Das Fest der Männer und der Frauen. Hans-Ulrich Möhring

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Das Fest der Männer und der Frauen - Hans-Ulrich Möhring

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drei, ihrer drei Liebsten auf der Welt, miteinander verflochten waren, wie verschlungen die Lebenslinien von Anfang an. Sie beobachtete, wie Ronja unter den vorsichtigen Fragen des fremden Mannes langsam auftaute, und musste daran denken, wie dieses Kind gezeugt worden war. Gerufen. Es war zum einen das leibhaftige Zeugnis der Versöhnung zwischen Gregor und ihr … und zum andern … Zum andern hatte sie die Versöhnung damals so wild und entfesselt begangen, wie sie mit ihm vorher noch nie und nachher nie wieder gewesen war. Gregor hatte sich einen Ruck gegeben und sie nach Bayreuth eingeladen, um ihr mit Tristan und Isolde als abschreckendem Beispiel die Alternative zwischen zerstörerischer und aufbauender Liebe vor Augen zu führen, der Liebe des nachtdunklen Rauschs und des taghellen, verantwortlichen Erwachsenenlebens, und sie hatte sich mit Wille und Bewusstsein noch einmal neu für ihn entschieden und sich ihm dankbar geöffnet, so weit sie nur konnte. Die Nacht mit ihm war für sie der rasende Kampf gegen jene andere Nacht gewesen, deren Erinnerung sie schier zerriss, die eine Nacht mit Bo in Frankfurt, und zuletzt meinte sie, das Gespenst der Vergangenheit gebannt zu haben. Ja, es war möglich, sagte sie sich entschlossen, die Leidenschaft, mit der sie brannte und die von der Oper noch einmal geschürt worden war, ganz auf Gregor zu übertragen, auch wenn er so wenig deren Auslöser war wie in Isoldes Fall König Marke. Neun Monate später kam Ronja zur Welt, ihre Erste, ihre Wilde.

      »Es ist nicht so, dass ich die Jahre über viel an dich gedacht hätte, aber wenn ich jetzt zurückblicke, warst du irgendwie immer da«, versuchte sie Bo begreiflich zu machen, als sie ihn noch am selben Abend mit dem Auto nach Hamburg fuhr, wo er den Nachtzug nach Ulm nehmen wollte, um am Morgen gleich in den Wagen springen und zusammen mit Berthold in den Saulgauer Wäldern die Aufräumarbeiten im Sturmholz fortsetzen zu können. Er klang skeptisch. Sie fing an, von Ronja zu erzählen. Natürlich war Bo nicht der Vater, das wusste sie selbst am besten. Und wie sehr dieses Kind sie in der Schwangerschaft und in der ersten Zeit nach der Geburt mit Gregor verbunden hatte, das hatte sie ihm ja erzählt. Als sie die Abschlussprüfung an der Schauspielschule ablegte, hochschwanger mit Ronja, war Gregor hinterher vor Rührung und Begeisterung vor ihr niedergekniet. Nein, Bo war nicht der Vater, aber sie war die Mutter, mit ihrer ganzen, ungeteilten Seele … oder mit ihrer geteilten Seele, wie man es sehen wollte. Die Geburt war grausam gewesen, ein elend langer qualvoller Kampf, bis das Kind schließlich den Widerstand aufgab und sich buchstäblich aus der Verschanzung in ihr herausreißen ließ. Da hatte Gregor sich im Recht gefühlt, dass er auf der Klinikgeburt bestanden hatte, und in der ersten Zeit umsorgte er sie hingebungsvoll und war wahnsinnig stolz auf seine Tochter. Trotzdem, das wusste sie vorher, war er kein Familienmensch. Seine Schnitzler-Inszenierung für das Thalia Theater beanspruchte bald wieder seine ganze Aufmerksamkeit, und nach einigen Monaten brachte er das Engagement, das er ihr dort gern verschafft hätte, immer häufiger aufs Tapet.

      Sofie trommelte am Lenkrad, während sie in den Sonntagabendverkehr auf der A7 einscherte. »Er wollte mich unbedingt als Schauspielerin sehen, ständig hat er von meiner kommenden großen Karriere geredet. Ich war das Kind, das er hüten und pflegen und erziehen wollte, nicht Ronja. Und ich war mal wieder hin und her gerissen.« Einerseits war die Geburt in jedem Sinne das Gewaltigste, was ihr im Leben widerfahren war. Sie fühlte sich so voll in ihrer Kraft wie nie zuvor und wollte nicht einsehen, wieso die Mutterschaft, deren Erfahrung ihr endlich alle Lebensverhältnisse so zurechtzurücken schien, wie sie gehörten, auf einmal primär ein Karrierehindernis sein sollte, das man durch geschickte Alltagsorganisation mit Tagesmutter und Haushaltshilfe aus dem Weg räumte. Um welcher größeren Erfüllung willen? Andererseits verband eine warme, weite Dankbarkeit sie mit dem Mann, der sie zur Mutter gemacht hatte, und es beglückte sie, wie sehr Gregor an sie glaubte. Den Ausschlag gab schließlich …

      Sie stockte und warf einen Blick auf Bo, der die Rücklehne schräg gestellt hatte und ihr halb liegend lauschte. »Kannst du dich noch erinnern, wie ich dir damals in Frankfurt von meiner Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule erzählt habe?«, fragte sie.

      Hm, dunkel. Bo überlegte. Irgendwas von Kleist hatte sie vorgesprochen, nicht wahr? Aber was … nein, das wusste er nicht mehr.

      »Im blutgen Feld der Schlacht muss ich ihn suchen, den Jüngling, den mein Herz sich auserkor!«, rief Sofie pathetisch in die Runde.

      »Mmm, m-hmmm, m-hmmm«, machte Luzie langgezogen, und die anderen Frauen griffen das Summen auf, spannen es mit rhythmischen Variationen aus, spielten mit der Melodie, differenzierten die Stimmen, bis die Vorsängerin nach einer Weile den wortlosen Gesang mit einem entschiedenen »M-hm-hmmm!« wieder beendete.

      »M-hm!«, bestätigte Sofie. »Na, von ›auserkor‹ konnte in der Situation, wo ich gerade aus der Band ausgestiegen war und mich von Fred getrennt hatte, natürlich gar keine Rede sein.« Aber wovon konnte die Rede sein? Wenn sie sich, so schwer es fiel, in die Gemütslage von damals zurückversetzte, dann war sie in Wirklichkeit vor ihm geflohen und hatte sich, schien ihr später, als sie sich hinzudenken traute, von dem Gang nach Hamburg auch versprochen, diesen Jüngling von sich fernzuhalten, innerlich wie äußerlich, dessen Liebe ihr in einem Moment klargeworden war, wie er falscher nicht hätte sein können. Sie wollte diese neue Fessel nicht, sie wollte sich endlich frei bewegen. Ja, gut, das Singen mit ihm hatte etwas in ihr getroffen, und als Freds Frau hatte sie sich sicher gefühlt und sich voll darauf einlassen können, doch als Fred fort war und als Nächster gleich Bo vor ihr stand mit seinem ganzen nackten Verlangen, bekam sie den Horror. Zu viel. Es war alles zu viel. Sie wollte gar nicht wissen, wie tief er nun wirklich in ihrem Herzen saß, sie wollte ihn dort herausreißen, blutig, wenn es sein musste, schon den ersten zarten Keim der Versuchung und überhaupt die ganze verfluchte Illusion der romantischen Liebe, die sie mehr denn je verachtete; herausreißen und zertreten.

      »Frei, wie der Wind auf offnem Blachfeld, sind die Fraun, die solche Heldentat vollbracht, und dem Geschlecht der Männer nicht mehr dienstbar.« Die Worte von einst sprangen sie an, und Sofie sprang ihrerseits auf und warf sie den anderen mit dramatischer Gebärde hin, als stände sie auf der Bühne. Sie strich sich die Haare zurück, sang: »Frei wie der Wind sind die Frauen!«

      »Frei wie der Wind sind die Frauen!«, antworteten alle, und prompt entwickelte sich der nächste Kreisgesang, länger und temperamentvoller als der erste, mit Solostimmen und tänzerischen Einlagen, mit gehecheltem »Blachfeld! Blachfeld!« im Hintergrund und lautem, fast geschrienem »Nicht mehr dienstbar!«, bis Sofie ihn schließlich mit einem gehaltenen »… wie der Winnnnd« ausklingen ließ. Die Frauen strahlten vor Freude und Energie, als sie sich hinsetzten und die Blicke wieder erwartungsvoll auf die Erzählerin richteten.

      »Ich war also ziemlich planlos auf der Suche nach dem dritten, dem zentralen Text, den ich für das Vorsprechen in Hamburg nehmen konnte, und als ich in Kleist geblättert habe und auf das Stück gestoßen bin, war die Entscheidung schnell gefallen.« Sie verstand nicht so recht und es war ihr letztlich auch nicht so wichtig, worauf dieser Dramatiker mit seinen gewaltsamen, zwanghaft hochtrabenden und dann wieder grotesk kalauernden Blankversen hinauswollte, für sie war die Grauensgeschichte von der Amazonenkönigin Penthesilea und dem Griechenkönig Achilles, die sich töten müssen, um sich lieben zu können, selbst eine Art Schlachtfeld, auf dem sie ihren eigenen inneren Kampf austragen konnte. Sie arbeitete akribisch an ihrer Stimme, um ihr den Klang äußerster Verlorenheit zu geben, mit dem sie diesen ganzen Sprache gewordenen Wahnsinn als Mensch, als Frau vortragen konnte. Sie haschte nach einem festen Schicksalsfaden, wollte glauben und glaubhaft machen, dass diese wider Willen Liebende unter dem Ansturm der »wie losgelassne Hunde« tobenden Begierden allem Anschein zum Trotz doch nicht selbst zur Hündin werden musste.

      Gregor hatte über die Jahre nie aufgehört, von dieser Prüfung zu schwärmen: wie sie die völlige Entgrenzung der Amazonenkönigin nicht mit der üblichen blindwütigen Raserei gespielt habe, sondern mit einer Traumentrücktheit, unheimlich ruhig und doch zum Zerreißen gespannt, die alle gängigen Klischees von Geschlechterkampf und Wahrheit des Unbewussten weit hinter sich ließ. Gerade durch ihre bebende, verschwebende Stimme und die Sparsamkeit der Gestik habe sie Penthesileas vermeinte Individualität als Konglomerat reiner Affektreflexe enthüllt, beherrscht von Irrsinn und Gewalt als

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