Touch the Core. Die Tiefe berühren.. Thomas Andresen
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Für mich war der bestimmbarste Wendepunkt in meinem Leben meine Vaterschaft. Bis dahin war ich fast immer der strahlende Sunnyboy. Aber es war kein freies, echtes Strahlen, sondern lediglich meine Maske. Wenn mir jemand traurige oder tragische Nachrichten überbrachte, verzog es meinen Mund unfreiwillig zu einem grimassenartigen Grinsen. Mein künstlich permanentes Strahlen war ein Teil meines Überlebensmusters. Der unstillbare Hunger meines Egos nach Liebe, Zuwendung und Anerkennung und mein auseinanderbröckelndes Elternhaus schufen die Notwendigkeit dieses Musters, um mein Bedürfnis nach Stabilität und Sicherheit bestmöglich zu befriedigen.
Schon mit der Schwangerschaft meiner Frau fing die Stabilität dieser Muster an zu wanken. Plötzlich gab es Tage von Dunkelheit und Traurigkeit, Wut, Überforderung und Verzweiflung. Genau all die Gefühle, die ich jahrelang bestmöglich unterdrückt und weggesperrt hatte, kamen von Zeit zu Zeit hoch. Meine Kinder wissen so gut, wo die Stellen sind, die in mir weh taten und tun! Und sie in ihrem Alltag zu begleiten, lässt manch eigene Erinnerung wieder aufleben. So manche Tiefe habe ich durchwandert und mich damit gleichzeitig noch tiefer im Leben verwurzelt. Die Liebe meiner Eltern und treue Wegbegleiter sind wertvolle Unterstützung. Das Glück, das das Miterleben der Entfaltung meiner Töchter mit sich bringt, und die Bedingungslosigkeit der Liebe meiner Frau mir gegenüber sind die wichtigsten Zugänge zu meiner eigenen Liebe und Dankbarkeit.
Die andere Herausforderung der Elternschaft ist, Kindern einen Rahmen, eine Struktur, eine Sicherheit zu geben, in der sie reifen können. Gleichzeitig sollen sie aber die Freiheit bekommen, sich in ihrem Rhythmus zu entfalten. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass wir nie dahin kommen können, wo sie hingehen. So ist die Eltern-Kind-Beziehung ein Austausch: Die Kinder lernen von uns, sich in einer von Natur aus chaotischen Welt zu orientieren. Wir lernen von ihnen, wie Entfaltung geht. Sehr schön drückt es Khalil Gibran in seinem bekannten Text Von den Kindern aus.
Ein letzter, aber wichtiger Aspekt in der Frage nach dem, wer oder was wir sind, ist die Wahrnehmung. Wie die Wortherkunft verdeutlicht, wird unsere Wahrnehmung nie eine Objektivität erreichen. Die Informationen, die unsere Sinnesorgane dem Thalamus zuleiten, sind nur elektrische Impulse. Der Thalamus ist das größte Kerngebiet des Zwischenhirns und gilt als Tor zum Unterbewusstsein. Von hier aus werden die hereinlaufenden Informationen umgeschaltet und den verschiedenen Arealen des Gehirns zugeleitet. Bereits dadurch findet aber eine erste individuelle Einfärbung statt. Vor dem Hintergrund unserer Lebenserfahrungen wird der ankommende elektrische Reiz eingeordnet und interpretiert. So wird aus einer blauen Fläche mit weißen Flecken erst durch diesen Abgleich die Wahrnehmung eines Himmels mit Wolken. Die Bewertung führt dann beispielsweise dazu, voller Vorfreude in den Tag zu starten, da die Bewölkung Deinem Vorhaben einer Radtour entgegenkommt. Oder Du bist verärgert, weil Du den Tag in der Sonne am Baggersee verbringen wolltest und es dafür nun zu kühl ist.
Unsere Wahrnehmung ist subjektiv. Bevor wir nicht einen gewissen Grad an Bewusstheit erlangt haben, ist es uns nicht möglich, dieser Subjektivität gewahr zu werden.
Bis zu einem gewissen Zeitpunkt leben wir in der Illusion unserer Wahrnehmung und halten einzig und allein unsere Wahrnehmung für die Wirklichkeit. Das zunehmende Ankommen bei Dir selbst ermöglicht Dir, Deinen Standort zu bestimmen. Nur so kannst Du Deinen Bezugsraum mehr und mehr wahrnehmen. All das, was Du im Laufe Deiner frühen Kindheit in Dein Ego-Muster integriert hast, verursacht eine Verzerrung des Bezugsraumes und eine Filterung der Wahrnehmung – wie eine getönte Brille. Je bewusster Du wirst, umso mehr erkennst Du sowohl die kulturellen Übereinkünfte und Wertvorstellungen als auch die biographischen Einflüsse, die diesen Verzerrungen zu Grunde liegen. Und hast Du erst damit angefangen, den Bezugsraum wahrzunehmen, so verändern sich dieser und das damit verbundene Konzept unaufhörlich weiter. Dies kann eine Erweiterung der Perspektive oder eine Erhöhung der Tiefenschärfe beziehungsweise der Auflösung sein. Und denkt man dies weiter, so wird es irgendwann kein Konzept mehr geben. Je höher die Auflösung auf mikroskopischer Ebene wird, und je weiter man ins All blicken kann, umso mehr ähneln sich die Bilder und Muster, die man erhält. Wenn man den Schleier der Illusion hebt, wird klar, dass das Ich nur eine Spiegelung des Wir ist.
Alles ist eins.
Im Lüften der Schleier der Illusion erkennst Du, dass das sogenannte ICH nur eine Spiegelung des WIR ist.
Leben und Tod
Lebendigkeit ist eine der zentralen Qualitäten des Kerns. Lebendigkeit drückt sich aus in Anpassungsfähigkeit und Beweglichkeit, Stabilität und Integrität, Klarheit und Kraft, Charisma und Freude. Je deutlicher diese Aspekte ausgeprägt sind, umso näher bist Du einem Zustand von Gesundheit. Lebendigkeit und Gesundheit sind diesem Verständnis nach ein- und dasselbe.
Es gibt aber auch andere Definitionen für Gesundheit.
• Die Weltgesundheitsorganisation bestimmt Gesundheit als einen Zustand „vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens“ und nicht nur als Fehlen von Krankheit oder Gebrechen. Daraus dürfen wir nicht folgern, dass alle dieser Definition nicht entsprechenden Zustände mit Krankheit gleichzusetzen sind. Denn dann würde allein das Aufschlagen der Zeitung verhindern, gesund zu sein. Vielmehr gibt diese Beschreibung wie ein Kompass eine Orientierung darüber, welcher Weg zum eigenen Kern führt.
• Für Christian Scharfetter ist der Mensch gesund, „dem unter Umständen trotz des Leidensdruckes einer Körperkrankheit […] sein Leben gelingt (Selbstverwirklichung), der den Forderungen seines Wesens (Echtheit/Authentizität) und der Welt entsprechen und ihre Aufgaben bestehen kann […] – einer, der sich im Leben bewährt.“ Hier ist der Begriff Gesundheit weniger auf das Ziel ausgerichtet, sondern eher gleichbedeutend damit, auf dem Weg zum eigenen Kern zu sein. Wo Du ankommst, was Dein Ziel ist, wird nicht gefragt. Eher interessieren die Fragen, wie weit Du es noch hast oder wie weit Du schon gegangen bist.
• Eine weitere Orientierung gibt das von Aaron Antonovsky beschriebene Modell der Salutogenese. In seiner Forschung beschäftigte er sich mit der Frage nach Entwicklung und Erhaltung eines Zustandes von Glück, Gesundheit und Wohlbefinden. Als entscheidend dafür arbeitete er das sogenannte Kohärenzgefühl heraus. Dieses setzt sich aus drei Aspekten zusammen:
– einem Gefühl der Verstehbarkeit,
– einem Gefühl der Handhab- oder Gestaltbarkeit
– und einem Gefühl der Sinnhaftigkeit der Umstände des eigenen Lebens.
Diese Erkenntnis ist sehr stimmig, doch sind alle drei Parameter subjektiver Natur, sie sind von außen kaum zu erkennen. Schließlich sind wir alle großartige Schauspieler, die Masken unserer Persönlichkeit tragen ihr Übriges bei.
Damit Du mit einer gewissen Objektivität eine relative Einschätzung des Standortes auf Deinem Weg hin zu Gesundheit bekommst, kannst Du den Aspekt der Anpassungsfähigkeit und Beweglichkeit betrachten. Auf der Ebene des Körpergewebes ist die Elastizität abhängig vom Verhältnis flüssiger Anteile zu kristallinen Strukturen. Sind in ein Gewebe zu viele strukturbildende oder kristalline Strukturen eingelagert, so lässt seine mechanische Anpassungsfähigkeit nach. Und da es sich um einen belebten Körper handelt, geht mit zunehmender körperlicher Rigidität tendenziell eine Abnahme der geistigen Elastizität einher. Diese spielt jedoch eine wichtige