Das Fest der Männer und der Frauen. Hans-Ulrich Möhring
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»Ich fand es absolut grauenhaft, wie es zu meiner Zeit lief«, unterbrach Charlotte. »Ich kann mich heute noch an den gekachelten Kreißsaal im Bürgerhospital erinnern, wo ich dich bekommen habe, an diesen scheußlichen Geruch. Ich habe ewig lange allein gelegen, ohne dass jemand nach mir geschaut hat, und wenn mal ein Arzt kam, hat man sich auch noch dumme Sprüche anhören müssen – dass das Kind leichter reinkommt als raus, haha, und solches Zeug – und als dann die Wehen einsetzten und es losging, waren auf einmal noch mehrere andere Frauen mit mir im Saal, nur durch Vorhänge getrennt, und jede hat mithören müssen, wie die anderen schrien und … und … alles.« Sie schüttelte sich.
»Das war 78, als Ronja kam, auch noch nicht viel besser«, sagte Sofie, »nur dass sie technisch aufgerüstet hatten und du von Wehenschreibern, Herzrhythmusmessern, Infusionspumpen und was weiß ich noch alles umstellt warst, die ständig gebrummt und gepiept und getickert haben. Als ich damals an eine Hausgeburt dachte, bevor Gregor dagegen auf die Barrikaden ging, habe ich in ganz Hamburg genau eine alte Frau gefunden, die noch als Hausgeburtshebamme praktiziert hat und die das gemacht hätte. Aber um auf deine Frage zurückzukommen.« Sie sah ihrer Mutter in die Augen. »Ja, mit unserem Frauenkreis wollen wir unser Leben ›irgendwie weiblich gestalten‹, das stimmt, aber wir tun nicht so, als ob es lebendige weibliche Traditionen gäbe, an die wir anknüpfen könnten, sei es in der Entbindung. Da am allerwenigsten. Gerade in dem, was uns Frauen am meisten gehört, sind wir am gründlichsten enteignet. In der Traditionslosigkeit, in der wir heute alle leben, können wir als Frauen nur behutsam versuchen, eigene Formen zu finden, kleine Formen, die wir tragen können und die uns begegnungsfähig machen, wenn die Männer ihrerseits anfangen aufzuwachen. Das ist übrigens, ob du’s glaubst oder nicht, etwas, was niemand besser versteht als Bo und was ihn genauso umtreibt wie mich. Was finden wir für lebbare Formen, die uns fordern, aber nicht überfordern. Das alles habe ich dir schon früher zu erklären versucht, aber bis jetzt hatte ich immer den Eindruck, dass dich das nicht furchtbar interessiert und du lieber an dem Gedanken festhältst, ich würde mit meinen Frauen irgendein uriges matriarchalisches Getümel treiben.«
Charlotte setzte an, etwas zu sagen, doch Sofie ließ sie nicht zu Wort kommen.
»Natürlich hätte ich statt Bo auch Luzie fragen können, ob sie mir hilft, oder Jenny oder Mona, aber zum einen wäre es für die schwieriger gewesen und mehr Aufwand, dafür extra aus Bremen oder Hamburg anzureisen und sich weiß Gott wie lange bereitzuhalten, und zum andern hat Luzie selbst kein Kind und keine Erfahrung auf dem Gebiet, und Jenny und Mona haben ihre Kinder im Kreißsaal bekommen, und bei unseren Gesprächen darüber, wo man am besten entbindet, im Krankenhaus oder zuhause, fanden sie die Sachen, die ich gesagt habe, zwar grundsätzlich richtig, aber bei ihren Kindern hätten sie das Risiko nicht eingehen mögen, und dass ich für ihr Empfinden meine eigene Sicherheit und die meines Kindes gefährden wollte, war ihnen auch nicht geheuer – was ich gut verstehe. Ich will auch mein Kind möglichst sicher zur Welt bringen, wer will das nicht? Aber die Art, wie bei uns Sicherheit hergestellt wird, und was sich daraus alles ergibt, damit kann ich mich einfach nicht abfinden. Die Art, wie Frauen entmündigt und von ihrem Körper abgeschnitten werden, wie sie den Kontakt zu ihrem Kind und sich selbst durch Illusionsmaschinen und absurde Vorsorgeentscheidungen ausgetrieben bekommen. Ich denke, früher war die Geburt etwas Existentielles, die Ankunft eines neuen Menschenwesens auf der Erde, und die ganzen Gebete, Riten, Wallfahrten und Gelübde drumherum sollten dem Kind auch einen guten Lebensweg bereiten. Eine Frau aus Liberia, die ich letztes Jahr kennen gelernt habe, hat mir erzählt, dass in ihrer Tradition jede Geburt eine Initiation ist. Die Frauen sehen dabei dem Tod ins Auge und erwerben ein Wissen vom Leben, das tiefer ist als alles, was sie in der Schule lernen. Falls wir hier je so ein Wissen hatten, dann haben wir es schon lange verloren, und geblieben ist uns Unsicherheit und Angst. Ich will mich aber nicht von der Angst bestimmen lassen.« Sofie tat einen tiefen Schnaufer. »Mit dem Entschluss, daraus praktische Konsequenzen zu ziehen, stehe ich allerdings auch unter meinen Frauen ziemlich allein da, und ganz gewiss ist unser Kreis keine traditionelle Gemeinschaft, die über bewährte Formen verfügt, ein Kind in Empfang zu nehmen und ins Leben zu geleiten. Deshalb kam es mir richtig vor, die Realität zu akzeptieren, wie sie ist, und die Formlosigkeit zusammen mit Bo auszuhalten. Unter den gegebenen Umständen wollte ich die Erfahrung der Geburt lieber mit ihm teilen und von dort aus weitergehen, wohin auch immer. Hoffentlich dahin, wo ich tiefer erfahre, was es heißt, eine Frau zu sein.« Die Bemerkung, dass sie das von ihrer Mutter ganz gewiss nicht gelernt hatte, verkniff sie sich.
»Autsch!«, knurrte Bo beim vierten Biss und stieß Sofie zurück, nachdem sie im Bett förmlich über ihn hergefallen war und ihn erst in die Schulter, dann in die Seite, in den Bauch und zuletzt in den Penis gebissen hatte. »Das hat weh getan. Was ist los mit dir?«
Breitbeinig auf ihm sitzend reckte sich Sofie zu stolzer Pose auf. »›Küsse, Bisse‹«, deklamierte sie mit erhobener Hand, »›das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, kann schon das eine für das andre greifen.‹«
»O Gott, Penthesilea ist wieder da«, stöhnte Bo. »Hast du denn gar kein Mitleid mit dem armen Ödipus, verstümmelt an Fuß und Geschlecht?« Die Amazonenkönigin schüttelte wild ihr Haupt und wollte etwas sagen, doch da schnappte sich der unterlegene Mann flink ihre linke Brust und machte Anstalten, seine Zähne darin zu versenken. Sie schrie kurz auf, dann warf sie sich auf ihn, und ein Gerangel begann, das nach einer Weile langsamer, inniger wurde und in eine Versenkung anderer Art überging. Bei alledem musste Bo auf sein Knie aufpassen, dessen anhaltende Empfindlichkeit immerhin den Nebeneffekt hatte, dass die Empfindlichkeit seines Lustorgans ein wenig ab- und sein Durchhaltevermögen entsprechend zunahm.
»Kriegt sie dich so?«, fragte er hinterher, nachdem beide noch einmal nach Jakob geschaut hatten und zusammengekuschelt wieder im Bett lagen.
»Ach, ich musste mich einfach mal abreagieren«, erwiderte sie. »Dich kriegt sie mehr.« Was stimmte. Dass seine Schwiegermutter in spe sich über einen Monat Zeit gelassen hatte, um ihren neugeborenen Enkel zu besichtigen, befremdete ihn, und dass es ihr wichtig war zu betonen, wie gut sich der Besuch mit einer Lesung in Hamburg kombinieren ließ, fand er affig. Hinzu kam, dass ihr Hauptinteresse darin zu bestehen schien, ihre Tochter als Informantin für ein neues Buch anzuzapfen, an dem sie gerade schrieb. Charlotte Autré – den Künstlernamen führte sie seit der Trennung von ihrem Mann auch privat – war eine Schriftstellerin mit einem schmalen Oeuvre und einer kleinen, aber treuen Lesergemeinde. Ihre Romane und Geschichten hatten keine stringente Handlung, sondern zeichneten meist komplexe Personenkonstellationen, die sie mit wissenschaftlicher Akribie in ihrer heillosen Verstrickung analysierte. Ihr bekanntestes Werk, Exit, reihte in einer klinisch neutralen Sprache die Motive und Vorgänge auf, deren Verkettung zu ihrem Selbstmordversuch Ende der siebziger Jahre geführt hatte. In ihrem neuen Buch, Arbeitstitel Donna, sollte es »im weitesten Sinne« um weibliche Macht und Ohnmacht gehen, dargestellt am Schicksal wechselnder Protagonistinnen, deren einzige Verbindung untereinander die mehr oder weniger flüchtige Berührung mit dem Frankfurter Weiberrat von 1968 war. Die Fragen, die sie an ihre