Das Fest der Männer und der Frauen. Hans-Ulrich Möhring

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Das Fest der Männer und der Frauen - Hans-Ulrich Möhring

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wie sie es wollte, und es war gut, dass sie wollte, dass ihre Gefühle, so heftig sie umschlugen, in jedem Moment eindeutig waren, dass sie nicht, davon abgeschnitten, angewiesen war auf den technischen Verstand eines Mannes. Mehr als technischen Verstand hatte ein Mann in der Situation nicht zu bieten – und seinen Körper, immerhin, seinen Körper: als Kissen, als Halt, als Widerstand, als Sandsack für ihre trommelnden Fäuste.

      Rein unter Frauen, wäre da die Geburt anders gelaufen? Und wenn, wie? Über die Maßen wunderbar, an dieser Erfahrung teilhaben zu dürfen, und doch auch, ja, ungeheuer, als Mann in das weibliche Mysterium schlechthin einbezogen zu werden. Zuvor hatte Sofie ihm von Ritualen erzählt, die Männer in anderen Kulturen und zu anderen Zeiten um die Geburt ihrer Kinder vollzogen, manche spielten sogar im Männerkreis selbst die Geburt nach. Was immer man davon halten mochte, er hätte keine Rituale gewusst, um seinen Sohn vor bösen Geistern zu schützen, und sich welche anzulesen oder auszudenken hätte er idiotisch gefunden. Er hatte Jakob als Sohn angenommen, ohne ihn extra vom Boden aufheben zu müssen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ein männliches Wochenbett ihm den Übergang in die Vaterschaft erleichtern würde. Aber es hörte nicht auf, ihn zu beschäftigen, dass die Teilnahme der Väter an der Geburt in gerade mal anderthalb Jahrzehnten fast selbstverständlich geworden war, nachdem Jahrtausende vorher ihr Ausschluss davon das Selbstverständliche gewesen war. Selbstverständlichkeiten traute er nicht. Die Hebamme schien sein Gegrübel zu riechen, denn sie rief ihn, damit er Jakob nahm, während Sofie die Nachgeburt herauspresste. Sie fand es gut, dass Sofie und er beschlossen hatten, die Plazenta nicht wegzuwerfen, sondern im Garten zu vergraben und im Frühjahr ein Aprikosenbäumchen darüber zu pflanzen. Mit Aprikosen habe er keine Erfahrung, bemerkte er mit verlegenem Schulterzucken zu ihr, seinen dunkel blickenden Sohn in den Händen, als könnte dieser bei der kleinsten falschen Bewegung zerbrechen, genauso wenig wie mit Kindern, da sei das eine Unbekannte gewissermaßen ein Zeichen des andern. Sie murmelte etwas Unverständliches.

      Abschließend sollte er ihr noch bei etwas zur Hand gehen, das sie »die U1« nannte. Sinje Kruse war eine breite, starkknochige Frau wohl an die siebzig mit sprechenden Händen, die so sanft wie zupackend sein konnten. Habe ihr gut gefallen, brummte sie, wie ruhig und aufmerksam er die ganze Zeit geblieben war, voll bei der Sache, ohne stille Panik. Sie habe da schon ganz andere Männer erlebt, meinte sie, während sie dem Kleinen den Finger in den Mund steckte und dieser sofort zu saugen begann. Sinjes altes Gesicht strahlte. Dass manche umkippten oder die Flucht ergriffen, fand sie verständlich, da konnte niemand was für, aber die Kerle, die ihr gleich Vorschriften machen wollten und Schmerzmittel für ihre Frau verlangten, wenn die für ihren Geschmack zu laut wurde, oder zügigeres Eingreifen, sichtbaren Fortschritt, mehr Technik, die hatte sie echt gefressen. Sie guckte Jakob in die Ohren, tastete seinen Bauch und die winzigen Hoden ab, brummte zufrieden. Die meisten Männer wollten mehr Technik. Weil sie Angst hatten und keine Ahnung! Sie taten sich schwer damit zu begreifen, dass Geburtshilfe in erster Linie eine Kunst war, die Dinge geschehen zu lassen. Das konnten die Frauen von selbst, wenn man sie ließ. Das Lassen, das hatten die alle nicht gelernt. Und die wenigen Momente erkennen, wo man wirklich handeln musste, dann aber schnell und richtig. Jakob quäkte, als Sinje ihm Arme und Beine bewegte und ihn auf allerlei Art drehte und wendete. Die Momente kriegten die Techniker gar nicht mit, die der Meinung waren, sowieso alles besser zu wissen als die Frauen. Hauptsache, sie waren wichtig mit ihren Apparaten. Wie gesagt, Bo hatte das prima gemacht, auch ohne Vorbereitungskurs. Da sah man mal wieder, dass die paar Handgriffe, die wirklich gebraucht wurden, schnell beigebracht waren, zumal jede Frau da andere Bedürfnisse hatte. Das Wesentliche war, dass einer seiner Frau vertraute, das spürte die dann, und das gab ihr Sicherheit. Sie hatte Jakob inzwischen beruhigt und hörte noch Herz und Lungen ab. Ja, sagte Bo, Kurse und Technik waren eh nicht so seine Sache. Das mit den wenigen Momenten verstand er. Aber jetzt musste er sich erst mal hinsetzen, sein verdammtes Knie tat weh.

      Er ist in Gedanken schon beim Umzug nächste Woche. Erst einmal wird er das kleine Kabuff im Obergeschoss beziehen und sich dann irgendwann das Gartenhäuschen ausbauen. Bis dahin wird allerdings Jakob auf der Welt sein, und wenn er – Ruck! Es ist nur ein kleines Stück, das der Stamm vorschnellt, doch genug, um Bo die Säge aus der Hand zu schmettern und ihn von den Beinen zu schleudern. Scheiße, er hat geschlafen und nicht gemerkt, dass das Ding unter Spannung stand! Im nächsten Moment ein solcher Schmerz im linken Knie, dass er fast ohnmächtig wird. Berthold hat es zum Glück gesehen, bei laufender Säge könnte Bo schreien, so viel er wollte, der Arbeitskamerad würde nichts hören. An Stehen und Gehen ist gar nicht zu denken. Als Berthold ihn schließlich mit der Schubkarre zum Auto und auf der Rückbank ins Sankt Elisabeth verfrachtet hat, reicht dem Notarzt ein Blick auf den offenen Bruch und er gibt Anweisung, Bo zur Operation fertig zu machen.

      »Wär schöner, wir hätten uns unter andern Umständen kennen gelernt«, meint Volker am Abend des nächsten Tages zu Sofie, als er ihr das Gästezimmer zeigt, das sie bei dem kalten Oktoberwetter doch Bos Zirkuswagen vorzieht. Sie ist völlig erschlagen, nachdem sie wie eine Wilde durch die ganze Republik gedüst ist und an Bos Bett gesessen hat, bis sie fast bei ihm eingeschlafen ist. Concha entschuldigt sich für das Chaos im Haus, sie hätten sich in dem Monat, seit sie aus Peru zurück sind, noch immer nicht richtig eingefunden; zwei Jahre seien schon eine lange Zeit. In seinen Desperadozeiten am Anfang sei Bo nie etwas zugestoßen, bemerkt Volker noch bei dem kleinen Schlaftrunk, auf dem er besteht, bevor er die todmüde Schwangere ins Bett entlässt, aber jetzt, wo der Junge längst den Motorsägenschein nachgemacht und zehn Jahre Erfahrung hat und die vorgeschriebene Schutzkleidung trägt und überhaupt, jetzt pennt er einmal eine Sekunde weg und zack. Aber Sturmholz aufarbeiten ist einfach ein Himmelfahrtskommando. Wenn ein Baum unter Spannung steht, weiß kein Mensch vorher, wie er sich verhalten wird, und in solchen Windwurfnestern kann ein Schnitt eine Kettenreaktion auslösen, die auch mit größter Erfahrung nicht vorauszusehen ist. O Mann, er könnte ihr Geschichten von Waldunfällen erzählen, von Verletzungen mit der Motorsäge, da würde sie das kalte Grausen kriegen. Bos zertrümmerte Kniescheibe ist ja wirklich nicht schön, aber wenn sie Glück hat, kann sie ihren Liebsten in zwei Wochen einpacken, und dann ist die Heilung nur eine Frage der Zeit.

      Drei Wochen später erfordern Komplikationen eine Nachoperation, so dass der Umzug erst Anfang Dezember stattfinden kann. Volker hat da ohnehin im Norden zu tun, und Bos spärliche Habe passt bequem in den Volvo, Möbel braucht er keine. »Tja, nicht ganz so gegangen, wie wir im Frühjahr dachten«, bemerkt er, als er am Abend des langen Tages erschöpft auf dem Sofa liegt, Sofies Bauch streichelt und sie sich von dem weichen, dunklen Kokon einhüllen lassen, den das Cello auf der Geburtstags-CD hinter ihnen webt. Sie nickt. »Nicht ganz.« Wie sie ihn da liegen sieht, fragt sie sich, und nicht zum ersten Mal, ob sie diesen Mann schlicht überfahren hat. Ob sie mit ihrem Glück das Schicksal herausgefordert hat. Bis zu dem Unfall ging ja wirklich alles unheimlich glatt, wenigstens für sie. Sie hat den Mann bekommen, den sie haben wollte. Er war bereit, zu ihr zu ziehen. Falls es für ihn da etwas zu entscheiden gebe, sei es mit ihrem Wunsch entschieden. Sie hat sich ein Kind von ihm gewünscht, und wenn alles gut geht, wird sie es in einem Monat bekommen. Ob sie es darauf angelegt habe, hat er sie bei ihrem Besuch im Sommer lächelnd gefragt, und sie musste immerhin zugeben, dass sie auch über die heißeste Liebe nie ihre fruchtbaren Tage vergessen würde. »Hast du nicht jeden Schutz vor mir abgelehnt?« Ja, das gab er ihr zu. Ob er gar nicht daran gedacht habe? Kurzes Zögern. Doch, habe er. Und? Er war bereit, es drauf ankommen zu lassen, aber er hätte es nicht betrieben. Ach ja? Natürlich freue er sich, mehr als er sagen könne, aber was hatte sie so früh so sicher gemacht, ein Kind von ihm haben zu wollen? War ihre Entscheidung vielleicht schon vor dem Wiedersehen in Heidelberg gefallen? Das gab sie ihm nicht zu. Aber, musste sie einräumen, mit ihm zusammenzugehen habe für sie von vornherein geheißen, ein Kind von ihm zu haben. Mit ihm. Ja, sie habe aufs Ganze gehen wollen, ihr Leben wagen, ihres und das ihres Kindes. Einen Punkt setzen, wo es kein Zurück mehr gab. Für sie. Er sei in seiner Entscheidung frei gewesen. Sie hätte das Kind niemals als Druckmittel benutzt.

      Was es heißt, sein Leben zu wagen, weiß er, weiß sie. Er tut es gerade. Aber sein Wagemut ist passiver als ihrer. Weniger entscheidungsfreudig als duldsam. Schicksal ist für ihn etwas, das man annimmt. »Illusionäre Entscheidungswut«, wie er es nennt, ist ihm ein Greuel. In Wahrheit,

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