Das Fest der Männer und der Frauen. Hans-Ulrich Möhring

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Das Fest der Männer und der Frauen - Hans-Ulrich Möhring

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auch wenn ihr Freund bei ihr schlief. Sie konnten es selbst entscheiden. Dann hatten Mama und Bo lange darüber geredet, ob er dabei sein wollte. Er wollte gern, wenn sie es wollte. Es war richtig süß zu sehen, wie sehr er sich auf das Kind freute, er guckte gar nicht so ernst wie sonst und war ganz nervös, stieß zweimal sein Glas um, kippte die Nudeln ins Waschbecken, der Brotkorb rutschte ihm vom Tablett, und er lachte die ganze Zeit. Er war total nett. Unten wurde es wieder laut, und diesmal erhob nicht nur Mama die Stimme, sondern Bo auch, nicht so wild wie sie, aber in einem festen Rhythmus, und nach einer Weile ging sie darauf ein, und beide schrien und stöhnten im selben Rhythmus. Das klang witzig und unheimlich zugleich. Die Augen fielen ihr zu. Als sie und Leni geboren wurden, hatte ihr Papa beide Male nicht mit dabei sein wollen; das hatte sie mitgehört, als Mama es Bo erzählte. Und Papa hatte von ihr verlangt, dass sie zur Geburt in ein Krankenhaus ging, obwohl sie lieber zuhause entbunden hätte. Diesmal konnte sie ihr Kind so zur Welt bringen, wie sie es wollte, Bo war einverstanden. Leni und sie freuten sich genauso wie er auf das Geschwisterchen, und Mama war sicher, dass es ein Junge wurde, obwohl sie es nicht auf dem Ultraschall hatte sehen wollen. Jakob sollte er heißen. Vielleicht war er ja schon da, wenn sie aufwachte, ihr kleiner Bruder …

      Sie schlief nur flach, als sie den neuen Schrei hörte. Ganz klein und quäkig, und trotzdem war sie sofort hellwach. »6: 09«. Ronja sprang aus dem Bett.

      Der ganze Raum pulste von Glück. Er fühlte das Herz seines Sohnes – seines Sohnes! – und mit der anderen Hand das Herz seiner Frau, und ihm war, als wollten sich trotz der verschiedenen Rhythmen die Schläge synchronisieren. Ein Herz. Sein Herz gab den Grundbass. In die heilige Stille hinein knarrte die Tür, und er sah die Mädchen auf der Schwelle zögern, die Augen weit aufgerissen. Er ging sie holen, schloss sie in die Arme. Sie schmiegten sich an ihn wie selbstverständlich. Bald streichelten sie behutsam das kleine rote Bündel Leben auf der Brust der Mutter, und sie flüsterten scheu mit ihr, so fremd, so vertraut. Er ließ seine Hände auf ihnen ruhen, auf allen vieren, die ihm jetzt anbefohlen waren, mal auf dieser, mal auf jenem, wie sie sich regten, und er war wie ein Dach, unter das sie sich bargen, ihre feste, schützende Burg. Er ließ das Gefühl in sich wachsen. Als die Mädchen unruhig wurden, reichte die Hebamme ihm die Schere, mit der er feierlich die Nabelschnur durchschnitt, dann half sie Sofie, den Kleinen anzulegen, und beim dritten Versuch klappte es und er trank. Bald waren Mutter und Sohn glücklich eingenickt, und er ging mit den Mädchen in die Küche, Frühstück für alle machen.

      Erholsam, zur Abwechslung mit profanem Geschirr und Lebensmitteln zu hantieren, Abstand zu gewinnen von dem überwältigenden Geschehen im Nebenzimmer, sich zurückzuziehen auf das äußere Umfeld. Das war die ganze Zeit schon seine Zuständigkeit, das Umfeld, die Rahmenbedingungen: Zimmer herrichten, Folie auslegen, Geburtsbecken aufpumpen und füllen, Wickeltisch aufbauen, für Wärmflaschen, Heizstrahler, massenhaft Tücher, kaffeegetränkte Kompressen sorgen und vieles mehr. Essen und Trinken bereitstellen. Eine stärkende Suppe kochen. Sie konnte es brauchen, und ihm gab es Sicherheit. Schon im Herbst hatte Ingo ihn auf seine dienende Rolle eingestimmt, als er mit dem kaputten Knie in Ravensburg im Krankenhaus lag und den aus Köln angereisten Bruder nach seinen Erfahrungen befragte. An einen Geburtsvorbereitungskurs war ja nicht zu denken. Ann-Katrin hatte ihre Kinder allerdings alle im Kreißsaal bekommen, wo es für Ingo nichts zu organisieren gab, nicht in den heimischen vier Wänden, und beim ersten Mal, als Malte kam, hatte er sich hauptsächlich als Störfaktor gefühlt. Ann-Katrin hatte so grausam gelitten, dass er es kaum aushielt, nicht umgehend etwas zu unternehmen, um sie von diesen Schmerzen zu befreien, am liebsten hätte er das Heft in die Hand genommen, Bewegung in die Sache gebracht, wenigstens irgendwie mit angepackt, irgendwas. Aber Ärzte, Hebammen und Schwestern hatten ihn behandelt wie einen, der dumm im Weg stand, und ihn beiseite geschoben, als sie schneiden mussten. Für Fenjas Geburt hatten sie sich eine freundlichere Privatklinik gesucht, und er war stärker eingebunden gewesen und auch ruhiger als beim ersten Mal. Nützlicher. Mach es!, war Ingos Resümee trotz seiner gemischten Erfahrungen: Es wird euch auf jeden Fall stärker verbinden. Und dich und dein Kind auch. Volker hingegen hatte bei der Geburt seiner Söhne auf Conchas ausdrückliches Verlangen jedes Mal draußen gewartet. Er sollte sie nicht so sehen, nicht auch das noch, nachdem er sie schon monatelang mit dickem Bauch ertragen hatte. Sie wollte nicht das Risiko eingehen, dass ihr Anblick ihn abstieß – gerade »untenerum«, wenn das Kind kam – und sie für ihn danach womöglich nicht mehr begehrenswert war.

      Auf so einen Gedanken musste man erst mal kommen. Bo hatte gar nicht verstanden, wovon die beiden redeten, als er den Peruheimkehrern von seiner bevorstehenden Vaterschaft berichtete und von ihnen neben Glückwünschen ihre Geschichte zu hören bekam, und inzwischen verstand er es noch weniger. Er hatte Sofie in der Schwangerschaft viel zu selten gesehen, aber wenn, war er dahingeschmolzen vor dem Rundwerden des geliebten Körpers, der mit seinen schwellenden Brüsten, dem sich wölbenden Bauch und der schnellen Röte selbst etwas von einer reifenden Frucht gewann, ungeahnte Süße verheißend, so dass er sich bezähmen musste, um sie nicht fortwährend zu betatschen. Eine neue Spannung durchzitterte ihre ganze Erscheinung: mit der Erdenschwere, die ihr so sichtbar zuwuchs, kam zugleich etwas Schwebendes, Leichtes, Ätherisches, als wäre das wahrhaft Irdische nicht von dieser Welt. Ihre Haut war zuletzt glänzend, fast durchsichtig, von innen schimmernd. Schon vorher hatte er die hellen Narben ihrer alten Schwangerschaftsstreifen geliebt, und je deutlicher sie hervortraten, umso mehr erinnerten sie an die Zeichnung eines herrlichen wilden Tieres. »Meine Tigerin«, neckte er sie. Mit jedem Zeichen schrieb sich das Leben selbst in den Körper ein, tätowierte ihn mit einer neuen Erfahrung, schmückte ihn mit einer Schönheit, der die Jugend nur an Glattheit der Oberfläche überlegen war, nicht aber an menschlicher Pracht. Am Tag vor der Geburt nahm ihr Gesicht einen durch und durch weichen und milden Ausdruck an, mütterlich in einem Sinne, wie er ihn so schön nicht für möglich gehalten hätte, ihre Wangen waren rosig und voller als noch kurz zuvor, und ihr Blick glich dem Flirren des Lichts auf dem dämmernden Meer, schon halb entrückt, reines Scheinen des Übergangs.

      Umso krasser dann die Veränderung während der Geburt. Nicht dass ihn etwa abstieß, was »untenerum« geschah, im Gegenteil, im Geiste lag er vor ihr auf den Knien wie ein tantrischer Yoni-Anbeter. Wenn aber hier noch von Schönheit zu sprechen war, dann war es die Schönheit der Kriegerin, die zum Kampf ums Leben antritt, schutz- und waffenlos, mit einem Mut, der dem seiner Sagenhelden der Jugend in nichts nachstand. Er jedoch konnte nicht als streithafter Ajax oder Diomedes an die Seite seiner Achillea treten, auf diesem Schlachtfeld hatte er nicht den Helden zu geben, sondern den Knappen, den Handlanger, den Wagenlenker. Während er Kaffee für die Kompressen kochte, fiel ihm eine Bemerkung ein, die Ingo vor Jahren einmal gemacht hatte: dass sie seinerzeit bei den Pfadfindern gern unter sich geblieben waren, um ihre abenteuerlichen Jungssachen ohne die Mädchen zu machen, die lieber Blümchen pflücken als Kampfspiele abhalten wollten. Klar, wenn die Weiber unbedingt dabei sein mussten, ging es auch, irgendwie. Wo man nun ihn auf das Feld der Geburt bestellt hatte statt erprobter Mitstreiterinnen, ging es wohl irgendwie auch. Jedenfalls war es ein ungeheures Geschenk mitzuerleben, wie seine Geliebte sich dem Schmerz, der sie in den Griff nahm, so ganz und gar überließ, so völlig in ihn hineinging, dass sie förmlich, schien ihm, damit verschmolz und ihn in ihrer Ergebung von innen überwand, denn ganz offenbar blieb in diesem wundersamen Kampf der Schmerz nicht reiner Schmerz, er floss über in ein immer wieder fast orgasmisch anmutendes, leuchtendes Glück, das Bo die Tränen in die Augen trieb. Ihr Weinen war Lachen war beides war alles. Ihr Kampf war leibhaftige Weisheit. Und ihr Sieg war Leben, nicht Tod.

      Wo und wie sie ihn brauchte, er war zur Stelle. Sie hatte das Recht, über ihn zu verfügen. So oft ihre Stimmung auch umschwang, er folgte. Er hatte hier nichts zu behaupten. Aus dem Geburtsbecken stieg sie nach kurzer Zeit wieder aus: Nein, falsch gedacht, das Ding war nichts für sie, sie brauchte das Gefühl von Erde unter sich, festen Boden, keinen Schwebezustand, in dem sie sich nicht richtig spürte, bei dem übermächtigen Druck in ihr brauchte sie einen Gegendruck. Er musste sie festhalten: fest! fest!, dann wieder loslassen, schnell, sofort: weeeeg! Sie brüllte ihn an, stieß ihn zurück, krallte sich an ihn und zwang ihn in wechselnde Positionen, von denen ihm manche mit seinem Bein selbst heftige Schmerzen bereiteten. Na, da konnte er die soeben erkannte Weisheit der Schmerzüberwindung gleich am eigenen Leib

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