Der tiefe Graben. Ezra Klein
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»Dies lässt nur einen Schluss zu«, folgert der Bericht. »In Bezug auf alle Parameter, die das Pew Research Center in denselben Umfragen seit 1994 nachverfolgt hat, hat sich die durchschnittliche Kluft zwischen den Parteianhängern von 15 Prozentpunkten auf 26 Prozentpunkte erweitert.«[18] Es lohnt, sich einmal ganz klarzumachen, was das bedeutet: Sind Sie Demokratin, dann verkörpert die Republikanische Partei 2017 eine sehr viel größere Bedrohung für Ihre Vision von einer guten Gesellschaft als die Republikanische Partei von 1994. Sie bezieht weniger Menschen ein, die Ihre Meinung teilen, und sie hat sich um eine Agenda geschart, die sehr viel weiter weg von Ihrer liegt. Dasselbe gilt natürlich auch umgekehrt.
Das ist nicht einfach nur ein merkwürdiger Befund der Meinungsforscher. Es ist selbst bei einem noch so flüchtigen Blick auf die Agenden der Parteien zu sehen. Mehr noch, im Grunde ist es wohl sogar von den scharfen Divergenzen in den Agenden der Parteien verursacht.f
So unterzeichneten etwa sowohl Ronald Reagan als auch George W. Bush als Präsidenten Gesetze, die Steuererhöhungen zur Folge hatten. Das wäre in der Republikanischen Partei von heute undenkbar, in der beinahe jeder in ein offizielles Amt Gewählte die bindende Versicherung abgibt, niemals und unter keinen Umständen Steuererhöhungen vorzunehmen. Bush unterzeichnete auch den Gesetzentwurf zum Americans with Disabilities Act, das Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, und leitete ein Programm zum Emissionshandel mit festen Obergrenzen ein, um die Luftverschmutzung einzudämmen und auf diese Weise sauren Regen zu vermeiden. Reagan wiederum unterzeichnete einen Gesetzentwurf zur Reformierung der Einwanderungsgesetze, den die Demokraten von heute hochhalten und die Republikaner von heute anprangern. »Ich glaube an die Idee einer Amnestie für alle, die hier Wurzeln geschlagen haben und hier leben, auch wenn sie einstmals illegal in unser Land gekommen sind«[19], sagte Reagan.
Ja, Reagan hat das gesagt.
Präsident Bill Clinton dagegen begann seine Präsidentschaft mit einem Staatshaushalt, der darauf angelegt war, das Staatsdefizit zu verringern, sowie einer gewaltigen, allumfassenden Anstrengung, endlich das North American Free Trade Agreement (NAFTA) zu verabschieden. Er wurde berühmt dafür, sich gegen den linken Flügel seiner eigenen Partei gestellt zu haben, flog heim nach Arkansas, um der Exekution eines hirngeschädigten Gefangenen beizuwohnen, und distanzierte sich in aller Öffentlichkeit von der Rapperin Sister Souljah. Er arbeitete mit Republikanern im Kongress zusammen, um Sozialausgaben zu kürzen und den Staatshaushalt zu konsolidieren. Während seiner zweiten Amtszeit verkündete er stolz: »Die Ära von Big Government ist vorbei.«
Das Gesundheitswesen ist sogar ein noch extremeres Beispiel. Ein demokratischer Präsident schuf 1965 ein riesiges, landesweit einheitliches Gesundheitssystem für die Älteren. So liberal Medicare von seiner Konzeption und Ausführung her auch war, es erhielt dennoch 70 republikanische Stimmen im Repräsentantenhaus sowie dreizehn republikanische Stimmen im Senat. Im Gegensatz dazu fußte Obamacare auf Mitt Romneys Modell für Massachusetts und baute auf vielen republikanischen Konzepten und Ideen auf;g es stützte sich beim allergrößten Teil der geplanten Ausgabenerhöhungen auf private Versicherer und opferte letztlich die Option einer staatlichen Finanzierung. Doch so fehlerbehaftet Obamacare von seinem Aufbau her auch war und so verzweifelt die Obama-Administration auch um die Unterstützung beider Parteien rang (Und glauben Sie mir, ich habe über diesen Kampf berichtet: Sie hätte beinahe alles gegeben, um sich die Unterstützung der Republikaner zu sichern), erhielt der Gesetzentwurf nicht eine einzige republikanische Stimme, weder im Repräsentantenhaus noch im Senat.
Es ist leicht zu verstehen, wie ein liberaler Wähler 1965 zu der Auffassung gelangen konnte, die Republikaner seien offen für so etwas wie Medicare: Viele Republikaner waren in der Tat offen für so etwas wie Medicare. Heute dagegen würde sich kein Wähler mehr verwirrt fragen, welche Partei denn nun für eine stärkere Unterstützung des öffentlichen Gesundheitswesens durch die Regierung eintritt. Die Unterschiede zwischen den beiden Parteien sind sehr viel klarer, und die Entscheidung ist sehr viel leichter.
Oder nehmen wir das Thema Abtreibung. 1982 stimmte Senator Joe Biden für einen Verfassungszusatz, der es einzelnen Bundesstaaten ermöglicht hätte, die Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichtshofs im Fall Roe gegen Wadeh zu kippen. Er nannte es zu diesem Zeitpunkt »das schwierigste Votum meiner gesamten Zeit als US-Senator«. Biden, der praktizierender Katholik ist, gab als Erklärung für seine Entscheidung seinen familiären Hintergrund an. »Ich bin wahrscheinlich ein Opfer oder vielmehr ein Produkt – wie immer Sie das auch nennen wollen – meiner Herkunft.« Doch wie Anna North, meine Kollegin bei Vox, gezeigt hat, war er auch ein Produkt seines politischen Moments.[20]
Präsident Gerald Ford lehnte Roe aus tiefstem Herzen ab, doch sein Vizepräsident, Nelson Rockefeller, hatte als Gouverneur von New York Abtreibungsbeschränkungen außer Kraft gesetzt. Die republikanische Plattform 1976 nannte Abtreibung »eine der schwierigsten und kontroversesten [Fragen] unserer Zeit«[21] und erkannte später die Spaltung innerhalb der Republikanischen Partei an, indem sie erklärte: »Es gibt diejenigen in unserer Partei, die die vollständige Unterstützung der Entscheidung des Supreme Court befürworten, welche Abtreibung auf Verlangen gestattet. Und es gibt andere, welche die sichere Überzeugung teilen, dass die Entscheidung des Supreme Court durch einen Verfassungszusatz zu verändern ist, der sämtliche Abtreibungen verbietet.« Im Kongress stimmte ungefähr dieselbe Anzahl von Republikanern und Demokraten gegen Abtreibung. Umfragen zeigten, dass Demokraten und Republikaner mit etwa gleicher Wahrscheinlichkeit sagten, Abtreibung solle entweder unter allen Umständen legal oder in jedem Falle illegal sein.
Heute sagt Biden über die Versuche der Konservativen, Roe zu kippen: »Es ist falsch. Es ist schädlich. Und wir müssen es stoppen.«[22] Und moderne republikanische Plattformen nehmen ebenfalls kein Blatt vor den Mund. »Wir stellen ausdrücklich fest, dass das menschliche Leben heilig ist, und bestehen mit Nachdruck darauf, dass das ungeborene Kind ein fundamentales Recht auf Leben hat, das nicht angetastet werden darf«, heißt es auf der Plattform der GOP 2016. Weit entfernt von dem Eingeständnis, dass es auch in den eigenen Reihen Befürworter des uneingeschränkten Rechts auf Abtreibung gibt, greift sie die Demokraten für diese Position scharf an. »Die beinahe grenzenlose Unterstützung der Demokraten für die Abtreibung und ihre scharfe Ablehnung auch nur der grundlegendsten Beschränkungen führen sie auf dramatische Weise von der amerikanischen Bevölkerung weg«, heißt es weiter. Wie im Fall des Gesundheitswesens ist auch hier leicht zu sehen, wie Befürworter eines Rechts auf freie Abtreibung in den siebziger Jahren eine Heimat in der Republikanischen Partei finden konnten, genauso wie Abtreibungsgegner Platz unter Demokraten finden konnten. Heute jedoch bleibt kein Raum für Konfusionen. Demokraten unterstützen Roe. Republikaner sind dagegen. Das haben selbst diejenigen verstanden, die sich ansonsten kaum mit Politik beschäftigen.
Dies hilft, ein besonders augenfälliges Ergebnis von Smidts Untersuchungen zu erklären. Eine der Fragen des American National Election Survey lautet, ob die Wähler das Gefühl haben, die Differenzen zwischen den beiden Parteien tatsächlich zu verstehen. Mit Blick auf die Antworten, die die Befragten über die Jahre auf diese Frage gaben, fand Smidt heraus, dass den Wählern die Unterschiede zwischen den beiden Parteien immer bewusster wurden. Der Wandel war so augenfällig, schrieb er, dass »unabhängige und uninteressierte Wähler ein Bewusstsein für Unterschiede zwischen den Kandidaten im Hinblick auf mehr politische Themen [zeigen] als starke Parteianhänger oder politisch interessierte Amerikaner vor 1980«.[23]
Um es einfacher auszudrücken: Einem Wähler, der heute die amerikanische Politik weitgehend ignoriert, sind die Unterschiede zwischen den beiden Parteien klarer als den Politikjunkies und loyalen Parteigängern 1980. Dies ist ein unfassbares Ergebnis. Aber auch ein offensichtliches. Wählern – selbst uninteressierten – sind die Unterschiede zwischen den Parteien klarer, weil sie größer geworden sind. Einen Esel von einem Elefanten zu unterscheiden ist einfacher, als einen Esel von einem Maultier zu unterscheiden.
In dem Maße, wie die Agenden der Parteien auseinandergedriftet