Das Fest der Männer und der Frauen. Hans-Ulrich Möhring
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Zu viel Trubel war mit Oma Charlotte nicht zu befürchten, aber Bo fand es gewöhnungsbedürftig, wie gezielt sie Ronja und Leni ausfragte: was sie von Jungs hielten, wer in ihren Cliquen das Sagen hatte, wie Streitigkeiten ausgetragen wurden, alles, was irgendwie mit Macht zusammenhing. Aber die Mädchen gaben gern Auskunft und fühlten sich ernst genommen. Von ihm wollte sie wissen, ob er Gregor gegenüber Eifersucht empfand, wie es war, »pardon«, quasi in dessen Haus zu leben, mit seinen Töchtern. Am zweiten Tag beschloss Bo, den Spieß umzudrehen und seinerseits zu fragen. Ihr Selbstverständnis als Schriftstellerin interessierte ihn, und er fand es einleuchtend und nicht unsympathisch, wie für sie bei allem die eigene Arbeit im Vordergrund stand und das öffentliche Ansehen ihr wenig bedeutete, wie sie sich nur ihren Lesern verpflichtet fühlte. Verpflichtet eben zu dieser Arbeit. Ihr Leben würde ihr entgleiten, wenn sie sich nicht auf die Art schonungslos Rechenschaft ablegte und dabei sich und andere radikal in Frage stellte. Bo ließ sich erzählen, hörte aufmerksam zu. Ihm schien, als wären in der knochigen Gestalt doch auch Ähnlichkeiten mit seiner Geliebten zu erkennen. Die Frage ging ihm durch den Kopf, ob er unter den veränderten Lebensbedingungen seine Haltung zum Schreiben vielleicht überdenken sollte, ob er es auch irgendwie als etwas ihm Gemäßes, als seine Arbeit begreifen konnte, wie er es vor Jahren in anderer Weise ja schon einmal versucht hatte.
Als Charlotte gefahren war, kam ihm die Idee zu einer Geschichte. In einer lockeren linken WG der siebziger Jahre leben zwei Männer, von denen der eine anfängt, sich in Romane aus dem neunzehnten Jahrhundert zu vergraben, und innerlich mehr und mehr aus seiner Zeit herausfällt. Als der andere einmal eine abschätzige Bemerkung über eine Frau macht, die der eine heimlich liebt, wird er von diesem zum Duell gefordert. Die Situation ist absurd, es scheint ein Spiel zu sein, was sie treiben, dann besorgt der eine irgendwoher alte Duellpistolen. Sekundanten finden sich, auch sie glauben noch an ein Spiel. Als die beiden sich an einem frühen Sonntagmorgen auf einer herbstlichen Nebelwiese gegenüberstehen, ist aus dem Spiel Ernst geworden, ohne dass einer wüsste, wie das zugegangen ist. Die Absurdität nimmt ihren Lauf. Sie würde noch gesteigert, dachte sich Bo, wenn der eine, der zuletzt vom anderen erschossen wird, der Ich-Erzähler wäre. Eine Weile spielte er die Geschichte in mehreren Versionen im Kopf durch, verfeinerte die Details, formulierte sogar manche Passagen, so dass sie sich ihm wörtlich einprägten. Es tat irgendwie gut. Er schrieb die Geschichte nicht auf. Wozu? Hölderlins Frage war ihm wieder präsent: »wozu Dichter in dürftiger Zeit?« Darüber lohnte es sich nachzudenken. Er ließ die Geschichte sein, der Antrieb verlor sich.
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