Das Fest der Männer und der Frauen. Hans-Ulrich Möhring

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Das Fest der Männer und der Frauen - Hans-Ulrich Möhring

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ausweichen und es abwerfen? Das Annehmen kann hart sein, doch es ist gut, immer. Das Ausweichen gibt sich oft clever und schmerzlos, doch es führt ins Unglück. Er habe Erfahrung mit beiden Wegen. Sie, Sofie, sei das schönste Schicksal, das er sich wünschen könnte, aber er ist vorher lange den Schicksalsweg eines einsamen, kinderlosen Mannes gegangen, und er wäre ihn willig weitergegangen, wenn es hätte sein sollen. Das hört sich prima an, aber irgendwie kommt es ihr zu simpel vor. Manchmal sind die Haltungen, die man einnimmt, nicht so eindeutig, wie Bo sie hinstellt. Erwächst Schicksal nicht gerade aus getroffenen Entscheidungen? Als er ihr damals die Karte für die Ausstellung in Heidelberg schickte, hat er da dem Schicksal nicht ordentlich nachgeholfen? Da hat er gegrinst und nichts mehr gesagt.

      Ihre Gedanken scheinen bei ihm anzukommen. Ein Paar aus Volkers Freundeskreis fällt ihm ein, das bei aller äußeren Lockerheit immer von einem Schleier grauer Traurigkeit umgeben war. Eines Tages stattete die Frau ihm einen Überraschungsbesuch ab, und beim scheinbar ziellosen Reden über dies und das erfuhr er, dass ihr »Freund«, wie sie ihren Mann auch nach acht Jahren noch nannte, sich am Anfang der Beziehung auf ihren gemeinsamen Beschluss hin hatte sterilisieren lassen, mit einer dieser verquasten spirito-politischen Begründungen, die zu der Zeit gängig waren. Es dauerte eine Weile, bis er verstand, dass die Frau ihm so zart wie entschlossen den Antrag machte, sie zu schwängern. Er, nun, er stellte sich einfach taub. Sofie nickt und erzählt ihrerseits von einem Paar in Kiel, das nicht ihr Glück gehabt hat: der erste Schuss schon ein Treffer, sondern bei denen es jahrelang nicht klappen wollte, bis sie sich nach vielen Untersuchungen und Überlegungen endlich zu einer künstlichen Befruchtung entschlossen und mit einer Samenspende Erfolg hatten. Es sei natürlich immer schwierig, ein Urteil über Entscheidungen zu fällen, die man nicht selber treffen muss, aber von dem her, was es für sie heißt, ein Kind zu haben, könne sie sich nicht vorstellen, dass sie sich zu einem solchen Schritt entschlossen hätte, wenn sie unfruchtbar gewesen wäre, oder ihr Mann.

      Im Hintergrund plätschern Cello, Klavier und Sitar aus. Nein, Bo macht seine Hände schwer, sie muss nichts Neues auflegen. Er gähnt. Er ist müde, stimmt, aber ins Bett möchte er noch nicht. Die Hände wandern zu ihrem Bauch zurück. »Wie soll er heißen?«, fragt er. »Hast du inzwischen eine Idee?«

      »Und du?«

      Er schüttelt den Kopf. »Mir spricht sich einfach kein Name zu. Neulich hat mir Arno nicht schlecht gefallen, davor mal Martin, aber wenn ein paar Tage vergangen sind, kommen mir solche Vorlieben wieder ziemlich beliebig vor.« Er sieht sie an. »Was das Geschlecht unseres Sprösslings angeht, bist du ja sicher, hast du gesagt. Aber falls es doch ein Mädchen werden sollte, wäre ich sehr für Käthe. Nach meiner Oma.«

      »Einverstanden.« Sofie überlegt eine Weile. »Als ich zum ersten Mal schwanger war«, beginnt sie zögernd, »hat mir eine ivorische Freundin von einem ›rituel d’écoute‹ erzählt. Ein Hörritual. Das ist ein Ritual für werdende Mütter, das in ihrem Dorf noch gebräuchlich ist. Ein paar Wochen vor der Geburt spricht ein Dorfältester mit dem Kind im Mutterbauch und fragt die Seele, die sich verkörpern will, wer sie ist und woher sie kommt. Mit welchem Auftrag der Ahnen kommt sie in diese Welt? Wie kann ihr dabei geholfen werden? Mit welchem Namen will sie genannt werden? Und die Mutter antwortet stellvertretend für ihr Kind.«

      Bo hört ihren Ton und schiebt sich in eine aufrechte Haltung.

      »Mich hat das damals sehr beeindruckt«, fährt Sofie fort. »Ich war ja furchtbar umgetrieben von der Suche nach meiner eigenen Lebensaufgabe, und diese Perspektivverschiebung, nach der Aufgabe eines andern Menschen zu fragen, meines Kindes, kam wie eine Erleuchtung. Es ging um jemand anders und erforderte doch mein Handeln, ein ziemlich unvorstellbares Handeln zumal, ein Handeln, in dem es direkt ums Leben ging. Kein Tunals-ob. Als exotisches Eingeborenenmärchen hören wir solche Sachen ja gern, aber wie ernst kann man so was nehmen, wenn es einen selbst betrifft? Ein Dorfältester, den ich hätte machen lassen können, war nirgends in Sicht, wenn mir also ernst damit war, vor der Geburt mit meinem Kind in Kontakt zu treten, musste ich das selbst versuchen. Ich fing im stillen an, in meinen Bauch hineinzulauschen, auf Regungen zu achten, hinzuspüren, wer da kommen wollte, was für ein Wesen, was es gern mochte und was nicht so gern, wie es mit mir verbunden war.« Wieder zögert sie. Bo blickt unverändert gespannt. »Mit Gregor konnte ich nicht darüber reden. Er hätte das als irrationalen Humbug abgetan. Es war schon schwer genug, ihn davon zu überzeugen, dass es nicht unverantwortlich war, auf weitere Ultraschalluntersuchungen zu verzichten, weil ich …« Sie macht eine hilflose Handbewegung. »Ich wusste vorher gar nichts darüber, und dann zeigt mir der Frauenarzt beim ersten Mal dieses graue Geschmiere auf dem Bildschirm und erklärt mir stolz, was er alles darin erkennen kann: das ist die Stirn, und da die Nase, und da die linke Hand. Mir kam das völlig unwirklich vor. Ich hatte doch noch gar kein Gefühl für das Kind, das da kommen wollte, es war doch nur eine dunkle Hoffnung, eine gute Hoffnung tief in mir drin, die noch eine ganze Weile wachsen musste, um für mich wirklich zu werden, um die Ahnung meines Kindes zu werden, meines Kindes. Und auf einmal ist es schon aus mir draußen dort auf dem Bildschirm, und ich kann es angeblich sehen, und der Arzt kann mögliche Fehlbildungen feststellen und mich davor warnen und mir eventuell Gegenmaßnahmen vorschlagen, die aber selber höchst fraglich sind und die ich allein verantworten muss, und es hat alles überhaupt nichts mit mir zu tun, es ist nur ein technischer Trick, mit dem der Arzt so tut, als könnte er in mich hineinschauen, aber was er da auch sehen mag, das ist nicht mein Kind. Das ist eine technische Vorspiegelung. Das ist nicht mein Bauch, dieses schmierige graue Bild, er kann nur dieses glitschige Gel darauf schmieren, das mich davon ablenkt zu fühlen, was wirklich in meinem Bauch vorgeht.« Sie schüttelt den Kopf. »In dem Moment ist mir erst klar geworden, was es heißt zu sagen: Mein Bauch gehört mir.«

      »Aber das Bild gibt doch wieder, was in deinem Bauch drin ist, es stellt doch nichts anderes dar«, wendet Bo ein. »Wieso meinst du, es hätte nichts mit dir zu tun?«

      »Bo, was da geschieht, ist etwas … etwas Menschliches, nichts Technisches, nichts Biologisches. Ich erwarte doch kein biologisches Objekt, ich erwarte mein Kind. Das mich zur Mutter macht. Ich muss diese Mutter werden – das ist nichts Biologisches! Ich muss, wenn ich so weit bin, in Verbindung mit meinem Kind treten, das ich noch nicht kenne und das ich kennen lernen will, von ganzem Herzen, aber das ich niemals kennen lernen werde, wenn ich mir einbilde, es schon zu kennen, weil ich irgendwelche Messdaten darüber weiß, irgendwelche Prognosen. Weil ich es quasi schon im Fernsehen gesehen habe. Der Arzt tut, was alle Wissenschaftler tun, die Illusion eines objektiven Blicks erzeugen, und den perfektioniert er mit seinen Apparaten, aber das Auge allein reicht da nicht hin, es kann nicht ins Dunkel dringen, das kann nur das Ohr. Das Ohr ist das Organ fürs Unsichtbare, für die Gefühlswelt, und deshalb war ich so glücklich, als Marlène, diese Freundin, mir von dem Hörritual erzählte, denn das war genau die Richtung, in der ich meinem Kind näherkommen wollte.« Sie sieht Bo beinahe flehend an. »Verstehst du?«

      »Vielleicht. Sprich weiter.«

      »Es ist schwer, diese Verbindung zu beschreiben, die da mit der Zeit entsteht. In meinem Bauch hat sich plötzlich ein Lebensdrama abgespielt, neben dem der Abschluss an der Schauspielschule ein Klacks war. Ich dachte, ein Kind will die Bühne des Lebens betreten, was zählen dagegen alle Bühnen der Welt? Ich muss es auf diese Bühne führen, ihm sagen, was hier gespielt wird, es mit seiner Rolle vertraut machen. Dafür muss ich selbst das Stück und die Bühne und den neuen Akteur verstehen, der dort bald auftreten will. Gegen Ende der Schwangerschaft hatte ich das Gefühl von jemand mit einer großen inneren Gegensatzspannung, jemand Starkem und Freiem, der abseits der vielen geht, auf schwierigen Bahnen. Du Wolfsherz, sagte ich eines Abends, und da kam mir die Erinnerung an ein Buch, einen Abenteuerroman, den ich als junges Mädchen gelesen hatte, Mit dem Herren einer Wölfin, in dem hieß die Heldin Ronja. In dem Moment wusste ich, dass ich ein Mädchen bekommen würde, und sie sollte Ronja heißen. Witzigerweise hatte Gregor schon Sonja vorgeschlagen, und die kleine Veränderung gefiel ihm. Aber beim Thema Hausgeburt blieb er unnachgiebig. Für ihn war das die reine Romantik und ein unverantwortliches Risiko, dem er sein Kind nicht aussetzen wollte. Dagegen kam ich

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