Der tiefe Graben. Ezra Klein

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Der tiefe Graben - Ezra Klein

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erzielt worden waren, zurückdrehte und den Süden wieder unter weiße Kontrolle stellte. In einer Salve gezielter Schüsse gegen die vom Kongress verabschiedeten Reconstruction Acts warnte Johnson davor, diese würden es Schwarzen gestatten, »über die weiße Rasse zu herrschen, Bundesgesetze zu erarbeiten und umzusetzen, Präsidenten und Kongressabgeordnete zu wählen und in mehr oder weniger großem Ausmaß das künftige Schicksal des gesamten Landes zu formen. Wären ein solches Vertrauen und eine solche Macht in diesen Händen sicher?«[10]

      Die De-facto-Wiedererrichtung der politischen Hierarchie der Konföderierten im Süden brachte das gesamte Land auf einen Weg, bei dem sich die Macht der weißen Überlegenheit mit der Macht des politischen Transaktionalismusi paarte. Auch wenn nationale Demokraten nicht von revanchistischen Rassisten angeführt wurden, wurde der Süden den Warlords aus denselben Gründen überlassen, aus denen auch sonst Territorien Warlords überlassen werden: Es diente den Interessen der aktuellen Machthaber. Nationale Demokraten sorgten sich um die Verabschiedung des New Deal, um Siege bei den Präsidentschaftswahlen, um Infrastrukturprojekte. Angesichts der Tatsache, dass sie die Wahl hatten zwischen der Zusammenarbeit mit einer Demokratischen Partei der Südstaaten, die ihnen unverzichtbare Wählerstimmen einbrachte, und der Herausforderung einer Demokratischen Partei der Südstaaten, die die nationale Agenda der Demokratischen Partei beschädigen und scheitern lassen konnte, entschieden sie sich für den Ausgleich.

      Mehr noch, die totale Dominanz der Dixiekraten über den Süden versetzte sie auch zahlenmäßig in die Lage, die nationale Demokratische Partei zu dominieren. »Von 1896 bis 1932 stellten Südstaatler zwei Drittel der Mitglieder der demokratischen Fraktion im Repräsentantenhaus; von 1933 bis 1953 fiel ihr Anteil zu keinem Zeitpunkt unter 40 Prozent«, schreibt Mickey.[11] Diese Zahlen unterschätzen den politischen Einfluss des Südens womöglich sogar noch. Im US-Kongress dieser Ära bedeutete Seniorität höheres Dienstalter, Macht. Und wegen der autoritären Strukturen, innerhalb derer die Demokraten des Südens zu Hause operierten, waren sie nur äußerst selten etwas ausgesetzt, das dem Druck durch bevorstehende Wahlen auch nur im Entferntesten nahekam. Was dazu führte, dass sich in ihren Reihen mehr Abgeordnete und Senatoren mit langer Dienstzeit tummelten als in den Reihen der gewählten Regierungsvertreter jeder anderen Region.

      Ira Katznelson, Historiker an der Columbia University, schreibt 1933 in seinem Buch Fear Itself: The New Deal and the Origins of Our Time: »Südstaatler hatten den Vorsitz in 29 der 47 Ausschüsse des Repräsentantenhauses inne, darunter Appropriations (Investitionen), Banking and Currency (Banken und Währung; heute Finanzdienstleistungen), Judiciary (Justiz), Foreign Affairs (Internationale Beziehungen), Agriculture (Landwirtschaft), Military Affairs (Militärische Angelegenheiten) und Ways and Means (Mittel und Wege).« Außerdem dominierten sie, und das ist entscheidend, den Ausschuss »Rules« (Geschäftsordnung), der die Kontrolle darüber innehatte, welche Gesetze dem Repräsentantenhaus überhaupt vorgelegt wurden und unter welchen Bedingungen. Im Senat führten Südstaatler »13 der 33 Ausschüsse […] darunter Agriculture, Appropriations, Banking and Currency, Commerce (Handel), Finance (Finanzen) und Military Affairs«.[12]

      Der Einfluss, den dies der Region im Kongress sicherte, war beinahe allumfassend. Und nicht nur die Erarbeitung der wichtigsten Gesetzesvorlagen fiel zumindest teilweise in den Zuständigkeitsbereich eines der genannten Ausschüsse. Vielmehr war es so, dass jeder einzelne Senator Interessen hatte, die diese Ausschüsse durchzogen. Ein Liberaler aus dem Norden, der sich kein bisschen um die Rassenfrage scherte, dafür aber umso mehr um das Gesundheitswesen, musste mit dem Vorsitzenden des Ausschusses für Mittel und Wege zusammenarbeiten – und dies konnte sich schwierig gestalten, falls er diesen verärgert hatte, indem er die Bürgerrechte ins Visier nahm, das Einzige also, was dem Vorsitzenden des Ausschusses für Mittel und Wege und allen seinen Kollegen aus dem Süden im Grunde am Herzen lag.

      Diese Macht legte Präsidenten genauso sicher an die Leine wie widerspenstige Kongressabgeordnete. Konfrontiert mit einem Gesetzentwurf, der in den späten dreißiger Jahren Lynchjustiz verhindern sollte, sagte Präsident Franklin D. Roosevelt, falls er diesen unterstütze, würden die Ausschussvorsitzenden aus den Südstaaten »jede Gesetzesvorlage blockieren, um deren Verabschiedung ich den Kongress bitte, um Amerika vor dem Kollaps zu bewahren«.[13] Mehr noch, fanden einen die südlichen Demokraten nicht akzeptabel, dann wurde man gar nicht erst als Präsidentschaftskandidat der Demokraten nominiert: Die Partei forderte für die Bestätigung der Kandidatur eine Zweidrittelmehrheit der Delegierten zur National Convention, was bedeutete, dass der Süden de facto ein Vetorecht gegenüber einem ihm feindselig gesinnten Nominierten hatte.

      Gleichzeitig war die Allianz des Südens mit der Demokratischen Partei keinesfalls purer Zynismus. Es waren echte Demokraten, deren unverbrüchliche Loyalität gegenüber ihrer Partei zutiefst in regionaler Identität und regionalem Interesse verwurzelt war. Abraham Lincoln war der erste republikanische Präsident; die Feindschaft des Südens gegen die Republikanische Partei daher mit Blut besiegelt. Die Demokratische Partei unterstützte die Umverteilung von den Reichen an die Schwachen – und der Norden war reich, der Süden arm. »Zu Beginn des 20. Jahrhunderts repräsentierten die südlichen Demokraten den linken Flügel der Demokratischen Partei«, sagt Howard Rosenthal, Professor an der Princeton University. »Sie waren im Grunde populistisch. Ging es zu dieser Zeit um Umverteilung, dann um eine vom relativ gut gestellten Norden in den armen Süden. Daher lag die Rassenfrage als Streitthema im Kongress gar nicht auf dem Tisch.«

      Doch irgendwann wurde die Rassenfrage zum Streitthema. Die Demokraten wollten nicht einfach nur eine Umverteilung von reichen Weißen im Norden zu armen Weißen im Süden. Sie strebten auch eine Umverteilung von reicheren Weißen zu ärmeren Schwarzen an. Darüber hinaus, beginnend 1948 mit dem Präsidialerlass Nr. 9981 von Präsident Harry S. Truman zur Durchsetzung der Abschaffung der Rassentrennung in den Streitkräften, wurde die Demokratische Partei immer mehr zu einem Vehikel zur Durchsetzung von Bürgerrechten und verriet damit ihre grundlegende Übereinkunft mit dem Süden. Diese Ära war es, in der ein Republikaner – Barry Goldwater, der seinen Wahlkampf von einer Plattform der »states rights«, der Rechte der Bundesstaaten, aus führte – zum ersten Mal einen Großteil der Erwartungen der alten Konföderation in eine Präsidentschaftswahl trug.

      Wie es dazu kam, dass die Demokratische Partei die Bürgerrechte auf ihre Fahnen schrieb, ist eine sehr komplexe Geschichte. Sie handelt nicht nur vom Idealismus von Politikern wie Lyndon B. Johnson und Hubert Humphrey, sondern auch von der harten Mathematik, die Wahlbündnisse bestimmt und die, insbesondere im Norden, begann, auch nichtweiße Wähler einzubeziehen. Sie spiegelt den logischen Endpunkt des ökonomischen Progressivismus wider, denn Aufmerksamkeit für die Armen forderte Aufmerksamkeit für die Frage, woran es wohl lag, dass so viele nichtweiße Amerikaner arm blieben. Und ebenso spiegelte sie die strategischen Entscheidungen wider, die die Republikanische Partei auf diesem Wege traf, insbesondere den erfolgreichen Versuch der konservativen Bewegung, die GOP in ein ideologisches Vehikel zu verwandeln, das von Misstrauen gegenüber der Bundesregierung, der Ablehnung von Umverteilung und dem Glauben an Regeln auf bundesstaatlicher und lokaler Ebene geprägt war – attraktive Ideen für Südstaatler, die darauf aus waren, die nationalen Anstrengungen zur Verbesserung sowohl der ökonomischen wie auch der politischen Umstände der Afroamerikaner zu blockieren.

      Dennoch blieben die Grenzen zwischen den Parteien im Augenblick des Bruches unscharf. Von unserer heutigen Warte aus, wo es in allen Dingen eine scharfe Trennung zwischen Rot und Blau gibt, erscheint es bemerkenswert, eine Debatte zu betrachten, die das Land polarisiert, ohne die Parteien zu spalten. Doch ebendies war bei der Verabschiedung des Civil Rights Act 1964 der Fall. Wie Geoffrey Kabaservice in Rule and Ruin, einer Geschichte der republikanischen Mäßigung, aufzeigt, »[unterstützten] 80 Prozent der republikanischen Abgeordneten im Repräsentantenhaus den Gesetzentwurf, im Gegensatz zu 60 Prozent der Demokraten«.[14] Den Vorsitz im Justizausschuss des Senats hatte James Eastland aus Mississippi inne – eine Sackgasse für den Gesetzentwurf. Anstatt also den normalen Weg durch die Ausschüsse zu nehmen, wurde die Gesetzgebung von Präsident Johnson und Everett Dirksen, dem Republikaner aus Illinois in seiner Eigenschaft als Minderheitenführer, ausgearbeitet. Die Südstaatendemokraten versuchten,

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