Der tiefe Graben. Ezra Klein

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Der tiefe Graben - Ezra Klein

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dass »wir im Großen und Ganzen bei Regierungswechseln brutale Umschwünge von einem Extrem in das andere bisher vermieden haben. Und der Grund dafür ist der, dass es in beiden Parteien stets Raum für ein breites Spektrum an Meinungen gegeben hat.«[5]

      In diesem Punkt (einem von sehr wenigen) stimmte sogar Robert F. Kennedy Nixon zu. Der Journalist Godfrey Hodgson erinnert sich an ein Gespräch, in dem Kennedy davor warnte, dass »das Land bereits in vertikaler Richtung gespalten« sei, »nämlich in Sektionen, Rassen und ethnische Gruppen«, und es daher »gefährlich« wäre, »es auch noch horizontal zu spalten, nämlich in Liberale und Konservative«.[6] So betrachtet war Politik dazu da, unsere Divergenzen einzuebnen, nicht dazu, sie zu repräsentieren.

      1959 veranstaltete das Republican National Committee, die bundesweite Parteiorganisation der Republikaner, eine interne Debatte darüber, ob die Partei sich von einem Kanon präzise umschriebener ideologischer Werte leiten lassen sollte. Zur Eröffnungsversammlung des Committee for Program and Progress (Komitee für Programm und Fortschritt), das mit der Ausarbeitung einer Agenda für die GOP beauftragt war, lud die Gruppe den Politikwissenschaftler Robert Goldwin ein, der dafür plädieren sollte, dass es »für eine große politische Partei weder möglich noch wünschenswert« sei, »sich von Prinzipien leiten zu lassen«. Unsere modernen Grabenbrüche verleihen Goldwins Bedenken ein Gewicht, das sie 1959 wohl nicht hatten. »Da beide Parteien sowohl Liberale als auch Konservative in ihren Reihen haben«, sagte er, »werden Differenzen, die ansonsten zu Hauptthemen des Wahlkampfs würden, mit Hilfe von Kompromissen innerhalb der jeweiligen Partei beigelegt.« Er warnte: »Unsere nationale Einheit würde geschwächt, sollten die theoretischen Differenzen verschärft werden.«[7]

      Dieser Punkt ist grundlegend genug, um sich einen Augenblick bei ihm aufzuhalten. Existiert eine Spaltung innerhalb einer Partei, gibt es zwei Möglichkeiten: Unterdrückung oder Kompromiss. Parteien wollen keinen internen Zwist. Existiert jedoch eine Spaltung zwischen Parteien, nimmt der Umgang mit ihr die Form eines Konfliktes an. Ohne Einhegung durch eine einheitliche Parteilinie eskalieren politische Streitigkeiten. Ein Beispiel dafür ist das Gesundheitswesen: Demokraten wie Republikaner geben Milliarden Dollar für Wahlspots aus, in denen sie ihre Differenzen in diesem Punkt betonen, weil sie hoffen, dass die Debatte ihre Unterstützer mobilisiert und die öffentliche Meinung gegen ihren politischen Gegner wendet. Der Vorteil daran ist, dass wichtige Probleme offen angesprochen und manchmal sogar gelöst werden. Der Nachteil ist, dass die sie umgebenden Spaltungen sich vertiefen und zunehmend wütender ausgetragen werden.

      Die Debatte erreichte 1964 explosionsartig die Öffentlichkeit, als Barry Goldwater die Rede hielt, in der er seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen verkündete. Sie ging in die Geschichte ein, weil Goldwater darin das Versprechen abgab, »eine Wahl« anzubieten, »kein Echo«. Weniger bekannt, dafür aber wohl aufschlussreicher, sind die Gründe für seine Kandidatur, die er einige Absätze weiter oben benennt. Dort sagt er, und zwar nicht ganz ohne Abscheu: »Ich habe von keinem Republikaner, der seine Kandidatur angekündigt hat, eine Declaration of Conscience gehört, die dem amerikanischen Volk bei den nächsten Präsidentschaftswahlen eine klare Entscheidung ermöglichen würde.« Dies war Goldwaters Gewissenserklärung: Sollten die Republikaner ihn nominieren, dann würde die Wahl »kein Gefecht der Persönlichkeiten werden, sondern ein Gefecht der Prinzipien werden.« Goldwater gewann natürlich die Vorwahlen und wurde dann von Lyndon B. Johnson vernichtend geschlagen.

      Goldwaters Nominierung war eine Angelegenheit, bei der zwischen den parteiinternen Lagern nur so die Fetzen flogen und die konservativen Republikaner ihr Möglichstes taten, um den gemäßigten Flügel der Partei hinauszudrängen. Im Nachgang dazu schrieb George Romney, der damalige Gouverneur von Michigan und ein Hauptvertreter der gemäßigten Republikaner, einen zwölfseitigen Brief, in dem er seine Unstimmigkeiten mit Goldwater darlegte. »Dogmatische, ideologisch geprägte Parteien neigen dazu, das politische und soziale Gefüge einer Nation zu zersplittern, führen zu Regierungskrisen und Stillstand und verhindern die Kompromisse, die so häufig nötig sind, um Freiheit zu erhalten und Fortschritt zu erreichen«, schrieb er recht prophetisch.[8] (Jahrzehnte später sollte sein Sohn, der das Erbe seines Vaters als beliebter gemäßigter Gouverneur von Massachusetts weitertrug, die Nominierung der Republikaner als Präsidentschaftskandidat erhalten, indem er sich als »streng konservativ« neu erfand.)

      Goldwaters vernichtende Wahlniederlage etablierte die gängige Auffassung dieser Zeit: Ideologen verloren Wahlen. In seinem 1960 erschienenen Buch Parties and Politics in America schrieb Clinton Rossiter: »Es gibt keinen echten Unterschied zwischen Demokraten und Republikanern, und es kann ihn auch nicht geben, denn die ungeschriebenen Gesetze der amerikanischen Politik verlangen, dass sich die Parteien in ihren Prinzipien, ihrer Politik, ihrem Charakter, ihrer Attraktivität und ihrem Zweck zu einem Großteil überlagern – oder sie hören auf, Parteien zu sein, die irgendwie darauf hoffen können, eine nationale Wahl zu gewinnen.«[9] Lieber ein Echo sein als unter »ferner liefen«.

      Das Parteien-Kuddelmuddel zieht sich bis in die jüngste Zeit. Morris Fiorina, Politikwissenschaftler an der Stanford University, stellt fest, dass, als Gerald Ford gegen Jimmy Carter antrat, lediglich 54 Prozent der Wähler glaubten, die Republikanische Partei sei konservativer als die Demokratische Partei. Knapp 30 Prozent waren der Auffassung, es gäbe zwischen den beiden Parteien keinerlei ideologische Differenzen.[10] Stellen Sie sich das mal vor! In einer Welt, in der die ideologischen Differenzen zwischen der Demokratischen und der Republikanischen Partei so gering waren, dass die halbe Bevölkerung in Verwirrung gestürzt wurde, wie viel weniger Macht muss da Parteiidentität entfaltet haben.

      Eigentlich müssen wir uns das gar nicht vorstellen. Wir können es sehen.

      Die Macht negativer Parteilichkeit

      Unter Wählern war lange Zeit ticket-splitting gang und gäbe: Vielleicht bevorzugte man ja den Demokraten Lyndon B. Johnson als Präsidenten, den Republikaner George Romney dagegen als Gouverneur. Und war man ein Ticketsplitter und die meisten von denen, die man kannte, ebenfalls, dann war es schwierig, sich allzu sehr mit einer der beiden Parteien zu identifizieren. Letztlich stimmte man gelegentlich für beide.

      In einer bestechenden Analyse mit dem Titel »All Politics Is National« zeigen Alan Abramowitz und Steven Webster, Politikwissenschaftler an der Emory University, wie dieses Verhalten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in sich zusammenfiel und beim Übergang ins neue Jahrtausend offenbar gänzlich verschwand. Als sie sich Wahlbezirke ansahen, in denen die Sitze im Repräsentantenhaus sehr hart umkämpft waren, stellten sie fest, dass zwischen 1972 und 1980 das Verhältnis zwischen dem Stimmenanteil der Demokraten bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus und den Präsidentschaftswahlen 0,54 betrug. Zwischen 1982 und 1990 kletterte dieser Faktor auf 0,65. Und 2018 hatte er 0,97 erreicht![11] Innerhalb von 40 Jahren entwickelte sich die Unterstützung für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten von einem zwar hilfreichen, aber nicht wirklich verlässlichen Prognosefaktor zur Abschätzung der zu erwartenden Unterstützung des Kandidaten einer Partei bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus zu einer beinahe perfekten Richtschnur.

      Ticketsplitting setzt voraus, dass man sich mit beiden Parteien einigermaßen wohlfühlt. Die Ursache für den Niedergang dieses Verhaltens liegt darin, dass sich dieses Wohlgefühl verflüchtigt hat. Inmitten einer ganzen Reihe von Fragen, die die Amerikaner bei jeder Wahl von Prognoseinstituten gestellt bekommen, lauert etwas, das als »Gefühlsthermometer« bezeichnet wird. Bei dieser Frage werden Menschen gebeten, ihre Gefühle in Bezug auf die beiden politischen Parteien auf einer Gradskala von 1 bis 100 einzuordnen, wobei 1 »kalt« bedeutet und negativ ist, »100« dagegen »warm« und positiv. Seit den achtziger Jahren sind die Gefühle der Republikaner gegenüber der Demokratischen Partei und die Gefühle der Demokraten gegenüber der Republikanischen Partei regelrecht abgestürzt.

      Noch 1980 gaben Wähler der gegnerischen Partei eine Gradzahl von 45 – nicht so hoch wie die 72 Grad für ihre eigene Partei, dennoch aber ziemlich respektabel. Nach 1980 jedoch begannen die Zahlen zu fallen. 1992 bekam die gegnerische Partei nur noch 40 Grad,

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