Der tiefe Graben. Ezra Klein
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In dem Maß, wie sich die Parteien in ethnischen, religiösen, ideologischen Fragen und auch geographisch voneinander unterscheiden, verstärken die Signale, die uns sagen, ob ein Ort unser Ort, eine Gemeinde unsere Gemeinde werden kann, unsere politischen Differenzen. Und je stärker wir uns diesen Differenzen entsprechend sortieren, desto stärker werden die Unterschiede im Hinblick auf unsere Präferenzen. Pew fand 2017 heraus, dass »die meisten Republikaner (65 Prozent) sagen, sie würden lieber in einer Gemeinde leben, in der die Häuser größer sind und weiter auseinanderstehen und Schulen und Einkaufsmöglichkeiten nicht in der Nähe sind. Eine Mehrheit der Demokraten (61 Prozent) bevorzugt kleinere Häuser in fußläufiger Nähe zu Schulen und Einkaufsmöglichkeiten.«[31] Daher wird aus einer Präferenz, die auf den ersten Blick nichts mit Politik zu tun zu haben scheint – »Ich möchte ein großes Haus mit Garten haben« oder »Ich möchte in einer bunten Stadt leben, in der es viele neue Restaurants gibt« –, eine weitere Kraft, die uns voneinander wegzieht.
Es gibt einen Grund dafür, warum sich diese trennenden Faktoren alle übereinanderstapeln: Sie zeichnen nicht nur Unterschiede in unseren politischen Auffassungen nach, sondern auch Unterschiede in unserer Psychologie.
Die psychologischen Wurzeln unserer politischen Einstellungen und unseres politischen Handelns
Beginnen wir mit dem Offensichtlichen. Menschen sind verschieden. Mein älterer Bruder ist ein geselliger Mensch, immer auf Small Talk aus, imstande, innerhalb von Sekunden Verbindung zu fremden Menschen herzustellen. Ich dagegen stehe auf Cocktailpartys in der Ecke und fühle mich unwohl in der Gegenwart von Menschen, die ich nicht bereits gut kenne. Meine jüngere Schwester ist eine talentierte Künstlerin. Sie entwirft Schmuck und macht psychedelische Kunst, seit sie sechs war. Ich habe eine derart schlechte Handschrift, dass ich in meinen Dreißigern einen Kurs belegte, um sie zu verbessern. Und wenn Sie mich bitten würden, eine Person zu skizzieren, dann würde ich einen kleinen Kreis als Kopf auf einen größeren Kreis setzen, der den Körper darstellt, wie ein Sechsjähriger, der gerade zeichnen lernt. Resultat: Mein Bruder, der Socializing eher mag als ich, macht mehr Socializing. Meine Schwester, mit ihrem Talent für Kunst, macht mehr Kunst.
Einige dieser Unterschiede haben ihre Wurzeln darin, wie wir aufgewachsen sind, in den von uns gemachten Erfahrungen. Andere dagegen machen sich schon kurz nach der Geburt bemerkbar. Psychologen sprechen von den Big Five, den fünf Hauptmerkmalen der Persönlichkeit: Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Extraversion und Introversion, Verträglichkeit und Neurotizismus. Wie wir uns im Hinblick auf diese Merkmale einordnen, kann bereits in der Kindheit gemessen werden und formt unser Leben. Es beeinflusst, wo wir leben, was wir mögen und wen wir lieben. Und zunehmend beeinflusst es auch unsere politischen Einstellungen und unser politisches Handeln.
In ihrem Buch Open versus Closed: Personality, Identity, and the Politics of Redistribution schreiben die Politikpsychologen Christopher D. Johnston, Howard G. Lavine und Christopher M. Federico: »Demokraten und Republikaner unterscheiden sich heute scharf durch ein Set grundlegender psychologischer Dispositionen im Hinblick auf erfahrungsbezogene Offenheit – einer allgemeinen Dimension der Persönlichkeit, die sich aus der Toleranz gegenüber Bedrohungen und Unsicherheiten im Umfeld einer Person speist.«[32]
Ähnliche Argumente finden sich, wenn auch auf leicht abweichenden Daten beruhend, bei den Politikwissenschaftlern Marc Hetherington und Jonathan Weiler in ihrem Buch Prius or Pickup? How the Answers to Four Simple Questions Explain America’s Great Divide:
Unsere Weltsicht wird von zahlreichen Faktoren geformt. Bei der Entscheidung darüber, zu welcher Seite des Grabens man sich hingezogen fühlt, fällt einer jedoch stärker ins Gewicht als alle anderen: die Wahrnehmung, wie gefährlich die Welt ist. Angst ist unser vielleicht ursprünglichster Instinkt, also ist es nur logisch, dass das Angstlevel von Menschen ihre Lebensaussichten prägt.[33]
Verschiedene Studien kategorisieren Menschen auf verschiedene Weise, aber der gemeinsame Nenner ist der, dass Offenheit für Erfahrungen – und der Grundoptimismus, aus dem sich diese speist – mit Liberalismus assoziiert wird, während Gewissenhaftigkeit, eine Präferenz für Ordnung und Tradition, die Skeptizismus gegenüber disruptivem Wandel hervorbringt, mit Konservatismus in Verbindung steht. Menschen mit hohen Offenheitswerten genießen es mit größerer Wahrscheinlichkeit, unbekannte Speisen zu probieren, an unbekannte Orte zu reisen, in bunten Städten zu leben und einen zugemüllten Schreibtisch zu haben. Sie reagieren weniger sensibel auf bedrohliche Fotos und widerliche Bilder, selbst dann, wenn man subrationale Indikatoren wie Blickbewegungen und die chemische Zusammensetzung des Speichels misst. In Predisposed: Liberals, Conservatives, and the Biology of Political Differences schreiben John R. Hibbing, Kevin B. Smith und John R. Alford:
Zahlreiche Studien haben diese Persönlichkeitsdimensionen mit Unterschieden in der Mischung aus Geschmäckern und Präferenzen in Verbindung gebracht, die offenbar verlässlich Liberale und Konservative zu trennen scheinen. So neigen etwa Menschen mit hohen Offenheitswerten dazu, grenzwertige Musik und abstrakte Kunst zu mögen. Menschen mit hohen Gewissenhaftigkeitswerten sind mit größerer Wahrscheinlichkeit organisiert, treu und loyal. Eine Auswertung des riesigen Korpus entsprechender Forschungsliteratur ergab, dass Differenzen solcher Art in knapp 70 Jahren Studien zu Persönlichkeitsforschung durchgängig auftreten. Die Pointe liegt natürlich darin, dass dieselbe Literatur auch von einem durchgängigen Zusammenhang zwischen diesen Persönlichkeitsdimensionen und politischen Einstellungen berichtet. Menschen, die offen für neue Erfahrungen sind, hängen sich nicht nur Drucke von Jackson Pollock in ihre unaufgeräumten Schlafzimmer, während sie sich Technopop-Interpretationen von Bach durch experimentelle Jazzbands anhören. Sie bezeichnen sich auch mit höherer Wahrscheinlichkeit als liberal.[34]
Genau aus diesem Grund zeichnen die Standorte von Whole Foods und Cracker Barrel tiefe Gräben zwischen Parteianhängern nach. Das Angebot des Lebensmittelhändlers Whole Foods richtet sich an Kunden, die einen hohen Offenheitswert haben. Die Regale sind vollgepackt mit Ethnofood, ungewöhnlichen Produkten und Zeitschriften, die für östliche Spiritualität werben. Die Zielgruppe von Cracker Barrel dagegen bilden Kunden, die es gern traditionell mögen: Die Restaurants der Kette bieten trostspendende Lieblingsspeisen der Südstaatenküche an, die zwar köstlich sind, doch nicht überraschen. Bei beiden handelt es sich um riesige Unternehmen mit fachkundigen Teams, die neue Standorte zur Einrichtung weiterer Filialen sorgfältig auswählen. Ihre Entscheidungen zeichnen nicht deshalb eine Landkarte unserer politischen Einstellungen nach, weil sie versuchen, eine bestimmte Seite des politischen Grabens zu bedienen, sondern weil unsere politischen Einstellungen eine Karte unserer tieferen Präferenzen zeichnen und weil diese tieferen Präferenzen die Motivation für sehr viel mehr sind als nur unsere politischen Einstellungen.
Wir glauben immer gerne, wir würden unsere politischen Einstellungen ausbilden, indem wir ganz langsam und methodisch eine Weltsicht aufbauen, diese Weltsicht nutzen, um Schlussfolgerungen im Hinblick auf ideale Steuerbelastung, ideale Gesundheitspolitik oder ideale Außenpolitik abzuleiten, und uns anschließend für die Partei entscheiden, die dazu am besten passt. Politikpsychologen sehen das aber ganz anders. Sie argumentieren, dass unsere politische Einstellung beinahe ebenso stark aus unserer psychologischen Verfasstheit resultiert wie unser Interesse fürs Reisen oder scharfes Essen oder das Bedürfnis, in großen Menschenmengen zu sein. »Bestimmte Ideen sind für einige Menschen attraktiv, während sie andere abstoßen, und dies bedeutet im Grunde genommen, dass Ideologien und Psychologien sich wechselseitig anziehen wie Magneten«, so John Jost, Politikpsychologe an der New York University.[35]
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