Der tiefe Graben. Ezra Klein
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Christina Animashaun. Quelle: Analyse der American National Election Studies, Daten von Alan Abramowitz, Emory University.
Die religiöse Spaltung ist ebenfalls extrem. Pew berichtete 2014, dass die größte religiöse Einzelgruppe im republikanischen Bündnis die der evangelikalen Protestanten sei. Und die Demokraten? Deren größte religiöse Einzelgruppe waren die konfessionell nicht Gebundenen, die »Nones«.[20]
Wie sich demographische Gegebenheiten ändern, so ändern sich auch Werte. 2002 waren 50 Prozent der Republikaner und 52 Prozent der Demokraten der Meinung, es sei nicht nötig, an Gott zu glauben, um eine moralisch integre Person zu sein. 2017 war der Anteil der Republikaner, die mit dieser Aussage übereinstimmten, auf 47 Prozent gefallen, und der Anteil der Demokraten, die mit dieser Aussage übereinstimmten, auf 64 hochgeschnellt.[21] Steven Levitsky und Daniel Ziblatt schreiben in Wie Demokratien sterben: »Die beiden Parteien sind jetzt nach Rasse und Religion getrennt – zwei stark polarisierende Themen, die mehr Intoleranz und Feindseligkeit schüren als traditionelle Politikthemen wie Steuern und Regierungsausgaben.«[22] Ich würde diese Aussage geringfügig anpassen: Die Parteien trennt zunehmend ein Streit um fundamentale Identitäten, die Intoleranz und Feindseligkeit schüren, und die Auseinandersetzungen um bestimmte Themen sind nur ein Ausdruck für diese Trennung.
Doch es geht nicht nur um Rasse und Religion. Wir sind auch nach geographischer Herkunft sortiert. In seinem Buch The Great Alignment: Race, Party Transformation, and the Rise of Donald Trump nimmt Alan Abramowitz eine Analyse vor, die ich schockierend fand. Er blickt auf die Präsidentschaftswahlen vieler Jahrzehnte zurück und zeigt, dass für die längste Zeit des 20. Jahrhunderts das Konzept von roten und blauen Staaten nicht viel Sinn ergeben hätte. »So gab es etwa nur einen sehr geringen Zusammenhang zwischen dem Muster der Unterstützung für George McGovern, einem stark liberal geprägten Mann aus South Dakota, 1972, und dem Muster der Unterstützung für Jimmy Carter, einen gemäßigten Mann aus Georgia, vier Jahre später«, schreibt er.[23] Die diesbezüglichen Zahlen sind verblüffend. Von 1972 bis 1984 betrug die durchschnittliche Abweichung im Abstimmungsverhalten eines Bundesstaates bei einer Präsidentschaftswahl im Vergleich zur nächsten 7,7 Prozentpunkte. Zwischen 2000 und 2012 waren es lediglich 1,9 Prozentpunkte. Wir sind politisch fest verortet.
Die Sortierung zieht sich bis weit unterhalb der bundesstaatlichen Ebene durch. In einer Analyse auf der Nachrichtenwebsite FiveThirtyEight betrachtete Dave Wasserman »Erdrutschsieg-Countys« – Landkreise, in denen der Gewinner der Präsidentschaftswahlen mindestens 60 Prozent der Stimmen bekommen hatte. 1992 lebten 39 Prozent der Wähler in Erdrutschsieg-Countys. Diese Zahl war bis 2016 auf 61 Prozent geklettert. Noch extremer wurden die Zahlen, als Wasserman sich Countys ansah, in denen der Gewinner mit einem Vorsprung von mehr als 50 Prozentpunkten gewonnen hatte: Der Anteil der Wähler, die in solchen »extremen Erdrutschsieg-Countys« lebten, hatte sich mehr als verfünffacht – von vier Prozent im Jahr 1992 auf 21 Prozent im Jahr 2016. Innerhalb von weniger als 25 Jahren hatte sich der Anteil der Wähler, die in einem Wahlbezirk lebten, wo beinahe alle Wähler politisch ähnlich dachten wie sie, von 1:20 auf 1:5 erhöht.
Man könnte sich eine Welt vorstellen, in der diese Daten nur wenig über die Orte aussagen würden, an denen Menschen leben – ja, wir waren politisch stärker sortiert, aber diese sortierten Räume waren willkürlich über das ganze Land verteilt. Die Welt, in der wir leben, sieht aber anders aus. Hinter diesen Zahlen verbirgt sich eine wachsende Kluft zwischen Stadt und Land. Es gibt keine einzige bevölkerungsreiche Stadt in den USA, die im Normalfall republikanisch wählt. Es gibt nur wenige ländliche Gebiete, die demokratisch wählen. Den Berechnungen von Marc Muro, Politikchef des Metropolitan Policy Program des Brookings Institute, zufolge liegt die Scheidelinie bei einer Bevölkerungsdichte von etwa 900 Einwohnern pro Quadratmeile (347 Einwohnern pro Quadratkilometer). Gebiete, die darüberliegen, wählen tendenziell demokratisch; Gebiete, die darunterliegen, wenden sich den Republikanern zu.[24] Vor Jahrzehnten, als die Parteien weniger sortiert waren, hatte die Bevölkerungsdichte weniger Einfluss auf die Vorhersagen unserer Parteibindung. Heute, so zeigt der Politikwissenschaftler Jonathan Rodden in seinem Buch Why Cities Lose, ist die Bevölkerungsdichte des Ortes, an dem wir leben, zu einem mächtigen Faktor bei der Vorhersage der Parteibindung geworden.
Die Herausbildung der Kluft zwischen Parteibindung und Bevölkerungsdichte
Christina Animashaun. Quelle: Rodden, Jonathan A.: Why Cities Lose: The Deep Roots of the Urban-Rural Political Divide, New York: Basic Books 2019.
Man könnte es auch »Die Geschichte von den zwei Clintons« nennen. Der Politikanalyst Ron Brownstein schrieb dazu in The Atlantic, hinter Bill Clinton hätte »knapp die Hälfte der 3100 Countys des Landes« gestanden. Und weiter: »Seither jedoch haben sich die Demokraten in die urbanen Zentren zurückgezogen.«[25] Im Jahr 2000 gewann Al Gore die Wahl in weniger als 700 Countys. Obama gewann 2012 das Popular Vote zwar mit sehr viel mehr Vorsprung als Gore, lag jedoch insgesamt in nur etwa 600 Countys vorn. Und Hillary Clinton holte 2016 den Sieg in weniger als 500 Countys – das sind 1000 Countys weniger, als ihr Ehemann 25 Jahre davor gewann.
Was die Kluft zwischen Stadt und Land besonders destabilisierend wirken lässt, sind die wirtschaftlichen Gräben, die sie nachzeichnet. Auf einer Konferenz, die im März 2018 in Indien stattfand, entfesselte Hillary Clinton einen politischen Aufschrei, als sie sagte: »Ich habe diejenigen Wahlbezirke geholt, in denen zwei Drittel des BIP der USA erwirtschaftet werden. Also habe ich dort gewonnen, wo es Optimismus, Diversität und Dynamik gibt, wo Entwicklung stattfindet.«[26] Mal abgesehen von der Frage, ob dieser Kommentar von Hillary Clinton angemessen war oder nicht – die Daten sind belastbar. Sie stammen aus einem Report des Brookings Institute, der zu dem Ergebnis kam, dass »sich in den weniger als 500 Countys, die Hillary Clinton landesweit gewonnen hat, gewaltige 64 Prozent der in den USA stattfindenden wirtschaftlichen Aktivitäten konzentrieren, gemessen an der gesamten in den USA erbrachten Wirtschaftsleistung 2015«.[27] Zum Vergleich: Die Countys, die Gore im Jahr 2000 holte, standen für 54 Prozent des gesamten BIP.
Die Unterschiede, die wir messen können, verdecken die Unterschiede, die wir nicht messen können oder die wir noch gar nicht unter die Lupe genommen haben. In The Big Sort: Why the Clustering of Like-Minded America Is Tearing Us Apart schreibt Bill Bishop sehr wortgewandt über die verwirrend komplexen Faktoren, die bestimmen, wo wir leben:
Jährlich ziehen zwischen vier und fünf Prozent der Bevölkerung von einem County in ein anderes, das waren während der letzten zehn Jahre 100 Millionen Amerikaner. Sie wechseln den Wohnort, um eine neue Stelle anzutreten, näher bei ihren Familien zu sein oder der Sonne zu folgen. Bei ihrer Suche nach einem Ort, der in Frage kommt, haken sie eine Liste von Vorzügen und Merkmalen ab, die der neue Wohnort bieten sollte: Ist die passende Kirche in der Nähe? Die richtigen Cafés? Wie weit entfernt ist das Viertel, in dem wir wohnen werden, vom Stadtzentrum? Wie hoch ist die Miete? Ist der Ort sicher? Wenn Menschen umziehen, treffen sie auch eine Wahl in Bezug darauf, wer ihre neuen Nachbarn sein werden und mit wem sie ihr neues Leben teilen werden.[28]
Alle diese Entscheidungen und Faktoren stehen in Beziehung zu unseren politischen Einstellungen und Identitäten. So ermittelte etwa Wasserman nach den Präsidentschaftswahlen 2018, dass demokratische Abgeordnete des Repräsentantenhauses nun 78 Prozent aller Standorte von Filialen der Biomarktkette Whole Foods vertraten, dagegen nur 27 Prozent aller Standorte der Restaurant- und Souvenirladenkette Cracker Barrels. In der Theorie haben Bioäpfel oder die tägliche Portion Waffeln nichts an sich, woraus sich unsere Politik ableiten ließe, doch unsere Affinitäten und Präferenzen überlagern einander auf höchst komplexe Weise.[29]
Der direkte Einfluss, den Parteibindung bei solchen Entscheidungen spielt, ist leicht zu überschätzen.