Das Fest der Männer und der Frauen. Hans-Ulrich Möhring
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»Besser hättest du es gar nicht timen können«, wiederholt Sofie, was sie letztens schon am Telefon gesagt hat. »Es ist so viel passiert in diesen vier Jahren, so viel ist wirklich gut gelaufen bei mir, und trotzdem – das ist mir im Winter klargeworden – stehe ich im Grunde am selben Punkt wie damals und habe immer noch keine Antwort auf unsere große Frage, wie wir heute als Frauen leben können. Welche Kräfte müssen wir wachrufen, welche Formen müssen wir finden, um in dieser kaputten Männerwelt nicht einfach mitzuschwimmen oder unterzugehen?« Luzie nickt nachdrücklich. So ähnlich ist es ihr auch gegangen, als ihr vor einiger Zeit im Frauenbildungshaus diese Broschüre über den Frauenhof im Weserbergland und die Jahreskreisfeste, die sie dort feiern, in die Hand gefallen ist. Die Idee, dass das Spirituelle selbst politisch ist und durchaus kein Eskapismus, keine Flucht vor dem politischen Engagement, gefällt ihr total. Das patriarchale lineare Denken mit seinem ewigen Mehrmehrmehr, größer besser höher schneller weiter, immer weiter auf der geraden Bahn von Leistung und Erfolg, von Fortschritt, Welteroberung und unendlichem Wirtschaftswachstum, das soll nicht nur theoretisch hinterfragt und politisch bekämpft werden, weil es mit brachialer phallischer Gewalt die zyklische Ordnung des Lebens zerstört und in letzter Konsequenz die Grundlage des Lebens überhaupt, die Erde selbst, nein, den Frauen geht es mit ihren Festen ganz praktisch darum, sich als kraftvolle Mondfrauen zu realisieren, die durch ihren Monatszyklus von selbst mit dem Kosmos und seinen Gesetzen verbunden sind. Es ist ein ebenso politischer wie spiritueller Akt, sich bewusst wieder einzugliedern in den großen Kreis und im Jahreslauf die kosmische Ordnung als inneren rhythmischen Vorgang zu erfahren. Das allumfassende Bild dafür ist die dreifaltige Göttin. Ihren drei Erscheinungsformen als junge, reife und alte Frau entsprechen die Lebensphasen wie auch die Jahreszeiten, so dass die weiße Göttin das Treiben und Blühen des Frühlingserwachens versinnbildlicht, die rote die fruchttragende Fülle des Sommers und die schwarze das Absterben zur Wiedergeburt im Herbst. Zu jedem dieser Übergänge feiern die Frauen ein Fest, in dem sie die Kräfte des jeweiligen Entwicklungsabschnitts in sich entdecken und wecken, und im Winterfest wird die Ruhe begangen, die Sammlung der Kräfte, und im Erzählen der überlieferten alten Geschichten und der neuen persönlichen Erfahrungen die Weisheit des Ganzen noch einmal tiefer verinnerlicht. So erobern sie altes verlorengegangenes Hexenwissen zurück.
Das alles, sagt Luzie, hat ihr total eingeleuchtet, und es leuchtet den beiden noch mehr ein und gewinnt für sie sinnliche Kraft, als sie in der idyllisch gelegenen alten Mühle im Lennetal eintreffen und mit den anderen Frauen durch den erwachenden Frühlingswald ziehen, auf der Lichtung inmitten von Buschwindröschen den ersten magischen Kreis bilden, die Höhle am Berg durch ihr Summen in ein mächtiges vibrierendes Energiefeld verwandeln, sich am Abend gegenseitig am ganzen Körper anmalen, ein selbstgewähltes Tier werden, alte Hexenlieder lernen, trommeln, tanzen, singen. Sie rühren an Verschlossenes. Trauern um Verlorenes. Spüren Verbindungen nach. Finden als Frauen unter Frauen zu einer beglückenden angstfreien Gemeinschaft. Am Morgen vollziehen sie einen Geburtsritus, tauchen in das noch eiskalte Flüsschen ein und sind hinterher alle wirklich wie neugeboren. Sofie fühlt sich in einer Weise aufgehoben und angenommen, wie sie es seit Kindertagen nicht mehr erlebt hat. In den Gesprächen lässt sie ihren Gefühlen freien Lauf. Ihre Gefühle kreisen um ihre Kinder. Ein erstes Problem entsteht. Von den vierzehn Frauen an diesem Wochenende sind nur zwei über dreißig, darunter Barbara, die Leiterin, und nur eine außer ihr hat Kinder. Sie stecken in anderen Aufbruchsbewegungen als Sofie, und für diese wiederholt sich, was sie als junge Mutter, dreiundzwanzig bei Ronjas Geburt, fünfundzwanzig bei Lenis, mit Freundinnen erlebt hat: eine Distanz tritt ein. Die Göttin mag gern in einem kosmischen Sinn als Mutter des Lebens gelten und die Gebärfähigkeit grundsätzlich ein Quell weiblicher Stärke sein, der den gebärneidischen Männern trotz aller vergeistigten Ersatzformen immer verschlossen bleiben wird, aber leibhaftige Kinder kommen im Horizont dieser jungen Frauen primär als Fesseln vor, mit denen das Patriarchat ihnen die traditionelle Mutterrolle aufzwingen und die sexuelle Selbstbestimmung nehmen will. Beim jetzigen Stand des Kampfes gehe es darum, die ganzen männlichen Bilder von Weiblichkeit abzuschütteln, von Erfüllung der Frau in Familie und Mutterschaft und so weiter, und Frauen, die sich einen solchen Biologismus in der einen oder anderen Form zu eigen machen – ein paar Namen fallen – unterwerfen sich dem Diktat der Männer und grenzen sich damit selbst aus der Frauenbewegung aus. Hexenwissen heute, sagt Barbara, bedeutet Resakralisierung des weiblichen Körpers, der weiblichen Sexualität, des ganzen Lebens. Die Frauen lernen ihren Körper wieder heiligen und gewinnen die Kontrolle darüber zurück, sie leben ihre Sexualität frei von Angst und Scham und lassen sich diese Freiheit nicht mehr von den Männern beschneiden, die vor der weiblichen Sexualität Angst haben und sie seit Jahrtausenden unterdrücken. Sofie stellt sich ein Hexenwissen vom weiblichen Körper und der weiblichen Seele nicht zuletzt als Hebammenwissen vor, Mutterwissen, als Wissen um die intimste menschliche Ich-Du-Beziehung, die sie kennt. Auch das Schwangersein, wirft sie ein, das Stillen und die vielen anderen Formen der kindlichen Nähe sind Körpererfahrungen von höchster Sinnlichkeit, Weiblichkeit. Niemand mag so recht darauf eingehen. Die grundsätzlichen Töne werden schärfer, die Abgrenzungen gegen eine reaktionäre Muttermystik – die so natürlich niemand Sofie unterstellen will. Diese verstummt nach und nach. Zur befreienden Wirkung der Liebe zwischen Frauen hat sie nichts zu sagen. Die Rede von der Göttin kommt ihr zunehmend aufgesetzt vor. Die beschworenen matriarchalen Traditionen sind für ihr Empfinden Wunschbilder, leidenschaftlich erträumt, aber nicht in der Seele wurzelnd, gut zu erkennen am leisen Gefühl der Peinlichkeit, das bei den Anrufungen der großen Göttin und rituellen Verrichtungen ihr zu Ehren nie ganz weggehen will, auch wenn es an einem Wochenende unter Gleichgesinnten von der gemeinsamen Inbrunst immer wieder zum Schweigen gebracht wird. Peinlichkeit irgendwann auch im Singen. Für den Genuss, mit anderen aus vollem Herzen zu singen, diese ganz besondere Verbindung der Stimmen herzustellen, nimmt sie einiges an bescheidenen Texten und schlichten Melodien in Kauf, aber irgendwann geht ihr das rechtschaffene Protestgesäusel über Männergewalt und Mutter Erde doch ein wenig auf den Geist. Im Singen erweist sich, was echt und was ausgedacht ist. Man hört es den Stimmen an, ob sie geerdet sind oder in anempfundene Bewusstseinshöhen abheben –
»Bewusstseinsstimmen!«, hatte Bo ausgerufen, als sie ihm, aus Rendsburg heimgekehrt, bei Kaffee und Kuchen die Geschichte ihres Frauenkreises erzählte. »Verrückt. Damit hat schon meine Oma gehadert.« Er schüttelte den Kopf. »Sie konnte es auf den Tod nicht leiden, wenn ihre Schüler – sie war Musiklehrerin, weißt du – zu hoch oben in der Brust gesungen haben und die Stimme von tieferen Schichten abgeschnitten war. Bewusstseinsstimmen hat sie die genannt.«
»Tell me more, tell me more«, zwitscherte Sofie, und Bo erzählte, was ihm von den Gesprächen mit Oma Käthe in Kahla über die musikalische Bildung in der Freien Schulgemeinde, wo sie und Opa Harry in den zwanziger Jahren unterrichtet hatten, in Erinnerung geblieben war. M-hm. Sofie nickte nachdrücklich. Dass Musik eine gemeinschaftsbildende Wirkung hatte, davon war sie auch überzeugt. Klar konnte man immer auf der Wolke der hohen Gefühle entschweben und sich in seiner Begeisterung über die Niederungen des grauen Alltags erhaben fühlen, eine Zeit lang, aber für sie war es wichtig – und für Bos Oma anscheinend auch – dass die Gefühle erprobt und geformt und, wie gesagt, geerdet wurden, dass sie sich im Alltag bewährten. »Von tieferen Schichten abgeschnitten«, das hatte wenigstens zum Teil auch auf die Frauen an dem Wochenende damals zugetroffen. Irgendwie abgeschnitten von sich selbst, auch vom eigenen Körper, obwohl sie den ständig im Munde führten – aber das war vielleicht unvermeidlich bei dem weiten Weg, den die Frauen heute zu sich selbst zurücklegen mussten, nachdem sie so lange nur in der Beziehung auf Mann und Kind etwas gegolten hatten. Sie mussten erst einmal lernen, sich auf einer ganz elementaren Ebene als eigenständige Wesen ernst zu nehmen, und das konnte dann leicht dazu führen, dass man sich gegen äußere Bedrohungen abschottete, reale oder vermeinte, und nur noch mit sich selbst beschäftigt war. Die tiefe Fremdheit gegen sich selbst, mit der alle Frauen, die sie kannte, zu kämpfen hatten, war nicht automatisch damit überwunden, dass einer ihr eigener Bauch gehörte und sie ihre sexuellen Phantasien ohne äußeren und inneren Fortpflanzungszwang auslebte, sei es mit Frauen, die besser als Männer verstanden, was eine Frau fühlte