Die Prometheus Initiative. T. K. Koeck
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Niemand hatte gemerkt, dass sie jetzt uns gehörten.
In den Morgenstunden dann der Vorstoß auf Merseburg, das Braunkohle Tagebaurevier. Ein großes Gewirr an Löchern, verlassenen Straßen und mächtigen Hügeln. Von hier aus würden wir unsere Angriffe auf Stützpunkte in der Region, würden wir die kommenden zwanzig Stunden alles leiten und koordinieren. Wir waren nahe an Leipzig, aber dennoch außen vor. Wir hatten Zugriff auf Halle und die avisierten militärischen Ziele, das 11.MSD, das AZ/17 und das MB/III, die auf der anderen Seite von Leipzig und Halle jetzt relativ schutzlos vor uns lagen. Die Russen waren im Wesentlichen im Osten der DDR, die nächsten Stützpunkte hier waren die Militärtechnische Schule in Bad Düben und das Jagdfliegergeschwader 1 in Holzdorf. Das hier war also ein idealer Standort um sich bedeckt und ohne direkte Aufmerksamkeit aufzuhalten.
Unser Hauptquartier selbst aber bauten wir mitten im Abbaugebiet Merseburg Ost so gewaltig wie möglich auf, wie ein riesen Hauptquartier, stellten allerhand erbeutetes Material in Sichtweite auf, direkt unterhalb des Förderturmes, plusterten uns schon einmal optisch zur Invasionsarmee. Hoffmann hielt es von Anfang an gut mit seinen Leuten, verteilte erbeutetes Material an alle Kämpfer, Waffen und Gerät wurde umgehend in den Verband integriert.
Als wir in Merseburg waren, kamen den ganzen Vormittag wichtige Leute, Delegationen, teilweise Menschen aus Leipzig, Vertreter, Oppositionelle, aber auch Menschen, die überhaupt nicht den Anschein machten, hierher zu gehören. Alle kamen in das mächtige Hauptquartier. Natürlich auch Geheimdienste, welche wusste ich nicht, nur, dass es keine waren, die ich schon getroffen hatte; Und das sollte was heißen!
Mittags kamen verschiedene eingeweihte Politiker, Pfarrer und Würdenträger aus der Stadt, demütig, alle schon vorab informiert. Dann, am frühen Nachmittag, sendete Hoffmann wie geplant allerhand Männer los, erst mehrere kleine Trupps in zivil für die Innenstadt von Leipzig, dann die kämpfenden Einheiten für die verschiedenen strategischen Ziele, zuletzt spezialisierte Männer für verschiedene Horch-, Koordinierungs-, und Kommunikationsstellen. Dann ging die ganze Operation los.
Als der restliche Tag und auch die Nacht vorüber waren, fanden wir uns wieder in Merseburg ein. Wir waren praktisch alle unversehrt, hatten aber des nachts Hunderte Angehörige der Volksarmee in ihren Kasernen entwaffnet und eingeschlossen. Diejenigen, die nicht in Berlin waren, wurden in der Leipziger Innenstadt wegen unserer Aufstände zusammengezogen, das war ihr Fehler. Als die Demonstrationen dort losgingen, angefeuert von unseren Leuten, mussten sie die verbleibenden Einheiten entsenden. Das Chaos in der Leipziger Innenstadt war endlos. Wasserwerfer, Prügeleien, an die tausend Verhaftete. Alle Augen waren dorthin gerichtet. Wir hatten leichtes Spiel.
Konnten klauen, was wir klauen wollten.
Jetzt, da diese Einheiten in ihre Stützpunkte zurückkehrten, würde sie eine böse Überraschung erwarten. Leipzig selbst hatten wir zu einem Schlachtfeld gemacht. Niemand dort würde die heutige Nacht vergessen.
Als ich nach ein paar Stunden Schlaf wieder erwachte, war unser Kommandozentrum im Kohlerevier um das doppelte angewachsen. Kameraden brachten immer neues erbeutetes Material, Haubitzen, Panzergranaten, bewaffnete Truppentransporter, alles Mögliche. Sogar Mittelstreckenraketen brachten sie daher, die sie irgendwo eingesammelt hatten, weil niemand da war. Es war chaotisch. Verzweifelt versuchten die wenigen, die sich mit diesem Material auskannten, herauszufinden, wo sie es gefunden hatten, weil es in der Regel ohne Zusatzmaterial nicht zu gebrauchen war, was sie aber nicht geborgen, bzw. mitgebracht hatten. Pfahler und sein Trupp versuchten Ordnung zu schaffen und dann dem Material auch Menschen zuzuordnen.
Schon ab Dienstag in der Früh trudelten laufend Freiwillige ein, die sich uns anschließen wollten. Alt-Kommunisten, Zaristen und Stasi-Mitläufer, sie alle, weil sie wussten, was der Plan ist. Der Rest kam, weil man das ja jetzt für eine offizielle westdeutsche Angelegenheit hielt und niemand die Lust oder die Position hatte, in Bonn oder Ostberlin nachzufragen, ob es denn stimmte. Weil sie so begeistert waren. Auch unter denen, die wir in den Kasernen verhaftet hatten, waren einige, die glaubhaft mitkämpfen wollten, also nahmen wir sie mit. Sie waren Gold wert, kannten sie doch die Gegend, den Feind und das Material. Und so teilten wir schon am späten Nachmittag unsere Kompanien neu auf und besetzten sie mit frischem Material und Freiwilligen. Binnen einem Tag hatten wir uns fast verdoppelt. Der gesamte Plan schien aufzugehen! Schnell waren wir bei Verbrüderung, Essen, Trinken, Gespräche und bester Laune.
Eine tolle Stimmung und eine krass-geile Aktion.
Später am Abend flüsterte mir Hoffmann zu, ich sollte ihn und ein paar Mann begleiten, unbewaffnet. Ohne zu zögern sprang ich auf, legte mein Sturmgewehr und die Pistole sorgfältig beiseite. Bereits nach zehn Minuten marschierten wir westlich nach Merseburg rein, dann verließen wir die Stadt wieder Richtung Osten, wo wir bereits einen hellen Schein am Himmel sahen. Als wir noch näher kamen, krochen wir alle gebückt, blieben in Deckung. Dann, an einem guten Standort, ließ Hoffmann uns auf einen gigantischen Flugplatz der Russen mit einer riesen Flutlichtbeleuchtung, hektischem Nachtbetrieb, mit allem Drum und Dran, auf sicher mehr 500 ha, herabblicken. Ich erkannte dutzende MiG-29 und MiG-23 Jagdflieger, in einem weiteren Bereich standen Kampfhubschrauber, Mi-24 und Mi-8 und auf der Nordseite war alles voller weiterer Bunker und Hangars. Es sah aus wie eine Raumstation aus Star Wars.
Mit dem nötigen Respekt fragte ich Hoffmann: „Die ganze Zeit waren wir um die Ecke gewesen… von das da? War das nicht riskant? Ich wusste das nicht!“ Hoffmann lächelte verständnisvoll und erklärte es mir: „Erstens gibt es in DDR Militär an jeder Ecke, egal von wem, wahrscheinlich mehr als eingetragene Indianervereine. Jeder siebte DDRler ist direkt oder indirekt beim Militär. Zweitens ist das hier, mein guter Hepp, wie eine Weltraumstation, gut isoliert, ein autarkes System. Das hier, mein lieber Hepp, ist die 16. russische Luftarmee, der ganze Stolz der Sowjet-Genossen, es ist die 6.Jagdfliegerdivision, das 85. Jagdfliegerregiment und das 139. Fliegertechnische Regiment. Dabei ist das hier nur die Hälfte, etliche Staffeln sind in Berlin für die Flugshows, der Verband der 8. Garde-Truppenarmee fehlt auch. Aber wie auch immer, die, die hier stationiert sind, die sind für das ganz große Ganze da, immer einen ernsten Blick auf den Radar und den roten Knopf,
das hier ist der Kalte Krieg.
Die sehen selbst für das Wetter auf den Bildschirm, anstatt aus dem Fenster. Somit sind sie keine Gefahr für uns. Daher mussten sie es nicht in ihren Plan einbeziehen.“ Er war maßlos begeistert. Seine Augen glühten, glänzten beim Anblick von so viel organisierter, fein abgestimmter Technik. Er flüsterte ganz leise und voller Ehrfurcht: „So viel Größe, soviel Geld und Material…“ dann aber fauchte er: „Pah! Wir erreichen in einigen Tagen das Gleiche, mit einem Bruchteil dieser Ressourcen!“. Dann bewegten wir uns langsam wieder weg, vom größten russischen Militärflughafen der DDR. Tief beeindruckt tranken wir noch gemeinsam ein paar Bier, besprachen die monströse Technik, dann knallten wir uns auf unsere Feldbetten.
Am vierten Tag teilten wir uns morgens um drei Uhr erneut auf. Geschlafen hatten wir wenig oder gar nicht, es war auch nicht nötig. Die Stimmung war blendend und es wurde viel gelacht. Vier Kompanien blieben in Merseburg, mehre Trupps wurden zusätzlich als Verstärkung auf die erbeuteten Stützpunkte verteilt. Es waren aber zum großen Teil neue Leute, weil wir Leipzig letztlich nicht als finales Ziel ansahen, sondern nur die militärischen Ziele ausknocken mussten. Noch vor dem Morgengrauen ratterten wir mit Mann und Maus Richtung Finsterwalde,
die Besten vorne weg.
Jetzt ging es ums Ganze.
Finsterwalde war ein kleines Städtchen