte. Erneut wurde ich aber lästig: „Dürfte ich wissen, wer sie sind?“ Der Major sah mich prüfend an, dann erklärte er mit fester Stimme: „Wir sind ein Freiheitsbataillon aus dem Westen, wir bilden die rechte Flanke für den Marsch alliierter Westmächte auf Berlin“ und führte aus: „Geheimagenten haben bereits beide Teile Berlins in der Hand, ohne dass jemand es gemerkt hat. Das Ende der DDR ist da, der Aufstand der Bevölkerung wird jetzt, von Truppen wie uns, in die Städte getragen! Daher ist jeder DDR-Bürger aufgerufen, sich den westdeutschen