Touch the Core. Die Tiefe berühren.. Thomas Andresen
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Die Transformation im Tod hat also sehr viel mit Stille zu tun, und Stille macht uns Angst. Wiederum ist unser lineares Denken der Stolperstein. Denn mit einem Lebenskonzept, in dem es darum geht, sich im Verlaufe des Lebens von Startpunkt A geradlinig zu einem Ziel B zu bewegen, ist Stille bedrohlich. Denn wenn entlang dieser Linie keine Bewegung stattfindet, kommt man in diesem Konzept niemals an. Hier ruht anteilig die Ursache für die Angst vor dem Tod. Deswegen fällt es den meisten von uns leichter, Vollgas zu geben und aktiv zu sein, als einfach still zu sein. Denn die Stille ist es, in der die Gespenster im Kopf erwachen und die für Manchen die Nacht bedrohlich sein lässt. Erkennst Du aber, dass Dein Leben in seiner Rhythmizität ein Pendeln zwischen zwei Polen ist, und Dein Weg dieser Pendelbewegung durch Raum und Zeit entspricht, so geht jeder Umkehrpunkt zwangsläufig mit einem Moment der Bewegungslosigkeit und Stille einher. Von diesem aus eröffnet sich Dir beständig Neues.
Leben ist Rhythmus; Tod bedeutet für uns Bewegungslosigkeit und Stille. Doch jedes Pendel zeigt uns: Gerade an den Wendepunkten des Pendels ist es bewegungslos und still – bevor es wieder eine weitere Schwingung ausführt.
Leben und Tod müssen also nicht als Gegensätze begriffen werden, sondern haben nur eine rhythmische oder polare Qualität. Polarität hat nichts zu tun mit dem Gegenteil oder mit Dualität, denn es geht nicht um die Beschreibung von etwas sich voneinander Trennendem oder Gegenüberstehendem. Hegel definierte die Polarität als „von einem Unterschiede, in welchem die Unterschiedenen untrennbar sind“. So wie es ohne Licht keinen Schatten geben kann und keinen Pluspol eines Magneten ohne Minuspol. Polarität begegnet uns überall im Leben, angefangen mit Mann und Frau. Polarität verbindet als Prinzip die Teile auf höherer Ebene – in letzterem Fall wäre das der Mensch.
Das Leben, in der Osteopathie der Breath of Life (Atem des Lebens) genannt, liegt in der Mitte zwischen den Polen von Kosmos und Chaos. Beständig pendelt dieser Atem zwischen den beiden Polen hin und her, immer wieder bereit, umzukehren. Zu schwingen zwischen Innen und Außen, zwischen Expansion und Retraktion, zwischen zentripetal und zentrifugal, zwischen Mikro und Makro, zwischen Aktivität und Passivität, zwischen Wachen und Schlafen, zwischen Geben und Nehmen.
Es geht nicht darum, die Pole als gut und schlecht zu bewerten, als angenehm und unangenehm, schön und hässlich, leicht und schwer, sondern mittels des Prinzips des Sowohl-als-auch die jeweils nächsttiefere verbindende Ebene zu erkennen. Dort kannst Du zu einer Wahrnehmung kommen, die die Unterschiede lediglich als Varianten von ein und demselben Thema erkennbar macht.
Unser wertendes Denken stellt uns eine Falle: Wir wollen Polaritäten immer in „gut“ oder „schlecht“ einteilen. Das kann uns zwar Orientierung geben, andererseits wird alles auf ein Entweder – Oder reduziert. Dies limitiert die Variationsbreite der Handlungsmöglichkeiten.
Zurück zu den Rhythmen: Im Herbst welken die Blätter, die Kraft zieht sich in den Boden zurück – um im nächsten Frühjahr wieder aufs Neue zu erblühen. Weil auch unser Leben in diesen Rhythmen verläuft, wissen wir: Keine Krankheit, kein Schmerz, kein Leid wird ewig währen, noch wird die größte Anstrengung es ermöglichen, in einem kontinuierlichen Flow zu leben. Was es braucht, ist die Erweiterung des Blickwinkels, das Hinauszoomen. Die Entfaltung des Selbst ermöglicht es, mit zunehmendem Abstand auf das eigene Leben zu blicken, die ihm zu Grunde liegende Rhythmizität zu erkennen und mit ihr mitschwingen zu können. Beim Kajakfahren in einem Bergbach brauchst Du an den wildesten Stellen nicht den meisten Körpereinsatz – aber die größte Wachheit, um im richtigen Moment kurz das Paddel zu stechen.
Wenn Dein Blickwinkel sich geweitet hat, erkennst Du im Wiederkehren bestimmter Themen nicht mehr das Alte, sondern begegnest dem Alten nur auf einer nächsthöheren Ebene – wie wenn Du auf einer Wendeltreppe nach oben gehst, die aus blickdurchlässigen Metallgittern besteht. Du begegnest immer wieder vermeintlich überwundenen Hindernissen. Tatsächlich ist es aber nie dieselbe Stelle, sondern nur das von oben noch einmal Zurückblicken. Wenn Du anfängst, die Muster des eigenen Lebens zu erkennen, dann bist Du in einem gewissen Kontakt mit Deinem Kern. Und im Erkennen fangen Deine Muster schon an, sich zu verändern. Eines dieser Muster ist der Bezug zu Zeit.
Mit unserer menschlichen Fähigkeit, Muster zu erkennen und unterschiedliche Muster miteinander zu verknüpfen und in Beziehung setzen zu können, sind die Grundlagen für unser Zeit-Raum-Gefühl gegeben. Aus den inneren und äußeren Rhythmen, die unser Leben beeinflussen und in denen sich unser Leben ausdrückt, haben wir Menschen irgendwann eine Zeitrechnung entwickelt. Doch Zeit ist und bleibt ein Konzept, auch hier spielt die Perspektive die entscheidende Rolle. Wie lange dauert es bis zum Urlaub? Wie schnell ging er, im Rückblick betrachtet, vorbei? Und wie lang kam Dir doch ein einzelner Urlaubstag vor? Der Blickwinkel verengt sich, wenn Du nur auf das Fernziel am Horizont blickst. Zeit scheint dann oft schneller zu vergehen. Erlebst Du hingegen den Moment, so weitet sich der Blickwinkel. Ein weiterer Faktor ist die Frische des Erlebten. Bist Du an einem neuen Ort, oder begegnest Du einem Menschen das erste Mal, so bekommt Dein Gehirn mehr frisches Futter, als wenn Du im Kontrast dazu Deinen Arbeitsalltag in der Montage am Fließband erlebst. Es scheint, dass das Gehirn unser Zeitgefühl in gewisser Weise in Beziehung setzt mit der Menge an zu verarbeitenden Eindrücken oder zu planenden Handlungen.
Unser unbewusstes Bestreben ist es, Strukturen zu bauen, um Muster zu erkennen und diesen bestimmte Handlungsabläufe zuzuordnen. So entstehen im Laufe des Lebens immer größere Konzepte, in die das Erlebte, Gesehene, Gestaltete eingeordnet wird. Es ist gewissermaßen paradox: Auf der einen Seite versuchen wir, die Verbundenheit immer komplexerer Sachverhalte zu erkennen. Doch auf der anderen Seite braucht das Gehirn das Frische, Unbekannte, die neue Information. Und so ist der Versuch des Bewahrens und Festhaltens eines Zustandes von Glück genau das, was uns letztlich am Empfinden von Glück hindern kann. Denn genau die Frische, das Gefühl der Einzigartigkeit eines Momentes ist das, was mit dem Erleben von Leichtigkeit einhergeht.
Eine in der westlichen Welt verbreitete Strategie ist es, dem Mangel an Momenten des Glücks mit einer Erhöhung des Tempos zu begegnen. Wenn wir nur schnell genug sind, dann müsste doch die Wahrscheinlichkeit für das Erleben von Momenten der Inspiration, des Glücks höher sein, so meinen wir. Doch in den meisten Fällen geht dieser Versuch auf Dauer schief. Was es braucht, ist die Verlangsamung. In der Verlangsamung weitet sich etwas: Das Herz wird entspannter und der Blickwinkel größer. Mit Tempo 180 auf der Autobahn musst Du hundertprozentig auf den Straßenverkehr fokussiert sein. Bei Tempo 140 bist Du nicht langsam, aber der eine oder andere Blick in die sich links und rechts ausbreitende Landschaft ist möglich. Letztendlich hat die Geschwindigkeit auch einen gewissen Sucht- und Gewohnheitseffekt. Wir spüren uns etwas mehr in unserer Körperlichkeit, denn jede Korrektur der Richtung, jedes Abbremsen und Beschleunigen bringt uns bei höherem Tempo deutlicher in Bezug zu den Begrenzungen des Sitzes und Gurtes – und damit zu uns zurück. Und wie unendlich langsam kommt es Dir vor, wenn Du dann von der Autobahn runterfährst und wieder auf Tempo 50 abbremsen musst. Wie schnell kommt Dir hingegen Tempo 50 vor, wenn Du eine Tempo-30-Zone verlässt? Und dann überlege Dir, wie schnell Tempo 30 mit dem Fahrrad ist, wie mühsam Du es vielleicht erst recht empfindest, in einer halben Stunde nur einen Kilometer weit geschwommen zu sein. Es ist immer nur eine Frage der Relationen. Anhand dieser Beispiele wird klar, dass Zeit immer einen deutlichen Bezug zum Raum hat. Und umgekehrt hat unser Bezug zu Raum einen deutlichen Einfluss auf unsere Wahrnehmung von Zeit.
Wenn Du langsamer wirst, öffnet sich der Raum, und es gibt mehr Platz für Dich in Deinem Leben. Ohne Dein Ziel aus dem Auge zu verlieren, kannst Du Dich schon an dem Weg dorthin erfreuen. Je mehr Du die Schönheit des Weges erkennst, umso