Lost Levels. Oliver Uschmann
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Nur der brummende Motor der Ente.
Und eine Runde Pestilence, die aus dem Kassettenrekorder erklingt, während Jens auf dem Sitz auf und ab hüpft wie ein Zwerg auf Koks.
»ICH«, beendet Hartmut seine Rede, »bin dann mal weg!«
Mit einem lauten Rumms wirft er das Mikro auf den Boden, so dass es quietscht, wie wenn eine Band ihr Konzert mit eingeschalteter und vor die Box geworfener Gitarre beendet, und läuft zum Bus. Ich sitze bereits drin. Hartmut steigt ein, winkt in Richtung seiner Eltern sowie den Tischen von Matthes und Mehmet und zieht die Tür zu. Jens kurbelt am alten Lenkrad und fährt die Ente aus der Halle, durch die Tore, über den Vorplatz, auf die Straße und durch den Tunnel Richtung Bahnhof, Ring und Gleisbrücke, die auf die Ausfallstraße aus der Stadt führt.
Hartmut schaltet Pestilence aus.
Im Fenster ziehen am Horizont die Hochhäuser vorbei.
Vor uns liegen Holland, Belgien, Frankreich, Spanien … so lange die Vorräte reichen.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
Jens lenkt mit rechts und kaut mit links am Fingernagel.
Hartmut lehnt sich zurück, als habe er erst jetzt die Schule wirklich abgeschlossen, und sagt: »Sollen wir noch kurz am Trucker-Grill halten, bevor wir Europa erobern?«
Ich schweige.
Hartmut haut sich vor die Stirn: »Ach, ich Dummerchen. Der hat ja gerade geschlossen.«
Jens schaltet Pestilence wieder ein.
Zwei Jahre vor Einzug in die WG
Lampe aufs Tau
»Der Hunger! Der Hunger! Nichts ist für einen deutschen Mann schlimmer als der Hunger!«
Jens springt aus dem Bus, kaum, dass wir auf dem Hafenparkplatz in Bordeaux angehalten haben. Er läuft um die Tigerente herum, reißt die Tür auf, schiebt mich zur Seite, hebt das Polster hoch und kramt unter der Bank nach den Dosen mit der Tomatensuppe. Derweil betont er das »r« in »Hunger«, als würde er ein Lied von Rammstein singen.
»Hungerrrrr!!!«
Jens findet die Dose, öffnet sie, stellt sich vor den Bus und trinkt die Suppe direkt aus der Konserve. Blutrot läuft ihm der Saft die Mundwinkel herunter. Die Touristen gucken. Ich muss grinsen. Hartmut, der mittlerweile auch seinen Fahrersitz verlassen hat, bekommt hektische Flecken im Gesicht.
»Jens! Jetzt hör doch mal auf mit dem Scheiß!«
Ein kleiner Junge zeigt aus der Schlange der Besucher, die gegenüber am Kai anstehen, zu uns herüber. Die Touristen warten darauf, einen riesigen Kriegskreuzer zu betreten, der hier als Museumsschiff vertäut ist.
Jens setzt kurz die Dose ab und fletscht seine Zähne.
Ich winke dem Jungen und rufe: »Vampire. German Vampire.«
Hartmut funkelt mich an: »Aus! Schluss jetzt! Alle beide!«
Besorgt schaut er zur Schlange am Schiff. Familien mit Kindern und alleinstehende Männer mit Kamera auf der Brust, welche die Colbert, so heißt das Schiff, womöglich schon alleine zu Hause als Modell gebaut haben. Es sieht jedenfalls alt aus.
Jens stellt die Tomatensuppe ab und holt uns stattdessen drei Bierdosen aus dem Bus. Er und ich öffnen unsere sofort. Hartmut überlegt einen Augenblick, ob auch öffentliches Biertrinken zu schamlos wirkt, lässt dann aber ebenfalls sein Hansa Pils zischen. Wir sind im Urlaub, da gehört auch für ihn Bier zu den Grundnahrungsmitteln. Ansonsten aber überkommen ihn die Skrupel, seit wir die französische Grenze passiert haben.
»Prost«, sagt Jens.
»Skål«, sage ich.
»Santé!«, sagt Hartmut.
Der kleine Junge plaudert wieder mit seinem Vater, der auf die Flugabwehrkanonen des Schiffes zeigt. Blut trinkende Deutsche sind interessant. Bier trinkende Deutsche nicht.
Hartmut schüttelt den Kopf wie eine vorwurfsvolle Mutter.
Jens sagt: »Was?«
Hartmut sagt: »Du kannst doch nicht im Hafen von Bordeaux einen deutschen Blutsauger darstellen.«
»Meine Güte …«, mault Jens.
Hartmut dreht sich um und zeigt über den Parkplatz und die angrenzende Stadt, die sich dahinter erstreckt.
»Das hier ist Frankreich, Leute. Wir haben im Blut dieser Menschen gebadet! Frankreich ist eine große Kulturnation. Allein die Denker, die dieses Land hervorgebracht hat. René Descartes. Blaise Pascal. Und vor allem Voltaire!«
Hartmut spricht die berühmten Namen nicht bloß aus, er ruft sie, damit die Menschen in der Schlange und der Kartenabreißer am Museumsschiff sie auch ganz sicher hören können. »Eine ganze Nation der Philosophie, der Kunst. Und dann die Maler! Marc Chagall! Paul Gauguin!«
Der Kartenabreißer schaut zu uns herüber. Es muss seltsam aussehen. Ein abgerissener Mann mit ungepflegten Koteletten, der seit Tagen nicht richtig geduscht hat, steht vor einem rostigen, als Tigerente angemalten Transporter von Volkswagen und brüllt mit einem nach der alten deutschen Hanse benannten Bier in der Hand die Namen berühmter Franzosen.
Langsam versiegen die Namen aus Hartmuts Mund. Er nimmt einen kleinen Schluck aus der Dose und schaut mit schmalen Augen am Kriegsschiff vorbei über das glitzernde Wasser der Garonne.
»Jochen hätte mich verstanden«, murmelt er.
Diesen Satz grummelt er häufig vor sich hin, wenn man ihm in seinen Gedanken und Sorgen nicht folgen will. Am liebsten würde ich dann antworten: »Dann geh doch zu Jochen!« So, wie man im Westen den linken Jugendlichen und sogenannten Chaoten, die über die Marktwirtschaft meckerten, damals gesagt hat: »Dann geh doch nach drüben!« Zu Jochen zu gehen wäre noch nicht einmal so weit wie »nach drüben« in die ehemalige DDR, denn Jochen lebt seit vielen Jahren in Dortmund. Er war Hartmuts bester Schulfreund von der ersten Klasse der Grundschule bis zur sechsten Klasse seines ersten Gymnasiums, bevor Hartmut die Schule wechselte. Natürlich hätten die beiden sich danach noch sehen können, aber Jochens Eltern zogen aus unserer niederrheinischen Kleinstadt ins Ruhrgebiet und da Hartmut als Siebtklässler noch keinen Tigerentenbus hatte und Dreizehnjährige ungern regelmäßig mit der Bahn pendeln, verloren sich die beiden eine Weile aus den Augen. Dennoch denkt Hartmut ständig an Jochen. Vor allem eben, wenn seine anderen Freunde zu doof oder zu unsensibel sind, um seine komplexen Gedankengänge zu verstehen. Er war eben schon immer anders. Während wir, die einfachen Oberstufler, am Wochenende in der Imbissbude hinter dem Hospital Gyros Pita aßen, half er im Jugendhaus aus oder tapezierte unsere Heimatstadt mit Plakaten für Demonstrationen. Als Junge soll er an einem entlegenen Ufer der Lippe ein Sprungbrett gebaut haben. Nicht, um wirklich von dem Ding ins Wasser zu hüpfen, sondern, so seine eigenen Worte, »als Kunstobjekt«. Übernachteten wir als Volljährige später am See oder in der Nähe der Wälder, kroch er nachts zur blauen Stunde