Der Hebräerbrief - Ein heilsgeschichtlicher Kommentar. Roman Nies
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Herausragendes Merkmal eines Königs ist, wenn er mit Gerechtigkeit regiert. Der Hebräerbrief hebt hervor, dass dies für Jesus Christus zutrifft. Christus hat aber Seine eigene Gerechtigkeit, die in einem besonderen Punkt von der Gerechtigkeit und dem Gerechtigkeitsverständnis der Menschen verschieden ist. Er hat eine Gerechtigkeit geschaffen, die in gewisser Weise das Gegenteil der Gerechtigkeit des Menschen ist und alles, was zwischen den Rechtsvorstellungen der Menschen und der vollkommenen Gerechtigkeit, die bei Gott gilt, ist, mit abdeckt und so in vermeintlich widersprüchlicher Weise zur vollkommenen und allumfassenden Gerechtigkeit wird. Wie ist das möglich? Alle Menschen sind Sünder und haben gerechterweise nicht verdient, nach ihrem physischen Ableben einen Anspruch auf ein göttliches Weiterleben geltend machen zu können. Das liegt daran, dass Gott in Seiner Heiligkeit nichts Unheiliges verewigen kann. Ewigkeit ist ja eines Seiner göttlichen Wesensmerkmale. Alle Seine Wesensmerkmale hängen in vollkommener Weise miteinander zusammen.
Es wäre abgesehen davon auch für niemand ein Segen, endloses Leben zu haben, wenn es nicht auch zugleich ein vollkommenes Leben wäre. Zwar bemühen sich fromme Menschen zeitlebens „gerechte“ Werke zu tun und „gerecht“ zu sein, aber sie erreichen niemals dieses Ziel, völlig gerecht gewesen zu sein. Sie können ja nicht einmal Geschehenes rückgängig machen. So wie der Mensch bei der Geburt anfängt zu sterben, steht auch seine menschliche Natur unter dem Urteil, Todeswesen in sich zu haben. Deshalb gilt für alle Menschen, dass sie sich völlig unter den Gerichtsspruch Jesu Christi, des Weltenrichters, stellen und auf eine Gnade hoffen müssen, die sie nicht nur in eine andere Lebenssituation stellt, sondern auch von Grund auf reinigt und heiligt.
Tatsächlich bietet ihnen Jesus Christus die Rechtfertigung und Freisprechung von aller Sündenschuld und allen Folgen ihrer Sündhaftigkeit an. Dies geschieht durch einen Gnadenakt, weil es kein Mensch verdient hat. Jeder Mensch muss in der Trennung von Gott verbleiben, wenn er nicht zulässt, dass Gott ihn aus dieser Trennung herauszieht. Es ist der Gnadenakt des Freispruchs durch den Richter, der ihn eigentlich zu lebenslanger Trennung verurteilen müsste, wenn es immer nur danach ginge, das Menschenmögliche zu beurteilen. Aber:
Das Menschenmögliche ist nicht das Maßgebliche,sondern das Gottesmögliche!
Die Berechtigung dieses Freispruchs nimmt Gott nicht von den Werken des zu Beurteilenden, also nicht vom Menschenmöglichen! Er nimmt Sein eigenes stellvertretendes Werk und setzt es heilsvermittelnd ein. Das ist das, was Gott möglich ist!
Golgatha geschah unter völliger Teilnahmslosigkeit der Menschheit – außer in zweierlei Hinsicht: jeder hat den Gott JHWH da hingebracht und Ihm die Nägel eingeschlagen. Jeder hat somit das schlimmste Un-Werk getan, das sich überhaupt denken lässt. Und zweitens erklärt Gott Sein stellvertretendes Opfer für uns. Das ist unsere Beteiligung, dass für uns etwas getan wird, was uns aus dem Tod ins Leben bringt, aus der Trennung zu Gott. Das bedeutet also, dass der Gnadenakt aufgrund Gottes eigener Rettertat, die durch das Erleiden einer Todesstrafe bewirkt wurde, in dem vollendeten Ausdruck der Gerechtigkeit Gottes in einem scheinbar „ungerechten“ Rechtsakt bestand. Unverdiente, gleichwohl vollkommen wirkende Gnade! Gottes Gnade erklärt sich aus Seiner Gerechtigkeit. Wenn Gott alle gerecht machen will, damit Er sie am Leben erhält, damit sie mit Ihm leben, muss Er sie alle begnadigen. Das „Müssen“ ist Ihm eine Freude, die in der Umsetzung Schmerzen bereitet. Der Prozess, das Leben hinzugeben, fällt jedem Menschen schwer. Und so fiel es auch dem Mensch Jesus schwer. Zu beachten ist, dass Jesus nicht nur für einen Menschen starb, den er so sehr liebte oder von dem Er geliebt wurde, sondern für alle. *68 Das bereitet unsägliche Schmerzen, von denen niemand außer Gott die richtige Vorstellung hat. Und nichts schmerzt mehr, als die Vorstellung darüber.
Begnadigung ist ein Rechtsspruch zum Aussetzen der Gerechtigkeit. Aber nicht, wenn der höchste Richter, der die Gnade erlässt, selbst das Opfer einer alles abgeltenden Strafe auf sich nimmt. Da Gott der Vater aller Menschen, und Sein Sohn Jesus Christus der Richter und König aller Menschen ist, liegt es in Ihrem Willen und in Ihrem Entschluss und in Ihrem Gnadenakt, ob und wie die Schuld aller Menschen abgelöst werden kann. Gott hat eine Wahl getroffen, die alle Menschen, wenn sie Gottes Handeln erfasst haben, zutiefst erschüttert und von Gottes Liebe erfassen lässt. Gott hat beschlossen Menschen zu erschaffen, die Er von aller Schuld befreien kann und will. Es sind aber auch Menschen, die es zulassen können, von Gottes Liebe erreicht zu werden und in ihr zu ihrem Vollendungsziel zu kommen.
Die „Gerechtigkeit“ des Sohnes Gottes besteht also ebenso wie Seine Gnädigkeit in seinen Absichten vor Golgatha und in der Ausführung Seiner Absichten auf Golgatha. Bei dieser Gerechtigkeit und dieser Gnade geht es darum, dass alle Menschen gerettet werden, denn bei Gott geht es um alle Menschen, um die ganze Gerechtigkeit, die volle Gnade, die vollendete Königsherrschaft. In dem Hebräerbrief geht es dem Verfasser aber hauptsächlich um das Verhältnis zwischen Gott und den Juden. Wenn er sagt, dass der Sohn die Gerechtigkeit ist, ist das ein neuer Gedanke für die Juden, die ihre Gerechtigkeit in dem Befolgen der Torah sahen. Die Argumentation in diesem Brief ist eine ungeheure Herausforderung für jeden noch unbekehrten Juden. Jemand, der die Gerechtigkeit, die bei Jesus Christus gilt, für sich noch nicht entdeckt und angenommen hat, kann die frohe Botschaft der Rechtsprechung durch die Heilstat des Sohnes auch nicht als solche erkennen. Solange kann Gott nicht zu ihm sagen: „Du hast Gerechtigkeit geliebt und Gesetzlosigkeit gehasst; darum hat dich, Gott, dein Gott gesalbt mit Freudenöl vor deinen Gefährten." (Heb 1,9)
Der Brief klärt die Hebräer auf, dieser Jesus ist der Schöpfergott (Heb 1,10). Er ist der, zu dem es schon im Psalm hieß: „Setze Dich zu Meiner Rechten, bis Ich Deine Feinde Dir [zum] Schemel Deiner Füße lege!“ (Heb 1,13 KÜ).
In Heb 2,1 wird davor gewarnt, dass man das Angebot des Heils geringschätzen könnte: „Deswegen müssen wir umso mehr auf das achten, was wir gehört haben, damit wir nicht etwa [am Ziel] vorbeigleiten.“ Wer es nicht tut, bekommt die „Vergeltung“ (Heb 2,2), also den Lohn des Versäumnisses, zu spüren: „Wie werden wir entfliehen, wenn wir eine so große Errettung missachten?“ (Heb 2,3)
Die Vergeltung ist irgendeine Form des Gerichts. Das Gericht ergeht am Menschen in jedem Äon. Auch Gläubige werden durchgerichtet. In diesem Leben gerichtet zu werden, ist vorzuziehen einem Gericht, das in einem der folgenden Äonen ergeht, denn in der Bibel werden anderen Äonen härtere Lebensverhältnisse zugeschrieben, mit ungewisser Dauer. Genaue Zeitangaben fehlen ja in der Bibel. Man weiß nur, dass ein Mensch in diesem irdischen Leben höchstens 120 Jahre alt werden kann und meist bleibt es bei 70 bis 80, was die Zahl der Gelegenheiten Leidvolles zu erfahren auf natürliche Weise reduziert. Das kann auch als Beispiel betrachtet werden, dass in einer Verkürzung von Lebenszeit sowohl ein Gerichtshandeln als auch ein Gnadenerweis gesehen werden kann, denn nach der Bibel lebten die Menschen vor der Sintflut viel länger und der Grund, warum sie in der Sintflut umkamen, war die Anhäufung ihrer Freveltaten und die Steigerung ihrer Bosheit. Für Gott wird es eine klare Sicht geben auf das Verhältnis von langem Leben, das nur gut gelebt wird, wenn es tugendhaft gelebt wird, zur Lebensfreude und das Verhältnis eines untugendhaften Lebens zum Lebensverdruss. Gott duldet das Böse nicht, daher beseitigt Er es. Es kann nicht bleiben. Bleiben kann nur das, was von göttlicher Dauerhaftigkeit ist! *69